Der BGH hatte sich mit der Frage zu befassen, welche Anforderungen an den Umfang des Tätigkeitsbildes in der Berufsunfähigkeitsversicherung zu stellen sind, wenn versicherte Leistungen wegen Berufsunfähigkeit beantragen (BGH, Urt. v. 29.05.2024 – IV ZR 189/23).
Der Versicherungsnehmer unterhielt bei dem Versicherer zugunsten seiner Ehefrau als Versicherte eine Berufsunfähigkeitsversicherung. Die Versicherte war als selbständige Kommunikationsdesignerin tätig.
Im Juli 2019 machte sie Ansprüche aus der Berufsunfähigkeitsversicherung geltend. Grund für die Berufsunfähigkeit war nach ihren Angaben eine seit August 2017 bestehende psychische Erkrankung. Der Versicherer holte daraufhin zwei medizinische Sachverständigengutachten zur Beurteilung der Berufsunfähigkeit ein und lehnte daraufhin die Leistungen aus der Berufsunfähigkeitsversicherung ab. Der Versicherer gab an, die Versicherte habe den bedingungsgemäßen Beweis der Berufsunfähigkeit nicht erbracht.
Der Versicherungsnehmer erhob daraufhin Klage vor dem Landgericht Neuruppin. Nachdem das Landgericht Neuruppin die Klage abwies (LG Neuruppin, Urt. v. 09.08.2023 – 11 U 278/22), ging der Versicherungsnehmer vor dem Oberlandegericht Brandenburg in Berufung. Nach Zurückweisung der Berufung (OLG Brandenburg, Beschluss v. 09.08.2023 – 11 U 278/22) verfolgte der Versicherungsnehmer sein Klagebegehren mit einer Revision vor dem Bundesgerichtshof (BGH) weiter.
Die Revision des Versicherungsnehmers vor dem BGH hatte Erfolg. Der BGH hob den angefochtenen Beschluss des OLG Brandenburg auf und verwies die Sache zurück an das Berufungsgericht. Kernfrage der Entscheidung des BGH waren die zu stellenden Anforderungen an den Umfang des Tätigkeitsbildes der Versicherten (siehe auch: Der ausgeübte Beruf des Versicherten bei Berufsunfähigkeit (BGH)).
Das OLG Brandenburg habe, wie in der Beschwerde des Versicherungsnehmers aufgeführt, den Anspruch auf rechtliches Gehör des Versicherten verletzt (Art. 103 Abs. 1 GG). Das OLG Brandenburg habe fehlerhaft überspannte Anforderungen an den Nachweis und damit den Umfang des Tätigkeitsbildes der Versicherten gestellt und sich über den Antrag des Versicherungsnehmers auf Einholung eines Sachverständigengutachtens hinweggesetzt (siehe auch: Darlegung des Berufsbildes bei Berufsunfähigkeit (OLG Dresden)). Art. 103 Abs. 1 GG gebiete in Verbindung mit den Grundsätzen der Zivilprozessordnung die Berücksichtigung erheblicher Beweisanträge. Eine Nichtberücksichtigung verstoße demnach gegen Art. 103 Abs. 1 GG. Diese würde auch gelten, wenn die Nichtberücksichtigung des Beweisantrags auf verfahrensfehlerhaften, überspitzten Anforderungen an den Vortrag einer Partei beruhe.
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Nach ständiger Rechtsprechung liege die Beweislast des Eintritts der bedingungsgemäßen Berufsunfähigkeit beim Versicherungsnehmer (Anforderungen an die Beschreibung der beruflichen Tätigkeiten in der Berufsunfähigkeitsversicherung (BGH)). Als Sachvortrag bezüglich des Berufsbildes genüge nicht nur eine bloße Angabe des Berufstyps und der Arbeitszeit. Der Versicherte müsse eine konkrete Arbeitsbeschreibung abgeben, mit der die für ihn anfallenden Leistungen ihrer Art, ihres Umfangs und ihrer Häufigkeit für einen Außenstehenden nachvollziehbar sind (siehe auch Tätigkeitsbild als Grundlage des Sachverständigengutachtens bei Berufsunfähigkeit (BGH)).
Das Gericht müsse dann entscheiden, ob zunächst eine Beweisaufnahme zu dem vorgetragenen Beruf in seiner Ausgestaltung geboten ist. Das Ergebnis sei dann einem medizinischen Sachverständigen vorzulegen. Der Sachverständige müsse wissen, welchen außermedizinischen Sachverhalt er seinem Gutachten zugrunde zu legen habe. Die Anforderungen an die Beweispflicht und damit den Umfang der Beschreibung des Tätigkeitsbildes dürften dabei nicht überspannt werden. Es dürfe nicht vergessen werden, dass die Beschreibung des Berufsbildes dazu diene, dem medizinischen Sachverständigen die notwendigen tatsächlichen Vorgaben für sein Gutachten an die Hand zu geben. Stehe fest, dass der Versicherte überhaupt einer Tätigkeit nachgegangen sei, dürfe ihm der Zugang zu den versicherten Leistungen nicht durch übersteigerte Anforderungen an die Pflicht der Darlegung der Berufstätigkeit unzumutbar erschwert werden (siehe auch: Hinweispflicht zur Darlegung des Berufsbildes (OLG Dresden)).
Dabei dürfe sich das OLG Brandenburg nicht nur auf den Klagevortrag stützen, sondern müsse auch die Vernehmung der Versicherten berücksichtigen, bei der sie umfassende Angaben zu der ausgeführten Tätigkeit gemacht habe. Das OLG Brandenburg habe infolgedessen das für den Versicherungsnehmer günstige Beweisergebnis nicht beachtet. Darin liege eine Verletzung des rechtlichen Gehörs des Versicherungsnehmers.
Das Urteil des BGH zeigt, dass an den Umfang des Tätigkeitsbildes nur beschränkte Anforderungen zu stellen sind. Eine zu überspitzt detaillierte Beschreibung kann vom Versicherungsnehmer nicht erwartet werden, da die Beschreibung der Tätigkeit vorwiegend als Grundlage des medizinischen Sachverständigengutachtens dienen soll.
Es gilt aber zu beachten, dass grundsätzlich schon bei der außergerichtlichen Geltendmachung von Leistungen aus der Berufsunfähigkeitsversicherung ein detailliertes Tätigkeitsbild aufgestellt werden sollte. Dies erspart zunächst langwierige rechtliche Streitfragen, kann aber auch für die Nachprüfung von Bedeutung sein. Denn je genauer die ausgeübte Tätigkeit beschrieben wird, desto weniger Verweisungsmöglichkeiten bleiben dem Versicherer übrig.
Bei der Tätigkeitsbeschreibung im Leistungsantragsverfahren kann es sich empfehlen, die Expertise eines Fachanwalts für Versicherungsrecht hinzuzuziehen, damit erst gar keine Fehler entstehen und Ansprüche bestenfalls nicht vereitelt werden. Weitere Rechtsprechung zu diesem Thema ist nachstehend zu finden: Tätigkeitsbeschreibung im Leistungsantrag
Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke ist Partner der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte und seit 2017 Fachanwalt für Versicherungsrecht. Während seiner Anwaltstätigkeit hat er bereits eine Vielzahl von gerichtlichen Verfahren im Versicherungsrecht geführt und erfolgreich für die Rechte von Versicherungsnehmern gestritten.
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