Das OLG Naumburg hatte über die Inhaltsanforderungen an die ärztliche Invaliditätsfeststellung und der Hinweispflicht des Versicherers zu befassen (Urt. v. 01.02.2022- 1 U 26/21).
Der Versicherungsnehmer unterhält eine private Unfallversicherung. Seine Ehefrau ist mitversichert. Sie erlitt einen Unfall, den der Versicherungsnehmer acht Monate später dem Versicherer mitteilte.
Der Versicherer teilte dem Versicherungsnehmer die Voraussetzungen für einen Anspruch auf eine Invaliditätsleistung mit. Nach dem Allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen muss die Invalidität innerhalb von 21 Monaten nach dem Unfall eingetreten, von einem Arzt schriftlich festgestellt und geltend gemacht sein. Der Versicherer wies darauf hin, dass nach Ablauf dieser Frist kein Anspruch auf die Invaliditätsleistung mehr besteht. Im selben Zuge bat der Versicherer um Rücksendung der beigefügten, vollständig auszufüllenden Schadensanzeige.
Der Versicherungsnehmer erklärte, dass seine Ehefrau sich eine Kopfverletzung mit Nervenschädigung zugezogen habe und eine Invalidität noch unklar sei. Nach 20 Monaten, in denen seine Ehefrau arbeitsunfähig war, teilte der Versicherungsnehmer dem Versicherer mit, dass von einer dauernden Beeinträchtigung auszugehen sei. Der Versicherer übersandte daraufhin einen Vordruck zum Nachweis der unfallbedingten Invalidität. Dieser sollte vom behandelnden Facharzt ausgefüllt werden. Die Neurologin der Ehefrau füllte die Vorlage des Versicherers aus. Sie setzte zwei Kreuze im vorgedruckten Teil der Bescheinigung, ohne nähere Angaben zum Körper- oder Gesundheitsschaden einschließlich der Diagnosen zu machen.
Der Versicherer lehnte seine Leistungspflicht ab, da das fachärztliche Attest keine Erstdiagnose sei. Die Inhaltsanforderungen an die ärztliche Invaliditätsfeststellung seien daher nicht erfüllt. Der Versicherungsnehmer erhob daraufhin Klage.
Das Landgericht Halle wies die Klage des Versicherungsnehmers ab (Urt. v. 04.02.2021 – 5 O 29/20). Hiergegen wendet sich die Berufung des Versicherungsnehmers. Dieser vertrat die Auffassung, dass eine ausreichende Invaliditätsfeststellung vorliege. Der Bescheinigung lasse sich entnehmen, dass das Unfallereignis für den dauerhaften Schaden mitursächlich sei. Zudem habe der Versicherer gegen seine Informationsobliegenheit verstoßen, da in den Vertragsbedingungen von der Feststellung durch einen Facharzt, in dem späteren Hinweis jedoch von einem Arzt die Rede ist. Daher sei ein fehlerhafter Hinweis zu den Anspruchsvoraussetzungen erfolgt.
Der Versicherer berief sich darauf, dass die Voraussetzungen für die Invaliditätsleistung nicht vorlägen. Eine unfallbedingte Erstschädigung sei nicht schlüssig vorgetragen worden. Außerdem sei kein unfallbedingter Dauerschaden ersichtlich. Die ärztlichen Bescheinigungen der Neurologin seien unzureichend.
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Das OLG Naumburg entschied, dass die vorgelegten Bescheinigungen den Inhaltanforderungen an die ärztliche Invaliditätsfeststellung nicht genügen.
Die Bescheinigung der Neurologin wurde den Inhaltsanforderungen an die ärztliche Invaliditätsfeststellung nicht gerecht. Das OLG Naumburg erklärte, dass eine ärztliche Äußerung, der nicht deutlich zu entnehmen ist, welche ärztlich bestätigte Verletzung die versicherte Person erlitten hat und wie diese Schädigung Einfluss auf die körperliche oder geistige Leistungsfähigkeit genommen hat, keine ärztliche Invaliditätsfeststellung enthält.
Die Invaliditätsfeststellung erfordert neben der Mitteilung einer Erstdiagnose eine von ärztlicher Sachkunde und Erfahrung getragene Beurteilung. Diese muss Aufschluss darüber liefern, ob und in welchem Umfang bestimmte Gesundheitsschädigungen auf dem Unfallereignis beruhen und ob diese die körperliche oder geistige Leistungsfähigkeit der versicherten Person auf Dauer mindern würden (siehe auch: Anforderungen an die ärztliche Invaliditätsfeststellung (BGH)). Die ärztliche Bescheinigung der Neurologin beschrieb hier weder bestimmte unfallbedingte Gesundheitsschäden noch den dadurch hervorgerufenen Dauerschaden.
An die ärztliche Feststellung der Invalidität sind grundsätzlich keine hohen Anforderungen zu stellen. Sie muss die Versicherung nur in die Lage versetzen, dem Versicherungsfall nachzugehen, ihre Leistungspflicht in medizinischer Hinsicht fachbereichsbezogen zu prüfen und Spätschäden abzugrenzen. Der Versicherer soll bei seiner Leistungsprüfung vor der späteren Geltendmachung völlig anderer Invaliditätsursachen geschützt werden (siehe auch: Inhalt der ärztlichen Invaliditätsfeststellung in der Unfallversicherung (OLG Dresden)).
Erforderlich sind jedoch die Angabe eines konkreten, die Leistungsfähigkeit beeinflussenden Gesundheitsschadens und die Aussage, dieser sei Unfallfolge und von Dauer. Darüber hinaus müssen sich aus der Feststellung für die Invalidität angenommene Ursache und die Art ihrer Auswirkungen ergeben. Die hier in der ärztlichen Bescheinigung genannten Hirnnervenerkrankungen und die Anpassungsstörungen wurden ausdrücklich nicht als Erstdiagnose ausgewiesen. Für den Versicherer blieb dadurch offen, auf welchen medizinischen Zusammenhang mit welcher Reichweite sich die ärztlichen Erhebungen zu erstrecken haben.
Zeigt ein Versicherungsnehmer einen Versicherungsfall an, hat ihn der Versicherer auf vertragliche Anspruchs- und Fälligkeitsvoraussetzungen sowie einzuhaltende Fristen in Textform hinzuweisen (siehe auch: Hinweispflicht gegenüber Versicherten auf Fristen in der Unfallversicherung (BGH)).
Vorliegend wandte sich der Versicherer nach der Schadensanzeige schriftlich an den Versicherungsnehmer, um die Anspruchsvoraussetzungen und die einzuhaltenden Fristen hervorzuheben. Der Hinweis entsprach den Versicherungsbedingungen in einem Punkt allerdings nicht. In den AUB wird die schriftliche Feststellung durch einen Facharzt verlangt, während der Hinweis auf einen Arzt abstellte.
Setzen die Bedingungen die Feststellung durch einen Facharzt voraus und beschränkt sich der notwendige Hinweis des Versicherers auf einen Arzt, ist damit jedoch lediglich das Angebot zum möglichen Abweichen von den Bedingungen zugunsten des Versicherungsnehmers verbunden, dass der Versicherungsnehmer annimmt, wenn er sich auf die fristgerecht eingereichte Invaliditätsfeststellung eines Arztes stützt. Damit wird aber der vom Versicherer erteilte Hinweis nicht unrichtig.
Der Versicherungsnehmer hat in dem vorliegenden Fall die Bescheinigung eines Facharztes eingereicht. Damit ist den Anforderungen des Versicherungsvertrages jedenfalls genügt. Das OLG Naumburg wies die Berufung des Versicherungsnehmers daher zurück.
Die ärztliche Invaliditätsfeststellung kann in der Praxis zu juristischen Auseinandersetzungen führen. Die Nichteinhaltung der Frist zur ärztlichen Invaliditätsfeststellung kann dabei dazu führen, dass dem Versicherungsnehmer eine Invaliditätsleistung versagt wird (siehe auch: Die Fristen in der Unfallversicherung). Wie der Fall vor dem OLG Naumburg hingegen zeigt, sind auch die Inhaltanforderungen an die ärztliche Invaliditätsfeststellung nicht zu unterschätzen. Es kann sich daher durchaus empfehlen, bei Eintritt des Versicherungsfalls frühzeitig juristische Beratung durch einen im Versicherungsrecht spezialisierten Rechtsanwalt in Anspruch zu nehmen. Gerne stehen hierfür Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte zur Verfügung.
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