Das OLG Hamm hatte über die Anfechtung der privaten Krankenversicherung (PKV) wegen arglistiger Täuschung durch die Falschbeantwortung der Frage nach einem unerfüllten Kinderwunsch zu entscheiden (Beschl. v. 21.04.2021 – 20 U 184/20).
Die spätere Versicherungsnehmerin befand sich in hausärztlicher und gynäkologischer Behandlung. In ihrer Patientenakte wurde dokumentiert, dass die Versicherungsnehmerin wegen eines bestehenden Kinderwunsches psychisch unter Druck stünde und bereits eine dritte Fehlgeburt erlitten habe. Sie war zudem aufgrund einer Hormonstörung und möglicher Sterilität in Behandlung.
Sie beantragte anschließend den Abschluss einer privaten Krankenversicherung. Im Versicherungsantrag galt es die Frage nach einem unerfüllten Kinderwunsch zu beantworten. Daneben wurde nach Behandlungen, Beratungen oder Untersuchungen wegen Sterilität gefragt. Die Fragen wurden von der Versicherungsnehmerin verneint. Die Versicherungsnehmerin unterschrieb den Antrag und der Versicherer stellte den Versicherungsschein aus.
Wenige Monate nach Beginn des Versicherungsschutzes wechselte die Versicherungsnehmerin zu einer Gynäkologin, die nur Privatpatienten behandelte und ließ sich entsprechende Medikamente zur Hormonbehandlung im Rahmen einer Kinderwunschbehandlung verschreiben. Sie beantragte Kostenerstattung beim Versicherer (siehe auch: Kostenerstattung in der privaten Krankenversicherung). Dieser stellte zwecks der eingereichten Rechnungen Rückfragen. Zur Beantwortung teilte die Versicherungsnehmerin mit, dass sie Fehlgeburten erlitten habe und ein unerfüllter Kinderwunsch bestünde. Der Versicherer erklärte daraufhin die Anfechtung des Versicherungsvertrages wegen arglistiger Täuschung, nachdem er Kenntnis von den Fehlgeburten sowie den ärztlichen Behandlungen und Diagnostiken erlangte.
Die Versicherungsnehmerin erklärte, dass sie keine arglistige Täuschung begangen habe. Sie begründete dies damit, dass sie den Antrag und die Gesundheitsfragen weder sehen noch lesen konnte. Der Fragebogen sei von einem Mitarbeiter des Versicherers vorgelesen worden. Dieser habe sie lediglich gefragt, ob sie sich Kinder wünsche, was von ihr bejaht worden sei. Zudem sei ihr nicht bewusst gewesen, dass es sich um eine Gesundheitsfrage gehandelt habe.
Der Versicherer hingegen behauptete, dass die Versicherungsnehmerin diverse arglistige Falschangaben getätigt habe. Unter anderem habe sie die drei Fehlgeburten verschwiegen. Die Versicherungsnehmerin habe sämtliche Gesundheitsfragen gelesen, bevor sie den Antrag unterschrieben hat.
Die Versicherungsnehmerin begehrte zunächst vor dem Landgericht Münster (Urt. v. 25.08.2020 – 115 O 156/19) die Feststellung des Fortbestandes des Krankenversicherungsvertrages. Ihre Klage blieb jedoch ohne Erfolg. Hiergegen wendete sich die Versicherungsnehmerin mit ihrer Berufung vor dem OLG Hamm. Sie beruft sich weiterhin darauf, nicht arglistig gehandelt zu haben.
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Das OLG Hamm entschied, dass die Krankenversicherung aufgrund der Falschbeantwortung der Frage nach einem unerfüllten Kinderwunsch wegen arglistiger Täuschung nichtig ist.
Mit der streitgegenständlichen Frage nach einem unerfüllten Kinderwunsch werden für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer erkennbar auch Beratungen, Untersuchungen oder Behandlungen wegen einer vermuteten Sterilität/Infertilität abgefragt. Es war außerdem klar erkennbar, dass von der Frage Untersuchungen und Beratungen umfasst waren, welche vor dem Hintergrund eines bislang unerfüllten Kinderwunsches stattfanden, so das OLG Hamm.
Die Falschbeantwortung der Frage nach einem unerfüllten Kinderwunsch ergibt sich bereits daraus, dass Beratungen, Untersuchungen oder Behandlungen der Versicherungsnehmerin wegen einer möglichen Infertilität stattgefunden haben. Dies gilt unabhängig davon, ob die Versicherungsnehmerin Fehlgeburten erlitten hat oder nicht.
Die Frage nach einem unerfüllten Kinderwunsch umfasst auch solche Konstellationen, in denen die mögliche Ursache hierfür noch nicht abgeklärt werden konnte. Ein unerfüllter Kinderwunsch liegt vor, wenn über einen längeren Zeitraum der erhoffte „Erfolg“ ausbleibt. Dies gilt auch dann, wenn noch keine medizinischen Untersuchungen oder Behandlungen zur „Beseitigung“ des unerfüllten Kinderwunsches stattgefunden haben. Erkennbar war vorliegend, dass der Versicherer sich die Risikoprüfung hinsichtlich möglicherweise anstehender, kostenträchtiger künstlicher Befruchtungen oder anderer Behandlungen einer auch nur möglicherweise bestehenden Sterilität/Infertilität eröffnen wollte (siehe auch Anfechtung der PKV wegen Nichtangabe von Arztbesuchen (OLG Hamm)).
Vor diesem Hintergrund erfolgte eine Falschbeantwortung einer Frage nach einem unerfüllten Kinderwunsch. Die Untersuchungen, Behandlungen und Beratungen wegen der in Betracht kommenden Infertilität waren anzugeben. Hierfür ist irrelevant, ob sich die von den Ärzten gestellten Diagnosen im Nachhinein als unzutreffend herausstellen.
Der Fall vor dem OLG Hamm zeigt, dass eine Frage nach einem unerfüllten Kinderwunsch durchaus weit verstanden werden kann. Die Auslegung von Gesundheitsfragen stellt oftmals den Streitgegenstand juristische Auseinandersetzungen dar (siehe auch: Auslegung von Antragsfragen des Versicherers). Verletzt ein Versicherungsnehmer seine Anzeigepflicht arglistig, kann der Versicherer den Vertrag anfechten (siehe auch Krankenversicherung: Arglist bei falsch beantworteten Antragsfragen? (LG Leipzig)). Ob der Versicherer im konkreten Fall zur Anfechtung berechtigt war, ist jedoch anhand der Einzelfallumstände zu prüfen. Daher ist es durchaus empfehlenswert, die Anfechtung des Versicherers durch einen im Versicherungsrecht spezialisierten Rechtsanwalt überprüfen zu lassen. Gerne stehen hierfür auch Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte zur Verfügung.
Rechtsanwalt Reichow ist Partner der Hamburger Kanzlei Jöhnke & Reichow. Er betreut vor Allem Verfahren im Versicherungsrecht, zur Haftung von Versicherungsvermittlern und Streitigkeiten aus dem Handelsvertreterrecht. Nähere Angaben zu Jens Reichow finden Sie unter folgendem Anwaltsprofil:
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