Das Oberlandesgericht Karlsruhe befasste sich in seinem Urteil vom 18.06.2024 (Az.: 12 U 179/23) mit der Frage, ob eine Bindung des Anerkenntnis für die Verweisung des Berufsunfähigkeitsversicherung im Nachprüfungsverfahren besteht.
Der Versicherungsnehmer schloss im Jahr 2008 erfolgreich die Ausbildung zum Kaufmann im Groß- und Außenhandel ab. Anschließend war er in der Firma, in der er seine Ausbildung absolvierte, weiterhin angestellt. Ab Oktober 2010 studierte der Versicherungsnehmer unterschiedliche Studiengänge, erlangte jedoch in keinem einen Abschluss. Danach war der Versicherungsnehmer ab Juni 2014 Produktionshelfer in einem metallverarbeitenden Betrieb über eine Zeitarbeitsfirma. Die wöchentliche Arbeitszeit lag bei 35 Stunden. Das Arbeitsverhältnis wurde zu Mitte August 2014 arbeitgeberseitig gekündigt.
Im Oktober 2014 stellte der Versicherungsnehmer einen Antrag auf Leistung aus der Berufsunfähigkeitsversicherung aufgrund von psychopathologischen Symptomatiken. Auf Grundlage eines Gutachtens und der detaillierten Erläuterung der Beschwerden und der Tätigkeit erkannte die Versicherung die Berufsunfähigkeit an und zahlte eine monatliche Berufsunfähigkeitsrente. Ab Juni 2018 begann der Versicherungsnehmer eine Tätigkeit bei einem Sicherheitsdienst mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 20 Stunden.
Der Versicherer machte sodann von seinem Nachprüfungsrecht Gebrauch (siehe hierzu Das Nachprüfungsverfahren). Mit Verweis auf die derzeitige Tätigkeit bei dem Sicherheitsdienst erklärte der Versicherer die Einstellung seiner Leistungen aus der Berufsunfähigkeitsrente ab dem 01.10.2020. Der Versicherungsnehmer forderte den Versicherer daraufhin zur weiteren Zahlung der Berufsunfähigkeitsrente auf, was jedoch erfolglos blieb.
Vor dem Landgericht Karlsruhe machte der Versicherungsnehmer geltend, dass die für die konkrete Verweisung maßgebliche Vergleichstätigkeit nicht die als Produktionsmitarbeiter sei, sondern die vorher ausgeübte Tätigkeit als Groß- und Außenhandelskaufmann. Das Landgericht Karlsruhe folgte der Argumentation des Versicherungsnehmers mit Urteil vom 06.10.2023 (Az.: 21 O 68/22). Die Voraussetzungen einer Verweisung auf eine Tätigkeit als Sicherheitsmitarbeiter lägen danach nicht vor, da sich das Anerkenntnis der Berufsunfähigkeit auf die Tätigkeit als Groß- und Außenhandelskaufmann beziehe (zu den Anforderungen siehe auch Die konkrete Verweisung). Es bestünde insoweit also eine Bindung des Anerkenntnis für die Verweisung im Hinblick auf die in zuletzt in gesunden Tagen ausgeübte Tätigkeit.
Der Versicherer zeigte sich mit dem Urteil nicht zufrieden und legte dagegen Berufung beim OLG Karlsruhe ein. Nach seiner Auffassung beziehe sich das Anerkenntnis auf die Tätigkeit als Produktionsmitarbeiter, da sich alle Angaben, die der Versicherte in dem Leistungsantrag bezüglich Arbeitszeit und Inhalt der Tätigkeit machte, auf die Tätigkeit als Produktionsmitarbeiter bezogen. Auch das zugrundeliegende Gutachten bezog sich auf die Tätigkeit als Produktionsmitarbeiter und nicht auf die Tätigkeit als Groß- und Außenhandelskaufmann. Die Tätigkeit als Groß- und Außenhandelskaufmann hatte der Versicherungsnehmer außerdem freiwillig aufgegeben, bevor er als Produktionsmitarbeiter tätig war.
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Die Berufung des Versicherers war in dem vorliegenden Fall erfolglos. Das OLG Karlsruhe erachtet die Verweisung des Versicherungsnehmers auf eine Tätigkeit als Sicherheitsmitarbeiter als unrechtmäßig.
Dem OLG Karlsruhe nach ist für die Verweisung die vorherige Tätigkeit als Groß- und Außenhandelskaufmann maßgeblich und nicht die Tätigkeit als Produktionsmitarbeiter. Auch wenn der Versicherer mit seiner Anerkenntniserklärung auf die Tätigkeit als Produktionsmitarbeiter abstellen wollte, sind hier die Umstände von Bedeutung, wie das Anerkenntnis für den Versicherungsnehmer mit Einbeziehung der Begleitumstände zu verstehen war. Es gäbe also eine Bindung des Anerkenntnis für die Verweisung im Nachprüfungsverfahren.
Der Versicherungsnehmer ist besonders schutzwürdig, da die Berufsunfähigkeitsleistungen eine große Bedeutung haben. Der Versicherer ist folglich in der Verantwortung, seine Anerkenntniserklärung klar genug zu formulieren, sodass keine Zweifel entstehen. Bleiben dementsprechende Zweifel dennoch, gehen diese zu Lasten des Versicherers. Hinzu kommt, dass der Versicherungsnehmer die Tätigkeit als Produktionsmitarbeiter tatsächlich nur etwa 1,5 Wochen ausgeübt hat. Dadurch kann dies nicht als neuer Beruf angesehen werden. Maßgeblich für die Bewertung der Verweisung ist also die Tätigkeit als Groß- und Außenhandelskaufmannes.
Der Einkommensverlust als Sicherheitsmitarbeiter lag bei etwa 28%, was als unzumutbar gilt. Auch das Ansehen eines Sicherheitsmitarbeiters im Vergleich zu dem eines Groß- und Außenhandelskaufmann ist entscheidend geringer. Für die Tätigkeit als Sicherheitsmitarbeiter braucht es nicht zwingend eine Ausbildung oder besondere Kenntnisse. Die Tätigkeit im Bereich Groß- und Außenhandel dagegen ist ein anerkannter Ausbildungsberuf. Aufgrund der unrechtmäßigen Verweisung eines Groß- und Außenhandelskaufmanns ist der Versicherer verpflichtet, weiterhin Rentenleistungen zu erbringen und den Versicherungsnehmer von seiner Beitragszahlungspflicht zu befreien.
Das Urteil des Oberlandesgerichts Karlsruhe zeigt, dass bei dem Vorliegen einer konkreten Verweisungsklausel stehts zu beachten ist, welche vorherig ausgeübte Tätigkeit für die Verweisung maßgeblich ist. Hinsichtlich des Berufes vor Eintritt der Berufsunfähigkeit kann es danach zu einer Bindung des Anerkenntnisses für die Verweisung kommen.
Macht der Versicherer von seinem Nachprüfungsrecht Gebrauch und es erfolgt eine Verweisung auf eine andere Tätigkeit, so ist genau zu prüfen, ob die Voraussetzungen für eine solche konkrete Verweisung erfüllt sind. Im Zweifel kann es sich dabei anbieten auch auf die weiterführende Beratung eines im Versicherungsrechts spezialisierten Rechtsanwaltes zurückzugreifen. Gerne stehen hierfür auch Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte zur Verfügung, welche sich gerade im Bereich der Berufsunfähigkeitsversicherung spezialisierten haben.
Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke ist Partner der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte und seit 2017 Fachanwalt für Versicherungsrecht. Während seiner Anwaltstätigkeit hat er bereits eine Vielzahl von gerichtlichen Verfahren im Versicherungsrecht geführt und erfolgreich für die Rechte von Versicherungsnehmern gestritten.
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