Das OLG Braunschweig hatte sich mit Beschluss vom 11.10.2023 (Az.: 11 U 316/21) damit auseinanderzusetzen, ob ein bewusstes Abwarten der Anfechtungsfrist rechtsmissbräuchlich sein kann. Konkret ging es darum, dass der Versicherungsnehmer mit der Beantragung einer Berufsunfähigkeitsrente so lange gewartet hatte, bis die gesetzliche Anfechtungsfrist abgelaufen war.
Ein Versicherungsnehmer hatte schon vor Vertragsschluss mit einer psychischen Erkrankung zu kämpfen, gab diese allerdings trotz Nachfrage des Versicherers nicht preis. Anschließend war er mehrere Male aufgrund der psychischen Erkrankung krankgeschrieben und wurde neun Jahre nach Vertragsabschluss aufgrund der Erkrankung berufsunfähig. Bei einer anderen Berufsunfähigkeitsversicherung stellte er in kurzem zeitlichen Zusammenhang einen Leistungsantrag. Hinsichtlich der in Rede stehenden Berufsunfähigkeitsversicherung stellte er einen solchen Leistungsantrag hingegen erst drei Tage nach Ablauf der zehnjährigen Anfechtungsfrist.
Das OLG Braunschweig nahm an, dass eine Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht vorläge. Die Nichtangabe der psychischen Erkrankung würde den Versicherer zur Anfechtung der Berufsunfähigkeitsversicherung berechtigten.
Zudem sah es das OLG Braunschweig als erwiesen an, dass der Versicherungsnehmer die Erkrankung arglistig verschweigen wollte, da er weniger stark das Leben beeinflussende, weiter zurückliegende Krankheiten angab. Die stärker das Leben beeinflussende, psychische Erkrankung, welche zeitlich deutlich dichter zum Abschluss der Berufsunfähigkeitsversicherung lag, verschwieg der Versicherungsnehmer jedoch.
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Allerdings war bei Abgabe der Anfechtungserklärung des Versicherers bereits so viel Zeit vergangen, dass die 10-jährige Anfechtungsfrist des Versicherers grundsätzlich bereits verstrichen war (siehe ausführlich dazu: Verspätete Arglistanfechtung in der Berufsunfähigkeitsversicherung?). Fraglich war daher, ob das Vertrauen des Versicherungsnehmers am Bestehen des Versicherungsvertrags dem Interesse des Versicherers an der Beseitigung des Vertrages überwiegt.
Das OLG Braunschweig sah es – wie auch das LG Göttingen in der Vorinstanz (LG Göttingen, Urt. v. 12.10.2021 – 5 O 25/20) – als erwiesen an, dass der Versicherungsnehmer vorliegend bewusst den Ablauf der Anfechtungsfrist abgewartet hat, bis er den Leistungsantrag stellte. Sonst wäre bei beiden Berufsunfähigkeitsversicherungen gleichzeitig ein Leistungsantrag zu erwarten gewesen.
Mit dem Abwarten der Anfechtungsfrist habe der Versicherungsnehmer jedoch seine vertraglichen Pflichten in besonderem Maße verletzt. Das von ihm gewählte Vorgehen verstoße daher gegen Treu und Glauben. Nach Treu und Glauben könne eine treuwidrige Beschaffung einer Rechtsposition – bei nicht hinreichender Rücksichtnahme auf die Rechte des Vertragspartners – dazu führen, dass diese nicht genutzt werden dürfe. Ebenso könne es sein, dass man sich bei bewusster treuwidriger Vereitelung einer Rechtsstellung des Vertragspartners nicht darauf berufen dürfe, dass dessen Recht nicht entstanden oder untergegangen sei (vgl. BGH, Urt. v. 28.10.2009 – IV ZR 140/08).
Das Abwarten der Anfechtungsfrist sei daher rechtsmissbräuchlich gewesen. Mithin schlägt nach Ansicht des OLG Braunschweig der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung durch und der Versicherungsnehmer hat keinen Anspruch auf Zahlung einer Berufsunfähigkeitsrente.
Das OLG Braunschweig hatte die Revision zum BGH nicht zugelassen. Aufgrund dessen wurde eine Nichtzulassungsbeschwerde zum BGH eingelegt. Am 23.10.2024 hat schließlich der BGH die Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen (Az.: IV ZR 229/23).
Die Rechtsprechung hat sich in diesem Einzelfall klar positioniert: Wer befürchtet, dass eine früher getätigte Falschangabe zur Folge haben wird, dass der Versicherer keine Leistungen aus der Berufsunfähigkeitsversicherung anerkennt, wenn noch keine zehn Jahre seit Vertragsschluss verstrichen sind, soll nicht darauf hoffen können, dies durch bewusstes Abwarten der Anfechtungsfrist umgehen zu können. Das OLG Braunschweig hat sich im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung deutlich zugunsten des Interesses des Versicherers, sich vom Vertrag lösen zu können, ausgesprochen.
Gleichwohl sind natürlich stets die Besonderheiten des Einzelfalles zu berücksichtigen. Sollte der Berufsunfähigkeitsversicherer daher den Versicherungsvertrag wegen einer vorvertraglichen Anzeigepflichtverletzung anfechten, so kann es sich durchaus anbieten, einen im Versicherungsrecht spezialisierten Rechtsanwalt mit der konkreten Prüfung des Einzelfalles zu beauftragen. Gerne stehen hierfür auch Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte zur Verfügung.
Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke ist Partner der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte und seit 2017 Fachanwalt für Versicherungsrecht. Während seiner Anwaltstätigkeit hat er bereits eine Vielzahl von gerichtlichen Verfahren im Versicherungsrecht geführt und erfolgreich für die Rechte von Versicherungsnehmern gestritten.
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