Der Bundesgerichtshof befasste sich in seinem Urteil vom 22.01.2020 (Az.: IV ZR 125/18) mit einer Minderung der Invaliditätsleistung wegen Vorschäden und dem genauen Unfallbegriff im Sinne der vereinbarten Versicherungsbedingungen.
Der Versicherungsnehmer unterhielt eine private Unfallversicherung, welcher allgemeine Unfallversicherungsbedingungen zugrunde lagen. Unter anderem war dort definiert, dass der Versicherer unter bestimmten Umständen auch leistet, wenn eine erhöhte Kraftanstrengung zu einer Invalidität geführt hat. Weiterhin war festgehalten, dass es zu einer Invaliditätsminderung wegen Vorschäden kommen kann, wenn die Vorschäden an der Invalidität mitgewirkt haben.
Im Jahr 2002 hatte der Versicherungsnehmer einen operativen Eingriff an der rechten Schulter wegen einer Schultergelenksprengung. Im Oktober 2013 hob der Versicherungsnehmer einen ca. 20 kg schweren Farbeimer hoch, um diesen auf einem Gerüst abzustellen. Dabei zog sich der Versicherungsnehmer einen Riss in der Supraspinatussehne der rechten Schulter zu. Anschließend machte der Versicherungsnehmer gegenüber seiner Unfallversicherung eine Invaliditätsleistung geltend.
Der Versicherer ließ ein Gutachten erstellen, welches zu dem Ergebnis kam, dass der Mitwirkungsanteil von unfallfremden Erkrankungen bei 100% lag. Aus dem Grund lehnte der Versicherer die Erbringung einer Invaliditätsleistung ab.
Die Hamburger Kanzlei Jöhnke & Reichow unterstützt Versicherte bundesweit bei der Geltendmachung von Leistungen aus Ihrer Unfallversicherung. Unsere Rechtsanwälte unterstützen Sie dabei, zu Ihrem Recht zu kommen und stehen Ihnen zunächst gerne für einen kostenfreien Erstkontakt zur Verfügung.
Mit dem Ziel der Feststellung, dass ein Anspruch ohne Minderung der Invaliditätsleistung wegen Vorschäden bestand, klagte der Versicherungsnehmer vor dem Landgericht Trier (ähnlich auch Minderung der Invaliditätsleistung wegen vorherigem Kreuzbandriss (BGH)). Das Landgericht Trier wies die Klage jedoch ab, wogegen der Versicherungsnehmer Berufung einlegte. Daraufhin entschied das Oberlandesgericht Koblenz, dass der Versicherer Versicherungsschutz zu 10% leisten musste, da die Vorschäden nur eine Mitursächlichkeit von 90% hatten. Diese Entscheidung des Oberlandesgericht Koblenz genügte dem Versicherungsnehmer nicht, weswegen er in Revision ging.
Der Versicherungsnehmer war der Meinung, dass die geltenden Versicherungsbedingungen in Bezug auf die Höhe der Leistungen nicht verständlich formuliert waren. Außerdem sei der Versicherer seinen Vertragspflichten aufgrund von unzureichenden Informationen nicht ordnungsgemäß nachgekommen. Der Versicherer vertrat weiterhin die Auffassung, dass er keinen Versicherungsschutz leisten musste, zumindest keine höhere Auszahlung als die basierend auf der Mitursächlichkeit des Vorschadens von 90%.
Der Riss der Supraspinatussehne stellte zunächst eine Verletzung im Sinne der allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen dar. Die Versicherungsbedingungen waren nach Ansicht des BGH sodann so auszulegen, wie sie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer ohne Spezialkenntnisse versteht. Diese Verständnismöglichkeiten werden vor allem anhand des Wortlauts beurteilt. Gemäß dem Wortlaut des Versicherungsvertrags war für den Versicherungsnehmer anzunehmen, dass seine Verletzung ein Unfall im Sinne des Versicherungsvertrages darstellte (siehe auch Erhöhte Kraftanstrengung in der Unfallversicherung).
Die Invalidität war jedoch nicht ausschließlich unfallbedingt, entschied der Bundesgerichtshof. Es müsse daher eine Minderung wegen Vorschäden vorgenommen werden. Die Vorschädigung der Schulter stellte einen abnormalen Gesundheitszustand im Sinne der Versicherungsbedingungen dar, welcher den Grad der Invalidität minderte. Den Mitwirkungsanteil des Vorschadens setzte der BGH auf 90% an (siehe hierzu auch Krankheit, Gebrechen oder altersbedingter Verschleiß? (OLG Saarbrücken).
Zuletzt entschied der Bundesgerichtshof, dass die allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen nicht intransparent waren. Das Merkmal der erhöhten Kraftanstrengung war individuell im Vergleich zu normalen Abläufen im Leben und den körperlichen Verhältnissen zu betrachten und nicht bezüglich darauf, ob eine solche Kraftanstrengung einmalig oder regelmäßig ausgeübt wurde (vgl. BGH, Urt. v. 20.11.2019 – IV ZR 159/18). Demnach schuldete der Versicherer dem Versicherungsnehmer Versicherungsschutz für die unfallbedingte Invalidität mit einem Abzug wegen 90% Mitwirkungsanteil des Vorschadens.
Das Urteil des Bundesgerichtshofes macht deutlich, dass bei dem Vorliegen eines Vorschaden der genaue Grad der Minderung wegen Vorschäden zu bestimmen ist. In jedem Fall sollten das genaue Krankheitsbild und die geltenden Versicherungsbedingungen geprüft werden. Verweigert ein Versicherer die Leistung, kann es ratsam sein, einen im Versicherungsrecht spezialisierten Rechtsanwalt zu kontaktieren. Dafür stehen gerne auch Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte zur Verfügung.
Rechtsanwalt Reichow ist Partner der Hamburger Kanzlei Jöhnke & Reichow. Er betreut vor Allem Verfahren im Versicherungsrecht, zur Haftung von Versicherungsvermittlern und Streitigkeiten aus dem Handelsvertreterrecht. Nähere Angaben zu Jens Reichow finden Sie unter folgendem Anwaltsprofil:
Mit unserer Kompetenz streiten wir ehrgeizig für Ihr Ziel, nämlich Ihre Interessen durchzusetzen! Wir freuen uns, dass unsere Mandanten-/-innen unser Engagement schätzen und positiv bewerten.
Verpassen Sie auch zukünftig keinen Beitrag unserer Kanzlei. Über unseren 2mal monatlich erscheinenden Newsletter erhalten Sie stets die aktuellen Beiträge unserer Kanzlei zu den Themen Versicherungsrecht, Bank- und Kapitalmarktrecht, Vertriebsrecht, Handelsvertreterrecht und Wettbewerbsrecht. Wir freuen uns auf Ihre Anmeldung.