Nachschieben von Gründen für Rücktritt/Anfechtung

Das Vertrauen auf den Bestand des Versicherungsschutzes zählt zu den wichtigsten Bausteinen einer Versicherung. Doch macht der Versicherungsnehmer bei Antrag auf Abschluss des Versicherungsvertrages falsche Angaben, kann dem Versicherer beispielsweise ein Rücktrittsrecht (siehe dazu ausführlich: Der Rücktritt des Berufsunfähigkeitsversicherers) oder auch ein Anfechtungsrecht (siehe dazu ausführlich: Die Anfechtung durch den Berufsunfähigkeitsversicherer) zustehen. Aber welche Voraussetzungen müssen für die Ausübung der Rechte des Versicherers erfüllt sein und darf ein Nachschieben von Gründen durch den Versicherer erfolgen? Diese Fragen sollen nachstehend erläutert werden.

Voraussetzungen für einen Rücktritt vom Versicherungsvertrag?

Ein Rücktritt vom Versicherungsvertrag durch den Versicherer kommt nach § 19 Abs. 2 VVG in Betracht, wenn der Versicherungsnehmer seine Pflicht nach § 19 Abs. 1 VVG verletzt. Eine Pflichtverletzung liegt danach vor, wenn der Versicherungsnehmer die ihm bekannten Gefahrenumstände, die für den Entschluss des Versicherers, den Vertrag mit dem vereinbarten Inhalt zu schließen, erheblich sind und nach denen der Versicherer in Textform gefragt hat, nicht anzeigt (siehe dazu auch weiterführend: Die spontane Anzeigeobliegenheit – ein Mythos oder gelebte Pflicht?).

Ein Rücktrittsrecht besteht hingegen nicht, wenn der Versicherungsnehmer die Anzeigepflicht weder vorsätzlich noch grob fahrlässig verletzt hat. Dasselbe gilt, wenn der Versicherer den Vertrag bei Kenntnis der fraglichen Umstände trotzdem abgeschlossen hätte. Weiterhin muss der Versicherer den Versicherungsnehmer auch auf die Folgen der Anzeigepflichtverletzung schriftlich hingewiesen haben (siehe hierzu auch Zur Doppelbelehrung im Versicherungsantrag der Berufsunfähigkeitsversicherung (OLG Saarbrücken)). Bezüglich der Geltendmachung des Rücktrittsrechts gilt eine Monatsfrist. Die Frist beginnt ab dem Zeitpunkt der Kenntniserlangung des Versicherers von der Anzeigepflichtverletzung zu laufen.

Muss der Versicherer den Rücktritt begründen?

Aber wie hat der Versicherer seinen Rücktritt gegenüber dem Versicherungsnehmer zu begründen? Da ein fehlender Versicherungsschutz den Versicherungsnehmer in eine besonders vulnerable Situation versetzt, sind auch hier bestimmte Regeln zu beachten. Der Versicherer muss innerhalb der Monatsfrist zur Geltendmachung nicht nur den Rücktritt an sich erklären, sondern auch die Gründe für diesen. Dazu ist es ausreichend, wenn der Versicherer die Gründe für den Rücktritt skizziert, so dass dem Versicherungsnehmer sein Fehlverhalten klar vor Augen geführt wird. Dabei sollten die Gründe klar und prägnant formuliert werden, um eine Überforderung des Versicherungsnehmers zu vermeiden.

Aber was ist, wenn der Versicherer neben dem erklärten Rücktritt und den zunächst genannten Gründen weitere Gründe „nachschiebt“? Ein Nachschieben von Gründen ist nach § 21 Abs. 1 VVG innerhalb einer Monatsfrist grundsätzlich zulässig.

Wann die Frist beginnt, ist allerdings nicht klar geregelt. Es stellt sich die Frage, ob die Frist mit Kenntnis des ersten Rücktrittgrundes zu laufen beginnt oder für jeden Rücktrittsgrund neu zu laufen beginnt. Nach bisheriger Rechtsprechung ist zwischen zwei Varianten zu differenzieren. Kennt der Versicherer den weiteren Grund bereits bei Erklärung des Rücktritts und Angabe des ursprünglichen Grundes, so kann er diesen auch nur binnen einer Monatsfrist mit Beginn der Kenntnis des ursprünglichen Grundes nachschieben. Erlangt er aber erst nach Ablauf der Frist Kenntnis über einen weiteren Rücktrittsgrund, so kann er sein Rücktrittsrecht bezüglich dieses Grundes neu ausüben (OLG Nürnberg, Urt. v. 22. 10. 1998 – 8 U 1610/98).

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Was gilt bei der Ausübung des Anfechtungsrechts des Versicherers?

Ficht der Versicherer den Versicherungsvertrag an, so ist die Anfechtung auf Grund arglistiger Täuschung von allen weiteren Anfechtungsgründen abzugrenzen. Für die Frist und Form der Anfechtung sind zunächst die allgemeinen Regeln zu beachten.

Bezüglich des Nachschiebens von Gründen ist die Rechtsprechung jedoch lückenhaft. Nach der gesetzlichen Frist des § 124 BGB kann ein Nachschieben von Gründen innerhalb eines Jahres ab Kenntniserlangung erfolgen. Es muss aber geprüft werden, ob es sich tatsächlich um einen neuen Umstand handelt, der eine eigenständige Anfechtung begründet. Handelt es sich um einen neuen Umstand, beginnt für diesen auch eine eigene Jahresfrist ab Kenntniserlangung zu laufen (siehe auch Falschbeantwortung von Gesundheitsfragen eines MS-Erkrankten (OLG Frankfurt)).

Fazit zum Nachschieben von Gründen

Welche Rücktritts- oder Anfechtungsgründe der Versicherer angibt, kann besonders für eine rechtliche Überprüfung von Bedeutung sein. Denn je mehr Gründe vorliegen, umso wahrscheinlicher ist eine Entscheidung zugunsten des Versicherers. Daher sollte genau geprüft werden, wann der Versicherer von den Gründen Kenntnis erlangt hat und ob er diese auch fristgerecht erklärt hat.

Besonders relevant ist bei der Anfechtung aufgrund einer möglichen arglistigen Täuschung, ob es sich um einen eigenständigen Grund handelt, der ein neues Rücktritts- oder Anfechtungsrecht begründet, oder ob der fragliche Grund mit der bereits getätigten Erklärung zusammenhängt und dadurch nur durch ein Nachschieben dem Sachverhalt zugeordnet werden kann.

Ein Nachschieben von Gründen ist also durchaus möglich, jedoch nur unter gewissen rechtlichen Voraussetzungen. Im Streitfall kann es daher durchaus sinnvoll sein, einen im Versicherungsrecht spezialisierten Rechtsanwalt mit der genauen Prüfung des konkreten Sachverhaltes zu beauftragen. Gerne stehen hierfür auch Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte zur Verfügung.

Zum Autor: Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke

Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke ist Partner der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte und seit 2017 Fachanwalt für Versicherungsrecht. Während seiner Anwaltstätigkeit hat er bereits eine Vielzahl von gerichtlichen Verfahren im Versicherungsrecht geführt und erfolgreich für die Rechte von Versicherungsnehmern gestritten.

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Fachanwalt für Versicherungsrecht erklärt, wann ein Nachschieben von Gründen nach einem Rücktritt oder einer Anfechtung des Versicherungsvertrages möglich ist.

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