Das KG Berlin hatte sich mit der Frage zu befassen, ob das Verschweigen einer Behinderung eine arglistige Täuschung darstellt, die den Versicherer zur Anfechtung des Versicherungsvertrages berechtigt (Hinweisbeschluss v. 24.11.2023 – 6 U 1116/20).
Im Fall vor dem Kammergericht Berlin machte der Versicherungsnehmer Leistungen aus einer Pflegezusatzversicherung gegen den Versicherer geltend. Zwischen dem Versicherungsnehmer und dem Versicherer bestand seit Mai 2016 ein Pflegezusatzversicherung. Dieser wurde durch einen Versicherungsmakler vermittelt.
In dem im Zuge der Antragsstellung auszufüllenden Gesundheitsfragebogen galt es Angaben bezüglich des Bestehens einer Behinderung sowie der Höhe des Grades der Behinderung zu tätigen. Derartige Fragen wurden vom Versicherungsnehmer mit „nein“ beantwortet. Zudem gab der Versicherungsnehmer keine diagnostizierten Vorerkrankungen an.
Allerdings erhielt der Versicherungsnehmer bereits im Jahr 2003 einen Bescheid des Landesamtes für Gesundheit und Soziales, in dem ein Grad der Behinderung in Höhe von 30 festgestellt wurde. Der Versicherungsnehmer litt an Bluthochdruck, einem Halswirbelsäulen-Syndrom, der Dekompression des Spinalkanals sowie einem operativ behandelten Bandscheibenvorfall. Die Funktionsbeeinträchtigungen führten zu einer dauernden Einbuße der körperlichen Beweglichkeit.
Der Versicherungsnehmer stellte einen Leistungsantrag beim Versicherer, nachdem seine gesetzliche Krankenversicherung ihm seit September 2016 eine Pflegebedürftigkeit in der Pflegestufe 1 zuerkannte. Daraufhin forderte der Versicherer Behandlungsunterlagen der behandelnden Ärzte des Versicherungsnehmers an. Diese ergaben, dass bereits vor Vertragsschluss Vorerkrankungen des Versicherungsnehmers diagnostiziert wurden. Mit Schreiben vom 02.10.2017 erklärte der Versicherer daher die Anfechtung der Pflegezusatzversicherung, da das Verschweigen einer Behinderung nach seiner Ansicht eine arglistige Täuschung darstelle. Zudem hätte er den Antrag des Versicherungsnehmers bei entsprechender Angabe der Behinderung abgelehnt.
Hiergegen wendete sich der Versicherungsnehmer zunächst vor dem Landgericht Berlin. Er begehrte Zahlungen aus der streitgegenständlichen Pflegezusatzversicherung sowie die Feststellung des Fortbestehens der Leistungspflicht des Versicherers, da die erklärte Anfechtung unwirksam sei. Er berief sich darauf, dass der Fragebogen zum Antragsformular nicht von ihm selbst, sondern von dem vermittelnden Versicherungsmakler vorgelesen wurde. Die Frage nach dem Grad der Behinderung sei eine unzulässige Antragsfrage, die für die streitgegenständliche Versicherung keine Relevanz habe.
Das LG Berlin wies die Klage vollumfänglich ab, da der Versicherer seine auf den Vertragsschluss gerichtete Willenserklärung wirksam habe anfechten können. Der Versicherungsnehmer habe die Frage zum Grad der Behinderung wahrheitswidrig verneint. Zudem handele es sich um eine – entgegen der Auffassung des Versicherungsnehmers – zulässige Antragsfrage. Hiergegen legte der Versicherungsnehmer Berufung vor dem KG Berlin ein.
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Das KG Berlin beabsichtigte, die Berufung gegen das Urteil des LG Berlin vollständig zurückzuweisen. Das Verschweigen einer Behinderung stellte auch nach seinem Dafürhalten eine arglistige Täuschung des Versicherungsnehmers dar. Zudem handelt es sich bei Fragen nach dem Vorliegen einer Behinderung beim Abschluss einer Pflegezusatzversicherung um zulässige Antragsfragen.
Das KG Berlin war der Meinung, dass Fragen nach dem Bestehen einer Behinderung bei Beantragung einer Pflegezusatzversicherung zulässig sind. Der Versicherungsnehmer war der Auffassung, die Frage nach dem Grad der Behinderung hätte keine Relevanz für die Pflegezusatzversicherung. Dem hielt das KG Berlin vorliegend entgegen, dass bereits die Definition der Pflegebedürftigkeit auf körperliche Krankheiten oder Behinderung abstellt. Die beim Versicherungsnehmer festgestellten Funktionsstörungen können daher entscheidend für die Risikobewertung für den künftigen Eintritt einer Pflegebedürftigkeit sein.
Der Versicherer konnte seine auf den Abschluss des Versicherungsvertrages gerichtete Willenserklärung vorliegend wirksam anfechten. Nach Ansicht des KG Berlin hatte der Versicherungsnehmer den Versicherer arglistig getäuscht, da er den Grad der Behinderung von 30 nicht angegeben hat, obwohl dieser ihm bereits 2003 schriftlich bekannt gegeben wurde.
Zum Vorliegen der Arglist reicht es aus, dass der Versicherungsnehmer in dem Bewusstsein handelt, dass der Versicherer seinen Antrag nicht oder nur unter erschwerten Bedingungen annehmen werde, wenn er wahrheitsgemäße Angaben macht. Eine Schädigungsabsicht oder ein moralisches Unwerturteil sind nicht erforderlich. Eine plausible Erklärung dafür, dass der Versicherungsnehmer die Gesundheitsfrage bzgl. bestehender Behinderungen ausdrücklich verneinte, ist hier nicht erkennbar, so das KG Berlin. Den Versicherungsnehmer trifft hier eine sekundäre Darlegungslast. Das heißt er müsste plausibel darlegen, wie und weshalb es zu diesen objektiv falschen Angaben gekommen ist (vgl. BGH, Urt. v. 11.05.2011 – IV ZR 148/09). Dies ist dem Versicherungsnehmer hier nicht gelungen.
Der Versicherungsnehmer erklärte hier lediglich, dass die Gesundheitsfragen vom Versicherungsmakler vorgelesen und ausgefüllt wurde. Dies steht vorliegend jedoch der Annahme einer arglistigen Täuschung nicht entgegen. Das Verschwiegen der Behinderung durch wahrheitswidrige Angaben des vom Versicherungsnehmer beauftragen Versicherungsmaklers ist dem Versicherungsnehmer zuzurechnen. Das Verhalten des Versicherungsmaklers ist dem Versicherungsnehmer zuzurechnen, da er für ihn in dessen Pflichtenkreis tätig wird (siehe hierzu: OLG Frankfurt Zurechnung der Arglist des Versicherungsmaklers).
Der vorliegende Fall zeigt, dass das Verschweigen einer Behinderung den Versicherer durchaus dazu berechtigen kann, den Versicherungsvertrag wegen arglistiger Täuschung wirksam anzufechten. Die Falschbeantwortung von Gesundheitsfragen ist dabei allerdings nicht immer als Fall der Arglist einzustufen, wie ein Fall vor dem BGH zeigte (siehe hierzu: BGH Falschbeantwortung von Gesundheitsfragen). Daher kann es durchaus sinnvoll sein, sich bei einer Leistungsablehnung des Versicherers durch einen im Versicherungsrecht spezialisierten Rechtsanwalt beraten zu lassen. Gerne stehen hierfür auch Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte zur Verfügung.
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