Das LG Fulda hatte über die Fälligkeit des Entschädigungsanspruches des Versicherungsnehmers bei Durchführung eines Sachverständigenverfahren zu entscheiden (LG Fulda, Urt. v. 27.03.2024 – 4 O 13/23).
Die Versicherungsnehmerin begehrte in dem Fall vor dem Landgericht Fulda Entschädigungsleistungen aus einer Gebäudeversicherung. Auf dem versicherten Grundstück befand sich ein Gebäude mit Büro-, Lager- und Verwaltungsfläche sowie zwei weitere Gebäudeteile, welche als Lagerhalle genutzt wurden.
Im Juli 2020 kam es auf dem versicherten Grundstück zu einem Brandausbruch. Durch den Brand wurden die sich auf dem Grundstück befindlichen Lagerhallen vollständig zerstört. Das Bürogebäude wurde beschädigt. Zur Feststellung der Schadenshöhe wurde auf Verlangen der Versicherungsnehmerin ein Sachverständigenerfahren durchgeführt. Der von der Versicherungsnehmerin bestellte Sachverständige gelangte in seinem Gutachten zu einem Neuwert in Höhe von rund 1.244.000 Euro und zum Zeitwert in Höhe von rund 940.000 Euro. Das Gutachten des vom Versicherer bestellten Sachverständigen hingegen stellte einen Neuwert in Höhe von rund 1.780.000 Euro und einen Zeitwert von 1.100.000 Euro fest.
Da die Sachverständigen nicht zu übereinstimmenden Ergebnissen gelangten, kam es auf das Obmanngutachten an. Jedoch lehnte der als Obmann bestellte Sachverständige den Auftrag aufgrund seiner Arbeitsbelastung ab und bat darum, den Auftrag anderweitig zu vergeben.
In der Folgezeit zahlte der Versicherer der Versicherungsnehmerin Abschläge in Höhe von zunächst 850.000 Euro. Ferner stellte der Versicherer eine weitere Abschlagszahlung in Höhe von 600.000 Euro unter dem Vorbehalt der Rückforderung in Aussicht, für den Fall, dass sich nach der noch ausstehenden Entscheidung des Obmanns ein unterhalb des bereits regulierten Betrags ergeben würde.
Die Versicherungsnehmerin begehrte nun vor dem LG Fulda weitere Leistungen vom Versicherer. Sie trägt vor dem LG Fulda vor, dass zwischen den Parteien durchgeführte Sachverständigenverfahren sei mit der Rückgabe des Gutachtenauftrages durch den Sachverständigen gescheitert, sodass sie nunmehr die Versicherungsleistung einklagen könne. Der Versicherer hingegen ist der Auffassung, vor Abschluss des Sachverständigenverfahrens läge jedenfalls keine Fälligkeit des Entschädigungsanspruches vor.
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Das LG Fulda entschied, dass der Versicherungsnehmerin die begehrte Entschädigung zum Zeitpunkt der Geltendmachung vor dem LG Fulda, das heißt vor Abschluss des Sachverständigenverfahrens, nicht zustand.
Das LG Fulda entschied, dass die Klage der Versicherungsnehmerin auf Zahlung der vereinbarten Entschädigungsleistung vorliegend zwar nicht unzulässig, aber als derzeit unbegründet abzuweisen ist, da das Sachverständigenverfahren noch nicht abgeschlossen war. Die Fälligkeit des Entschädigungsanspruches tritt vor Abschluss des Sachverständigenverfahrens nicht ein, weil der Versicherer noch keine abschließende Entscheidung über seine Deckungspflicht- bzw. hier die Entschädigungshöhe getroffen hat.
Die Parteien haben vorliegend vereinbart, dass nach Eintritt des Versicherungsfalls die Höhe des Schadens in einem Sachverständigenverfahren festzustellen ist. Das Sachverständigenverfahren kann durch Vereinbarung auf weitere Feststellungen zum Versicherungsfall ausgedehnt werden. Dies betrifft sonstige tatsächliche Voraussetzungen des Entschädigungsanspruchs sowie die Höhe der Entschädigung.
Die Gutachten der jeweiligen Sachverständigen weichen vorliegend voneinander ab. Es handelt sich dabei um erhebliche Abweichungen von mehr als 10 Prozent, sodass die Feststellungen der Sachverständigen dem Obmann vorzulegen waren. Feststellungen des Obmanns sind für die Parteien verbindlich, es sei denn es wird nachgewiesen, dass sie von der wirklichen Sachlage erheblich abweichen (siehe hierzu: OLG Koblenz zur Verbindlichkeit eines Obmanngutachtens in der Wohngebäudeversicherung). Auf Grundlage dieser verbindlichen Feststellungen berechnet der Versicherer die Entschädigung. Das einzuholende Obmanngutachten stand vorliegend noch aus.
Das LG Fulda erklärt, dass entgegen der Auffassung der Versicherungsnehmerin, ein Sachverständigenverfahren nicht allein deswegen scheitert, weil der Sachverständige mitteilt, das Gutachten wegen Überlastung nicht erstellen zu können. Sofern die bestellten Sachverständigen die nötigen Feststellungen nicht treffen können oder wollen, erfolgt die Feststellung durch gerichtliche Entscheidung (vgl. § 84 Abs. 1 S. 3 VVG).
Es ist hier auch nicht festzustellen, dass die Arbeitsüberlastung des zum Obmann bestellten Sachverständigen andauert. Selbst wenn dies der Fall wäre, ist das Sachverständigenverfahren nicht gescheitert, da in diesem Fall in der Regel ein anderer Sachverständiger zu benennen ist. Die Fälligkeit des Entschädigungsanspruchs ist somit auch nicht ausnahmsweise deshalb gegeben, weil das Sachverständigenverfahren gescheitert ist.
Sachverständigengutachten sind insbesondere im Bereich der Gebäudeversicherung ein gängiges Mittel zur Schadensermittlung sowie zur Schadensregulierung. Allerdings hängt damit auch die Fälligkeit des Entschädigungsanspruches vom Fortgang des Sachverständigenverfahrens ab. Dies kann jedoch, wie der Fall vor dem LG Fulda verdeutlicht, zu juristischen Auseinandersetzungen führen. Bei rechtlichen Problemen oder Fragen ist es daher empfehlenswert, sich durch einen im Versicherungsrecht spezialisierten Rechtsanwalt beraten zu lassen. Gerne stehe hierfür auch Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte zur Verfügung. Weitere Informationen zum Sachverständigenverfahren finden Sie auch unter Das Sachverständigenverfahren.
Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke ist Partner der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte und seit 2017 Fachanwalt für Versicherungsrecht. Während seiner Anwaltstätigkeit hat er bereits eine Vielzahl von gerichtlichen Verfahren im Versicherungsrecht geführt und erfolgreich für die Rechte von Versicherungsnehmern gestritten.
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