Das saarländische Oberlandesgericht beschäftigte sich in seinem Urteil vom 02.09.2020 (Az.: 5 U 94/19) mit den Aufklärungsobliegenheiten bei einem Autodiebstahl. Konkret ging es dabei um die Zurückhaltung von Fahrzeugschlüsseln.
Der Versicherungsnehmer kaufte im Januar 2018 ein Auto, welches am 24.04.2018 zugelassen wurde und am gleichen Tag bei dem Versicherer versichert wurde. Im Mai 2018 meldete der Versicherungsnehmer der Polizei und seinem Kfz-Versicherer, dass bei seinem Auto, welches in einer verschlossenen Garage stand und über eine Alarmanlage verfügte, eine Seitenscheibe eingeschlagen wurde und Fahrzeugteile ausgebaut und entwendet worden seien. In einem Polizeibericht gab der Versicherungsnehmer an, er hätte das Auto für 22.500 Euro erworben. Außerdem wollte er das Auto vor kurzer Zeit über ein Inserat im Internet für 26.000 Euro wieder verkaufen. Schlussendlich habe er sich jedoch gegen einen Verkauf entschieden.
Der Versicherer forderte den Versicherungsnehmer auf, ihm den Kaufvertrag zukommen zu lassen. Dazu teilte der Versicherungsnehmer mit, dass er den Kaufvertrag nicht finden könne. Später ließ er dem Versicherer eine Vertragsurkunde zukommen, die einen Kaufpreis von 35.000 Euro auswies. Der tatsächliche Zahlungsbeleg wurde jedoch nicht ausgehändigt.
Daraufhin forderte der Versicherer einen Beweis dafür, dass der Versicherungsnehmer tatsächlich 35.000 Euro besessen und an den Fahrzeugverkäufer gezahlt hatte. Außerdem forderte der Versicherer alle Fahrzeugschlüssel zum Auslesen der Fahrzeugdaten. Der Versicherungsnehmer teilte dem Versicherer mit, der Versicherer hätte bereits alle für die Schadensabwicklung nötigen Informationen erhalten und weitere Informationen seien nicht einzufordern.
Am 27.08.2018 klagte der Versicherungsnehmer vor dem Landgericht Saarbrücken und verlangte als Vorschuss für die Reparatur die Differenz zwischen Wiederbeschaffungswert und Restwert. Der Versicherer beantragte die Klage abzuweisen.
Der Versicherer argumentiert in dem Gerichtsverfahren, dass der Versicherungsnehmer nicht beweisen könne, dass überhaupt ein Diebstahl vorgelegen habe. Die Art und Weise, wie die Fahrzeugteile ausgebaut wurden, hält der Versicherer für diebstahlsuntypisch. Auch die Unstimmigkeiten bezüglich des Kaufpreises und des Wiederverkaufspreises ließen den Versicherer an der Schilderung des Versicherungsnehmers zweifeln. Eine Erklärung für diese Unstimmigkeiten gab der Versicherungsnehmer nicht ab. Weiterhin berief sich der Versicherer auf seine Leistungsfreiheit, da der Versicherungsnehmer seine Aufklärungsobliegenheiten bei einem Autodiebstahl verletzt habe, indem er den Zahlungsbeleg und die Fahrzeugschlüssel zurückhielt.
Der Versicherungsnehmer dagegen hält den Wert des Fahrzeugs für unbedeutend und war der Meinung, die Finanzierung des Kaufpreises müsse er nicht nachweisen. Die verlangten Fahrzeugschlüssel hätten dem Schadensgutachter zur Verfügung gestanden und der Versicherer wollte das Verfahren verzögern, indem er die Schlüssel später herausverlangte.
Das Landgericht Saarbrücken entschied in seinem Urteil vom 10.10.2019 (Az.: 14 O 161/18), dass nicht von einem fingierten Diebstahl auszugehen sei (hierzu Indizien für vorgetäuschten Fahrzeugeinbruch (LG Bochum)). Auch eine Verletzung der Aufklärungsobliegenheiten bei einem Autodiebstahl läge nicht vor, da die erbetenen Auskünfte und die Fahrzeugschlüssel nicht entschädigungsrelevant seien. Gegen das Urteil des Landgericht Saarbrücken legte der Versicherer Berufung ein.
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Das Oberlandesgericht Saarbrücken gab dem Versicherer Recht und entscheidet, dass dem Versicherungsnehmer kein Anspruch auf eine Kaskoentschädigung zusteht. Der Versicherer war wegen einer Obliegenheitsverletzung von der Leistungspflicht befreit.
Zu den Aufklärungsobliegenheiten bei einem Autodiebstahl gehört es, alles zu tun, was zur Feststellung des Schadensfalls und des Umfangs der Leistungspflicht erforderlich ist (hierzu Welche (vor-) vertraglichen Obliegenheiten bestehen für Versicherungsnehmer?). Dabei muss der Versicherungsnehmer alle Fragen des Versicherers vollständig und wahrheitsgemäß beantworten. Dadurch, dass der Versicherungsnehmer nicht bereit gewesen ist, die Fahrzeugschlüssel herauszugeben, konnten die Fahrzeugdaten nicht ausgelesen werden. Der fehlende Zahlungsbeleg führt ebenfalls dazu, dass die genauen Umstände wie die wirtschaftliche Lage des Versicherungsnehmers und der Wert des Autos letztendlich nicht ermittelt werden konnten. Der Versicherungsnehmer verhinderte somit sogar die Feststellung des Schadensfalls und des Umfangs der Leistungspflicht. Auch eine nachträgliche Erteilung der verlangten Auskünfte ändert an der Verletzung der Aufklärungsobliegenheiten bei einem Autodiebstahl und der daraus folgenden Leistungsfreiheit des Versicherers nichts mehr (vgl. OLG Saarbrücken, Urt. v. 30.04.2008 – 5 U 614/07).
Die Feststellung, ob tatsächlich ein Diebstahl vorgelegen hat, war danach nicht mehr nötig, da der Versicherer aufgrund der Aufklärungsobliegenheitsverletzung von seiner Leistung befreit wurde.
Liegen Unklarheiten in Bezug auf den Versicherungsfall vor, ist es wichtig, die genauen Umstände zu betrachten. Dies betrifft auch das Verhalten nach dem Versicherungsfall. Gerade auch die Aufklärungsobliegenheiten bei einem Autodiebstahl sollten nicht unterschätzt werden. Daher kann es sich durchaus anbieten, einen im Versicherungsrecht tätigen Rechtsanwalt zu kontaktieren und diesen mit der Prüfung der genauen Umstände zu beauftragen. Gerne stehen hierfür auch Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte zur Verfügung. Weitere Informationen finden Sie auch unter Versicherung zahlt nicht nach Autodiebstahl?
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