Das LG Coburg hatte über die Einhaltung der Schriftform als Voraussetzung der ärztlichen Invaliditätsfeststellung zu entscheiden (Urt. v. 14.02.2024 – 12 O 362/23).
Die Versicherungsnehmerin unterhielt eine Unfallversicherung. Nach den Allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen (AUB) war Voraussetzung für einen Leistungsanspruch, dass eine dauerhafte Beeinträchtigung der körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit als Unfallfolge (Invalidität) innerhalb eines Jahres nach dem Unfall eingetreten sowie spätestens vor Ablauf einer Frist von weiteren drei Monaten ärztlich festgestellt und vom Versicherungsnehmer geltend gemacht worden ist.
Die Versicherungsnehmerin rutschte aus und fiel auf beide Knie. Sie war bereits in der Vergangenheit am Innenmeniskus operiert worden. Anschließend behauptete, sie sei infolge des Sturzes nicht mehr in der Lage, das rechte Knie dauerhaft zu belasten. Treppen steigen, sich hinknien etc. wurde dadurch ebenfalls unmöglich. Laut der Versicherungsnehmerin liege damit eine dauerhafte Beeinträchtigung des rechten Beines in Höhe von mindestens 20 Prozent vor.
Die Versicherungsnehmerin stellte einen Leistungsantrag beim Versicherer. Sie legte Unterlagen des behandelnden Arztes vor. Darunter Angaben zum Unfallereignis, der Diagnose sowie zur Meniskusschädigung und zum Krankenhausaufenthalt. Der Versicherer lehnte den Leistungsantrag der Versicherungsnehmerin jedoch ab. Es fehlte nach seinem Dafürhalten am Nachweis des versicherten bedingungsgemäßen Erstkörperschadens.
Die Versicherungsnehmerin vertrat die Auffassung, dass keine Schriftform als Voraussetzung der ärztlichen Invaliditätsfeststellung bestünde. Der Versicherer hingegen berief sich auf die Nichteinhaltung der Frist zur ärztlichen Invaliditätsfeststellung sowie zur Geltendmachung der Invalidität. Da eine schriftliche ärztliche Invaliditätsfeststellung verlangt werden müsse, komme eine spätere Vernehmung des behandelnden Arztes als Zeuge zum Nachweis der fristgemäßen ärztlichen Invaliditätsfeststellung bei Fehlen der Schriftlichkeit nicht in Betracht.
Das LG Coburg wies die Klage der Versicherungsnehmerin ab. Es konnte dahinstehen, ob es sich bei dem Ereignis um einen bedingungsgemäßen Unfall handelte, denn es fehlte an der ärztlichen Invaliditätsfeststellung.
Die Wahrung der Frist zur ärztlichen Invaliditätsfeststellung erfordert, dass ein unfallbedingter Dauerschaden bezeichnet wird, der durch bestimmte Symptome gekennzeichnet ist. Der ärztlichen Feststellung muss sich also die angenommene Ursache und die Art ihrer dauerhaften Auswirkung auf die Gesundheit des Versicherten entnehmen lassen. Zwar sind inhaltlich an die ärztliche Feststellung der Invalidität keine zu hohen Anforderungen zu stellen. Namentlich braucht noch nicht zu einem bestimmten Grad der Invalidität abschließend Stellung genommen zu werden. Erst recht ist es nicht erforderlich, dass die Feststellung einen an der Gliedertaxe ausgerichteten Invaliditätsgrad enthält. Auch ist es unerheblich, ob die Feststellungen zur Ursache der gesundheitlichen Beeinträchtigungen und der Art ihrer Auswirkung richtig sind. Indessen muss sich der ärztlichen Feststellung jedenfalls eine Prognose über eine bereits eingetretene bzw. zu erwartende Invalidität entnehmen lassen, denn sie soll dem Versicherer Gelegenheit geben, dem geltend gemachten Versicherungsfall nachzugehen und seine Leistungspflicht auf der Grundlage der ärztlichen Feststellung zu überprüfen (siehe auch: Inhalt der ärztlichen Invaliditätsfeststellung in der Unfallversicherung (OLG Dresden)). Aus keiner der vorgelegten Unterlagen ergab sich vorliegend jedoch eine verbindliche Feststellung eines unfallbedingten Dauerschadens, so das LG Coburg. Es wurde auch nicht dokumentiert, dass die Versicherungsnehmerin ihr Knie nicht mehr anwinkeln oder belasten könne.
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Die Invaliditätsfeststellung muss innerhalb der Frist schriftlich erfolgen. Die Schriftform als Voraussetzung der ärztlichen Invaliditätsfeststellung lässt sich nicht dem Wortlaut der AUB-Regelung entnehmen. Wird dem Versicherer aber keine schriftliche Invaliditätsfeststellung übermittelt, so ist er zu einer eigenen Nachprüfung der Befunde, ihrer Dauerhaftigkeit sowie der Unfallursächlichkeit nicht in der Lage. Er müsste vielmehr abwarten, bis unter Umständen ein Arzt in einem gerichtlichen Verfahren Angaben dazu macht, ob und welche Feststellungen er innerhalb der 15-Monatsfrist getroffen hat. Durch eine solche Vorgehensweise würde auch der bezweckte Ausschluss von Spätschäden nicht zuverlässig erreicht.
Würde keine Schriftform als Voraussetzung der ärztlichen Invaliditätsfeststellung bestehen, wäre unklar was als ärztliche Feststellung zu verstehen ist. Die ärztliche Feststellung dürfte mehr voraussetzen als die bloße Erhebung von Befunden und die Behandlung des Patienten. Vielmehr muss der Arzt zu irgendeinem Zeitpunkt als Ergebnis der Behandlung im Sinne eines Willens- und Entscheidungsaktes zu dem Schluss gekommen sein, dass bei dem Versicherungsnehmer dauerhaft eine unfallbedingte Invalidität vorliegt. Hierfür dürfte es dann wiederum keinesfalls genügen, dass der Arzt diese Feststellung nur als inneren Vorgang trifft und zunächst überhaupt nicht nach außen kundtut. Anderenfalls wäre das Fristerfordernis faktisch obsolet, weil außer der Aussage des Arztes, er habe irgendwann einmal im Laufe der Frist eine Invaliditätsfeststellung getroffen, keinerlei objektivierbare Tatsachen mehr vorhanden wären.
Vor diesem Hintergrund wird grundsätzlich das Vorliegen einer Feststellung in Schriftform gefordert. Das LG Coburg erklärte, dass dies auch keine unzumutbare Überforderung der Versicherungsnehmerin darstellt, da an den Inhalt der Invaliditätsfeststellung nur geringe Anforderungen zu stellen sind. Ferner kann es dem Versicherer verwehrt sein, sich auf das Fehlen einer Invaliditätsfeststellung zu berufen (siehe auch: Ablauf der Frist für ärztliche Invaliditätsfeststellung (BGH)).
Versicherungsnehmer sind selbst für die Einhaltung der Fristen in der Unfallversicherung verantwortlich. Der Frist der ärztlichen Invaliditätsfeststellung kommt dabei oftmals eine entscheidende Rolle zu. Daher kann es durchaus empfehlenswert sein, frühzeitig die Expertise eines im Versicherungsrecht spezialisierten Rechtsanwalts in Anspruch zu nehmen. Gerne stehen hierfür auch Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte zur Verfügung.
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