Rechtsanwalt für private Krankenversicherung - PKV

Anzeigeobliegenheit bei Bagatellerkrankungen (LG Kiel)

Das LG Kiel hatte über das Rücktrittsrecht eines privaten Krankenversicherers wegen Verletzung der Anzeigeobliegenheit bei Bagatellerkrankungen zu entschieden (Urt. v. 23.11. 2012 – 5 O 46/12).

Versicherungsnehmerin verschweigt Beschwerden

Die Versicherungsnehmerin unterhielt eine private Krankenversicherung. In dem Versicherungsantrag wurde sie unter anderem gefragt, ob in den letzten drei Jahren, und sofern bejaht, welche Beschwerden, Krankheiten, Anomalien und/oder Unfallfolgen vorgelegen hätten. Ferner wurde die Frage gestellt, ob in diesem Zeitraum Untersuchungen von Ärzten oder angehörigen anderer Heilberufe vorgenommen wurden. Die Versicherungsnehmerin beantwortete diese Fragen, indem sie eine selbst angefertigte Liste sowie einen Brief ihrer Ärztin einreichte.

Infolge einer Leistungsüberprüfung wurden Auskünfte des Vorversicherers und der behandelnden Ärzte vom Versicherer eingeholt. Anschließend erklärte der Versicherer den Rücktritt vom Versicherungsvertrag (siehe hierzu auch Der Rausschmiss aus der privaten Krankenversicherung). Zur Begründung führte er an, dass die Versicherungsnehmerin ihre Anzeigeobliegenheit verletzt habe (siehe auch: Die vorvertragliche Anzeigepflicht). Sie habe Allergien, Bauchschmerzen, eine chronische Nasennebenhöhlenentzündung sowie Atembeschwerden als Beschwerden und Erkrankungen nicht angegeben.

Hiergegen richtet sich die Klage der Versicherungsnehmerin vor dem Landgericht Kiel. Sie behauptete, dass ihr die Beschwerden nicht bekannt gewesen seien und sie den Antragsfragebogen besten Gewissens ausgefüllt habe. Eine chronische Nasennebenhöhlenentzündung sei bei ihr nicht diagnostiziert worden. Auch eine Allergie sei der Versicherungsnehmerin nicht bekannt.

Kein Rücktrittsrecht des Versicherers

Das LG Kiel entschied, dass die Voraussetzungen des Rücktritts hier nicht vorlagen. Der Versicherungsnehmer hat nämlich bis zur Abgabe seiner Vertragserklärung nur die ihm bekannten Gefahrumstände anzuzeigen, die für den Entschluss des Versicherers, den Vertrag mit diesem Inhalt zu schließen erheblich sind. Hiergegen habe die Versicherungsnehmerin nicht verstoßen.

Keine Anzeigeobliegenheit bei Bagatellerkrankungen

Die Krankheitsmerkmale der chronischen Nasennebenhöhlenentzündung waren Nasenkribbeln und Niesreiz. Derartige Bagatellbeschwerden müssen nicht angegeben werden, so das LG Kiel. In dem Antragsformular heißt es ausdrücklich, dass kurzfristige Erkrankungen wie Husten und Schnupfen nicht anzeigepflichtig sind. Aus den Behandlungsunterlagen ergibt sich auch nicht, dass diesbezüglich eine häufigere Behandlung notwendig war.

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Verstoß gegen Anzeigeobliegenheit beschränkt sich auf gefahrerhebliche Umstände

Das LG Kiel erklärte, dass die Bauchschmerzen sowie die Atembeschwerden keine gefahrerheblichen Umstände darstellen. Es handelt sich hierbei um vergleichsweise unbedeutende Diagnosen, die im Regelfall nur mit vorübergehenden Beeinträchtigungen einhergehen und dann schnell in Vergessenheit geraten. Gefahrerheblich sind jedoch nur solche Umstände, die geeignet sind, auf den Entschluss des Versicherers, den Vertrag überhaupt oder zu dem vereinbarten Inhalt abzuschließen, einen Einfluss auszuüben.

Der Versicherungsnehmer genügt seiner Darlegungslast bereits dann, wenn er pauschal behauptet, der betreffende Umstand sei nicht gefahrerheblich. Liegt die Gefahrerheblichkeit nicht auf der Hand, ist es Sache des Versicherers seine Risikoprüfungsgrundsätze substanziiert vorzutragen (BGH, Urt. v. 20.09.2000 – IV ZR 203/99). Bei den insoweit herangezogenen Diagnosen ist eine solche offensichtliche Gefahrerheblichkeit nicht erkennbar. Weder waren bei den hier vorliegenden Beschwerden häufigere Behandlungen notwendig, noch ist aus den Unterlagen überhaupt eine Therapie zu entnehmen. Auch die Zusammenschau der einzelnen Beschwerden vermag nicht das Gesamtbild einer offenkundig gefahrerheblichen Gesundheitsstörung zu vermitteln, so das LG Kiel. Der Versicherer hat hier darüber hinaus nicht hinreichend dargelegt, dass er den Vertrag nicht geschlossen hätte, wenn ihm die Umstände bekannt gewesen wären.

Auch hinsichtlich der behaupteten Allergie fehlt es an substanziierten Darlegungen des Versicherers. Das LG Kiel erklärte, dass eine vorhandene Allergie einen gefahrerheblichen Umstand darstellen kann. Dies bedarf jedoch näherer Darlegung. Allergien sind weit verbreitet und verschiedener Natur. Inwieweit diese gefahrerheblich in einem Umfang sein soll, dass der Versicherer den Vertrag nicht abgeschlossen hätte, auch im Zusammenwirken mit weiteren Diagnosen, ist nicht dargelegt. Eine Überprüfung, ob die vorhandene Allergie offensichtlich gefahrerheblich war, ist in Anbetracht der insoweit unsubstantiiert vorgetragenen Diagnose nicht möglich.

Rücktrittsrecht nur bei vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der Anzeigeobliegenheit

Selbst wenn man hier von einer objektiven Verletzung der Anzeigeobliegenheit bei Bagatellerkrankungen ausgehen würde, wäre ein Rücktritt ausgeschlossen, so das LG Kiel. Voraussetzung des Rücktritts ist, dass die Versicherungsnehmerin die Anzeigeobliegenheit vorsätzlich oder grob fahrlässig verletzt. Vorsätzliches Verhalten der Versicherungsnehmerin konnte das LG Kiel hier ausschließen.

Grobe Fahrlässigkeit fällt demjenigen zur Last, der die erforderliche Sorgfalt nach den gesamten Umständen in ungewöhnlich grobem Maß verletzt und dasjenige unbeachtet lässt, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen. Das Fehlen grober Fahrlässigkeit muss der Versicherungsnehmer beweisen. Die Versicherungsnehmerin durfte vorliegend jedoch die nicht aufgeführten Beschwerden als Bagatelle einordnen. Daher ist von grober Fahrlässigkeit nicht auszugehen. Die Diagnosen hatten nur einmalige Arztbesuche und keine Therapien zur Folge. Da sich keine Behandlung anschloss, durfte die Versicherungsnehmerin von harmlosen Störungen ausgehen.

Fazit

Die Entscheidung des LG Kiel zeigt, dass an eine Verletzung der Anzeigeobliegenheit bei Bagatellerkrankungen durchaus besondere Maßstäbe zu setzen sind. Der Versicherer ist also nicht in jedem Fall zum Rücktritt berechtigt (siehe auch Anzeigepflicht bei Bagatellerkrankungen (OLG Köln)). Gleichwohl dürfte es auch stets auf die vom Versicherer gestellte Antragsfrage ankommen. Außerdem stellt sich auch die Frage, welche Umstände konkret gefahrerheblich gewesen sind. Ob eine Erkrankung also tatsächlich eine Bagatelle darstellt, ist durchaus mit rechtlichen Unsicherheiten verbunden. Daher kann es sich anbieten, nach einem Rücktritt die Expertise eines im Versicherungsrecht spezialisierten Rechtsanwalts in Anspruch zu nehmen. Gerne stehen hierfür auch Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte zur Verfügung.

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Zum Autor: Rechtsanwalt Jens Reichow

Rechtsanwalt Reichow ist Partner der Hamburger Kanzlei Jöhnke & Reichow. Er betreut vor Allem Verfahren im Versicherungsrecht, zur Haftung von Versicherungsvermittlern und Streitigkeiten aus dem Handelsvertreterrecht. Nähere Angaben zu Jens Reichow finden Sie unter folgendem Anwaltsprofil:

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