Rechtsanwalt für Berufsunfähigkeit unterstützt bei der Geltendmachung von Leistungen aus der Berufsunfähigkeitsversicherung (Berufsunfähigkeitsrente)

Leidensbedingter Berufswechsel in der Berufsunfähigkeitsversicherung

In einem Leistungsprüfungsverfahren mit der Berufsunfähigkeitsversicherung ist häufig nicht klar, auf welchen Beruf zur Beurteilung der Berufsunfähigkeit abzustellen ist. Kompliziert kann es insbesondere dann werden, wenn ein es zu einem leidensbedingten Berufswechsel kommt. Ein leidensbedingter Berufswechsel erfordert nämlich eine differenzierende Betrachtung. Doch was kennzeichnet einen leidensbedingten Berufswechsel? Wo liegt der Unterschied zu einem leidensunabhängigen Berufswechsel? Und welche Auswirkungen hat dies auf die Bestimmung des zur Bewertung der Berufsunfähigkeit maßgeblichen Berufs? Diese und weitere Fragen sollen im Folgenden erörtert werden.

Leidensbedingter Berufswechsel

Ein leidensbedingter Berufswechsel liegt dann vor, wenn der Versicherungsnehmer durch Herabsinken seiner beruflichen Leistungsfähigkeit durch Krankheit oder Kräfteverfall oder wegen krankheitsbedingter Kündigung seinen Beruf aufgibt und (freiwillig) in eine ihm noch mögliche Tätigkeit wechselt. Davon abzugrenzen ist der leidensunabhängige Berufswechsel. Ein solcher ist gegeben, wenn der Versicherungsnehmer den Beruf zumindest mittelfristig vor dem Eintritt der Berufsunfähigkeit gewechselt hat, ohne dass dies mit seiner Gesundheitsbeeinträchtigung in Zusammenhang steht.

Ausnahme bei der Bestimmung des zuletzt ausgeübten Berufs

Der Grundsatz, dass bei der Ermittlung des versicherten Berufs stets auf den zuletzt ausgeübten Beruf abzustellen ist (siehe dazu: „Welcher Beruf ist in der Berufsunfähigkeitsversicherung versichert?“), ist in Fällen eines leidensbedingten Berufswechsels des Versicherungsnehmers ausnahmsweise nicht geboten. Dies ergibt sich bereits daraus, dass es sich insoweit nicht um die von den Bedingungen vorausgesetzte Tätigkeit, wie sie ohne gesundheitliche Beeinträchtigung ausgestaltet war, handelt.

Abstellen auf den Beruf vor dem Wechsel

Ein leidensbedingter Berufswechsel führt also nicht dazu, dass für die Prüfung der Berufsunfähigkeit auf die neu ausgeübte Tätigkeit abzustellen wäre. Vielmehr bleibt im Falle eines ausschließlich leidesbedingten Berufswechsels der vor diesem Wechsel „in gesunden Tagen“ ausgeübte Beruf der richtige Anknüpfungspunkt für die Beurteilung der Berufsunfähigkeit. Dies gilt selbst dann, wenn der Versicherungsnehmer nach dem erstmaligen Eintritt des Versicherungsfalls zunächst weiterhin die leidensbedingt eingeschränkte Tätigkeit ausgeübt hat und nach Beendigung dieser Tätigkeit erneut Ansprüche aus der Berufsunfähigkeitsversicherung geltend macht (siehe dazu weiterführend: „Verminderte Leistungsfähigkeit bei Berufsunfähigkeit als Normalzustand des Versicherten?“). Dies ergibt sich aus der Auslegung der üblichen Definition der Berufsunfähigkeit in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen.

Auslegung der Definition der Berufsunfähigkeit

Die Definition der Berufsunfähigkeit ist unter Zugrundelegung der Sichtweise eines durchschnittlich informierten Versicherungsnehmers auszulegen. Die Auslegung kommt sodann zu dem Ergebnis, dass dieser Versicherungsnehmer nur seine berufliche Leistungsfähigkeit in gesunden Tagen als Vergleichsmaßstab zur Beurteilung der leidensbedingten Einschränkung seiner beruflichen Fähigkeiten verstehen kann. Hieraus ergibt sich auch, dass sich der bedingungsgemäß festgelegte Grad der Berufsunfähigkeit an dem fortlaufend sinkenden Leistungsniveau des Versicherungsnehmers als Vergleichsmaßstab orientieren muss. Denn der Versicherungsnehmer kann der Definition der Berufsunfähigkeit jedenfalls nicht entnehmen, dass ein während der Versicherungsdauer verschlechterter gesundheitlicher Zustand, der bereits einen Versicherungsfall ausgelöst hat, für die restliche Laufzeit der Versicherung als neuer Normalzustand gelten soll, an dem künftig der Eintritt der Berufsunfähigkeit zu messen wäre. Bei einem dahingehend abweichenden Verständnis würde der versprochene und durch ungeminderte Beiträge erworbene Versicherungsschutz während der Versicherungsdauer zunehmend entwertet werden (siehe: Verminderte Leistungsfähigkeit bei Berufsunfähigkeit als Normalzustand des Versicherten?).

Damit ist auch in solchen Fällen auf den vor dem Wechsel in gesunden Tagen vormals ausgeübten Beruf abzustellen, in denen der Versicherungsnehmer wegen fortschreitender Erkrankung seine Berufstätigkeit nach und nach leidensbedingt zurücknimmt oder auf einen vom Arbeitgeber eingerichteten Schonarbeitsplatz wechselt. Denn ein solcher leidensbedingter Berufswechsel kann nicht mehr als freiwillig erachtet werden, selbst wenn es grundsätzlich auf einer Willensbildung beruht.

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Keine zeitliche Grenze der Betrachtung?

Es wird insbesondere ohne zeitliche Grenze auf den in gesunden Tagen ausgeübten Beruf abgestellt. Selbst ein jahrelang zurückliegender leidensbedingter Berufswechsel führt nicht dazu, dass auf den ausgeübten neuen – leidensbedingt gewählten – Beruf abzustellen wäre. Nach Ansicht des BGH könne der durchschnittliche Versicherungsnehmer den Versicherungsbedingungen nämlich nicht entnehmen, ab wann eine gesundheitlich verminderte Leistungsfähigkeit und eine daran angepasste Berufsunfähigkeit im Weiteren zum versicherten Normalzustand werden könnte. Aus diesem Grund können keine zeitlichen Grenzen konstruiert werden.

Diese Auslegung greift allerdings nicht in den Fällen, in denen der Versicherungsfall erst längere Zeit nach dem Wechsel eintritt. Denn der durchschnittliche Versicherungsnehmer weiß in derartigen Fällen durchaus, dass die neue Tätigkeit – und gerade nicht die alte Tätigkeit – für seine Lebensumstände prägend ist. Aus diesem Grund würde er bei einer entsprechend zeitlichen Verfestigung auch davon ausgehen, dass die neue Tätigkeit dann die versicherte Tätigkeit ist, zumal von der „zuletzt ausgeübten Tätigkeit“ die Rede ist. Somit versteht der durchschnittliche Versicherungsnehmer in diesen Fällen unter der zuletzt ausgeübten Tätigkeit nicht diejenige Zeit, in der er letztmalig völlig gesund war, sondern die Zeit vor demjenigen Zeitpunkt, zu dem er meint, der bedingungsgemäße Grad der Berufsunfähigkeit sei überschritten worden. Würde man immer streng nach den gesunden Tagen gehen, könnte sogar der Versicherungsnehmer Schwierigkeiten haben, die Tätigkeiten in diesem möglicherweise schon lange zurückliegenden Zeitraum zu rekonstruieren und zu beweisen.

Individuelle Prüfung im Einzelfall

Damit ist in Fällen, in denen der Versicherungsfall erst lange nach dem leidensbedingten Berufswechsel eintritt, im Einzelfall individuell zu prüfen, ob es sachgerecht erscheint, auf die letzte Tätigkeit und nicht die Tätigkeit in gesunden Tagen abzustellen. Dies wäre anzunehmen, wenn die neue Tätigkeit dauerhaft ausgeübt wird. In der Rechtsprechung wird teilweise vertreten, dass nach Ablauf von fünf Jahren der vorherige Beruf nicht mehr als Anknüpfungspunkt für die Beurteilung der Berufsunfähigkeit zugrunde zu legen ist (LG München I, Urt. v. 13. 8. 2003 – 25 O 23486/02).

Dahingegen erscheint es allerdings sachgerechter, anstelle einer starren zeitlichen Grenze eine differenzierende Betrachtung anzustellen. Hierbei sollen neben der zeitlichen Entfernung der Anzeige des Versicherungsfalls auch die Erkenntnisse und Entscheidungen des Versicherten während und nach dem leidensbedingten Wechsel herangezogen werden. Je länger er nach Auftreten eines Leidens im neuen Beruf gearbeitet hat und je klarer ihm ursprünglich sein musste, dass die Berufsunfähigkeit im alten Beruf eingetreten ist, desto näher liegt es, nunmehr auf den neuen Beruf abzustellen (OLG Saarbrücken, Urt. v. 13. 11. 2013 – 5 U 359/12).

Fazit und Hinweise für die Praxis

Bei Vorliegen eines leidensbedingten Berufswechsels wird im Grundsatz auf den vor diesem Wechsel „in gesunden Tagen“ ausgeübten Beruf abgestellt. Der BGH stellt hierfür keine zeitliche Grenze und stützt seine Begründung auf die Auslegung der Definition der Berufsunfähigkeit in den Bedingungen, die eine Zeitgrenze nicht erwähnt. Möchte ein Versicherer sicherstellen, dass eine jahrelang ausgeübte Tätigkeit, in die der Versicherte leidensbedingt gewechselt ist, zum Anknüpfungspunkt wird, so muss er dies ausdrücklich regeln.

Da im Ergebnis eine Einzelfallbetrachtung notwendig ist, sind die vorgenannten Grundsätze auch sehr anfällig für Fehlentscheidungen durch die Berufsunfähigkeitsversicherungen, die so dann häufig einer juristischen Korrektur bedürfen (siehe dazu weiterführend: Der Ablauf des BU-Verfahrens). Aus diesem Grund sollte in Leistungsprüfungen stets darauf geachtet werden, dass der Versicherte selbst die „richtige Tätigkeit“ konkret beschreibt, und nicht selbst auf die „falsche Tätigkeit“ abstellt (siehe dazu insbesondere: Unterstützung im Leistungsfall durch Experten!). Weitere Informationen finden Sie auch unter Versicherungsrecht und Berufsunfähigkeitsversicherung.

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Zum Autor: Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke

Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke ist Partner der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte und seit 2017 Fachanwalt für Versicherungsrecht. Während seiner Anwaltstätigkeit hat er bereits eine Vielzahl von gerichtlichen Verfahren im Versicherungsrecht geführt und erfolgreich für die Rechte von Versicherungsnehmern gestritten.

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