Das Oberlandesgericht Saarbrücken beschäftigte sich in seinem Urteil vom 13.11.2013 (Az.: 5 U 359/12) mit der Frage, welche Tätigkeit als Anknüpfungspunkt der Berufsunfähigkeit maßgeblich ist und nach welchen Kriterien dies zu entscheiden ist.
Die Versicherungsnehmerin unterhielt seit Mai 1993 eine Berufsunfähigkeitszusatzversicherung. Bereits seit ihrer Kindheit, litt die Versicherungsnehmerin unter einer rechtskonvexen Lumbalskoliose (siehe auch Berufsunfähigkeit wegen orthopädischer Erkrankungen), welche sich durch Rückenschmerzen 1997 bemerkbar gemacht hatte.
Die Versicherungsnehmerin war in den 1970er und 1980er Jahren in verschiedenen Berufen wie als Bauzeichnerin, Lagerarbeiterin, Kellnerin und Sachbearbeiterin tätig. Zwischen 1991 und 2000 war die Versicherungsnehmerin als Kellnerin tätig. Die Tätigkeit als Kellnerin umfasste eine wöchentliche Arbeitszeit von 15 Stunden, verteilt auf zwei Tage, mit einer Vergütung in Höhe von 400 Euro. Bei der Tätigkeit hatte die Versicherungsnehmerin bereits Beschwerden beim Stehen, Laufen und Tragen von schweren Lasten. Aufgrund der Beschwerden musste sie die Tätigkeit als Kellnerin aufgeben.
Im Zeitraum von 2000 bis 2009 war die Versicherungsnehmerin in dem Konstruktionsbüro ihres Ehemanns ebenfalls für 15 Stunden die Woche für eine Vergütung in Höhe von 400 Euro angestellt. Ihre Tätigkeit in dem Konstruktionsbüro umfasste Reinigungstätigkeiten, Botengänge und die Kundenversorgung mit Getränken und kleinen Snacks. Die Leistungen aus der Berufsunfähigkeit wollte sie zu dem Zeitpunkt noch nicht in Anspruch nehmen, da sie stets versuchte, eine Besserung ihres Zustandes herbeizuführen.
Infolge der Zunahme der Beschwerden durch die Lumbalskoliose wurde am 15.12.2008 eine Operation durchgeführt, welche Linderung verschaffen sollte. Im Juni 2009 beantragte die Versicherungsnehmerin dann aber die Zahlung einer Berufsunfähigkeitsrente ab dem 01.06.2009 (hierzu Der Leistungsantrag in der Berufsunfähigkeitsversicherung). In dem Leistungsantrag gab die Versicherungsnehmerin an, die Tätigkeit als Kellnerin sei ihr zu 100% nicht mehr möglich. Die Durchführung von Reinigungs- und Pflegearbeiten mit einer täglichen Arbeitszeit von sechs Stunden sei zu 80% nicht mehr möglich. Außerdem gab die Versicherungsnehmerin in dem Leistungsantrag an, ca. im Jahr 2000 erstmals wegen der Skoliose behandelt worden zu sein.
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Der Versicherer lehnte die Zahlung einer Berufsunfähigkeitsrente ab. Daraufhin erhob die Versicherungsnehmerin im Februar 2010 Klage bei dem Landgericht Saarbrücken.
Vor Gericht machte die Versicherungsnehmerin geltend, dass der Anknüpfungspunkt der Berufsunfähigkeit ihre Tätigkeit als Kellnerin sei, da sie zu der Büroaushilfstätigkeit nur leidensbedingt gewechselt habe (hierzu auch Leidensbedingter Berufswechsel in der Berufsunfähigkeitsversicherung). Die Tätigkeit als Büroaushilfskraft habe sich berufsmäßig hingegen nicht verfestigt.
Der Versicherer dagegen machte geltend, dass aufgrund des langen Zeitraums zwischen dem Berufswechsel und der Geltendmachung der Berufsunfähigkeit die Tätigkeit als Büroaushilfskraft Anknüpfungspunkt der Berufsunfähigkeit sei. Außerdem sei die Versicherungsnehmerin im Stande, der Tätigkeit als Büroaushilfskraft mehr als 7,5 Stunden pro Woche (also zu mindestens 50%) nachzukommen.
Das Landgericht gab dem Versicherer mit seinem Urteil am 18.10.2012 (Az.: 14 O 53/10) Recht. Demnach sei der Anknüpfungspunkt der Berufsunfähigkeit die Tätigkeit als Büroaushilfskraft. Da der Berufswechsel bereits neun Jahre zurücklag, sei der zuvor ausgeübte Beruf als Kellnerin nicht mehr relevant und eine Perspektive für eine Rückkehr habe nicht mehr bestanden. Für die Tätigkeit als Büroaushilfskraft sei der Beweis der Berufsunfähigkeit jedoch nicht hinreichend erfolgt.
Gegen das Urteil des Landgerichts Saarbrücken legte die Versicherungsnehmerin Berufung ein. Ihrer Ansicht nach sei der maßgebliche Anknüpfungspunkt der Berufsunfähigkeit ihre Tätigkeit als Kellnerin, da sie bereits im Jahr 2000 die Leistungen aus der Berufsunfähigkeitsversicherung hätte beantragen können.
Das Oberlandesgericht Saarbrücken entschied, dass das Landgericht Saarbrücken mit seinem Urteil richtig lag und die Versicherungsnehmerin keinen Anspruch auf Leistungen aus der Berufsunfähigkeitsversicherung hat. Der Anknüpfungspunkt der Berufsunfähigkeit war die Tätigkeit als Büroaushilfskraft, nicht die Tätigkeit als Kellnerin. Grundsätzlich ist Anknüpfungspunkt der Berufsunfähigkeit die Tätigkeit, die zuletzt ohne Leiden ausgeführt werden konnte (siehe auch Maßgebende Berufsausübung für die Berufsunfähigkeit (BGH)). Der Versicherungsnehmerin darf zwar nicht zum Nachteil angelastet werden, dass sie zunächst versuchte, gesund zu werden, dies hat aber zeitliche Grenzen.
Entscheidend ist dafür eine differenzierte Betrachtung der Erkenntnisse und Entscheidungen des Versicherungsnehmers. Je länger der Versicherungsnehmer nach dem Auftreten des Leidens in dem neuen Beruf tätig war und je klarer ihr sein musste, dass Berufsunfähigkeit im alten Beruf eingetreten ist, desto näher liegt es, auf den neuen Beruf abzustellen.
Weiterhin maßgeblich ist die Verfestigung der neuen Lebensstellung. In dem Streitfall sei mit Grundlage dieser Kriterien davon auszugehen, dass trotz des gesundheitsbedingten Wechsels die neue Tätigkeit als Büroaushilfskraft maßgeblich ist. Die Tätigkeit als Kellnerin sei nicht ausreichend prägend gewesen, da die Versicherungsnehmerin zuvor in verschiedenen Tätigkeitsfeldern für ähnlich lange Zeiträume beschäftigt war.
Das Urteil des Oberlandesgericht Saarbrücken zeigt, dass die genauen Umstände, wie Dauer und Ausmaß der beruflichen Tätigkeit, entscheidend sind, um den Anknüpfungspunkt der Berufsunfähigkeit bestimmen zu können. Liegen Unklarheiten bezüglich der Leistungen aus der Berufsunfähigkeitsversicherung vor, sollte man die genauen Umstände prüfen. Im Zweifel kann es sich dabei anbieten, auch auf die weiterführende Beratung eines im Versicherungsrechts spezialisierten Rechtsanwaltes zurückzugreifen. Gerne stehen hierfür auch Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte zur Verfügung, welche sich gerade im Bereich der Berufsunfähigkeitsversicherung spezialisiert haben.
Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke ist Partner der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte und seit 2017 Fachanwalt für Versicherungsrecht. Während seiner Anwaltstätigkeit hat er bereits eine Vielzahl von gerichtlichen Verfahren im Versicherungsrecht geführt und erfolgreich für die Rechte von Versicherungsnehmern gestritten.
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