Anfechtung der PKV wegen Nichtangabe von Arztbesuchen (OLG Hamm)

Das OLG Hamm hatte über die Anfechtung der privaten Krankenversicherung (PKV) wegen arglistiger Täuschung durch Nichtangabe von Arztbesuchen zu entscheiden (Beschl. v. 29.05.2020 – 20 U 59/20).

Versicherungsnehmer verschweigt Arztbesuche und Krankschreibungen

Der spätere Versicherungsnehmer besuchte verschiedene Ärzte, die ihm Krankschreibungen und Überweisungen zu anderen Ärzten ausstellten. Ausweislich der Krankenunterlagen diagnostizierten diese eine Persönlichkeitsstörung sowie eine Anpassungsstörung. Darüber hinaus wurde eine Krankheit der Nebenniere, eine Leberkrankheit und Hyperurikänie dokumentiert.

Der Versicherungsnehmer, welcher von Beruf Versicherungsfachmann war, stellte sodann einen Antrag auf Abschluss einer private Krankenversicherung. Innerhalb des Antragsformulars des Versicherers galt es die Frage nach Behandlungen und Untersuchungen von Ärzten und/oder Angehörigen anderer Heilberufe und/oder sonstigen Gesundheitsstörungen oder Anomalien innerhalb der letzten drei Jahre zu beantworten. Der Versicherungsnehmer verneinte dies und unterschrieb das Antragsformular.

Nachdem der Versicherungsnehmer später Leistungen aus seiner privaten Krankenversicherung begehrte, erklärte der Versicherer den Rücktritt vom Versicherungsvertrag wegen einer Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht. Ergänzend dazu erklärte er die Anfechtung des Versicherungsvertrages wegen arglistiger Täuschung. Beides begründete er mit der Nichtangaben von Arztbesuchen.

Der Versicherungsnehmer wehrte sich gegen die Beendigung seines Versicherungsvertrages. Er behauptete, er habe die mit dem Antrag zu beantwortenden Gesundheitsfragen wahrheitsgemäß beantwortet. Anlass für die streitgegenständlichen Arztbesuche sei lediglich gewesen, dass er sich habe krankschreiben lassen müssen, um Maßnahmen des Jobcenters zu entgehen. Er sei zu keiner Zeit psychisch krank gewesen. Zudem habe er keine Erkrankungen willentlich und vorsätzlich gegenüber dem Versicherer verschwiegen.

Der Versicherungsnehmer hatte in den Vorinstanzen vor dem Landgericht Essen keinen Erfolg (Urt. v. 19.02.2020 – 18 O 247/19). Nun begehrte er vor dem Oberlandesgericht Hamm die Feststellung des Bestehens des Versicherungsvertrages.

Wirksame Anfechtung wegen arglistiger Täuschung

Das OLG Hamm bestätigte die Entscheidung des LG Essen. Der Versicherungsnehmer hat den Versicherer arglistig getäuscht, indem er bei der Beantragung des Versicherungsvertrages die in dem Antragsformular des Versicherers gestellten Gesundheitsfragen unrichtig beantwortet hat.

Verletzung der Anzeigepflicht durch Nichtangabe von Arztbesuchen

Der Versicherungsnehmer hat durch das Ankreuzen von „nein“ bezüglich sämtlicher Gesundheitsfragen durch aktives Tun objektiv falsche Angaben gemacht.

An einer objektiv falschen Angabe fehlt es, wenn der Versicherungsnehmer die Antragsfrage in einem bestimmten Sinne verstanden hat und verstehen durfte und sie bei Zugrundelegung dieses Verständnisses richtig beantwortet hat. Dazu muss die Antragsfrage objektiv ausgelegt werden (siehe auch: Auslegung von Antragsfragen des Versicherers). Für die Auslegung von allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) und Erklärungen des Versicherers ist auf den durchschnittlichen, um Verständnis bemühten Versicherungsnehmer ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse abzustellen.

Der Versicherungsnehmer behauptete vorliegend, dass ihm die aus seinen Arztbesuchen hervorgehenden Diagnosen nicht bekannt gewesen seien. Das OLG Hamm erklärte, dass es sich bei den Arztbesuchen jedoch um Behandlungen und Untersuchungen im Sinne der Antragsfrage handelte, die der Versicherungsnehmer mit nein beantwortete. Dies gilt unabhängig davon, ob die Diagnosen zutreffend waren und dem Versicherungsnehmer mitgeteilt wurden. Die Antragsfrage war umfassend formuliert und erfasst jegliche Untersuchung und Behandlung. Der Versicherungsnehmer stellte sich den Ärzten vor, schilderte ihnen seine Lage und erwartete eine Krankschreibung. Bereits das Vorstellen und die Entgegennahme der Schilderung stellten hier eine Untersuchung dar. Zudem stellen die Krankschreibungen und die Überweisung von einem Arzt zum anderen Arzt jeweils eine Behandlung dar.

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Versicherungsnehmer handelte vorsätzlich und arglistig

Der Versicherungsnehmer machte die objektiv falschen Angaben auch vorsätzlich. Er kannte die maßgeblichen Umstände unstreitig und entschied sich willentlich für die Nichtangabe von Arztbesuchen.

Der Versicherungsnehmer unterlag insoweit auch keinem maßgeblichen Irrtum über den Umfang der Anzeigeobliegenheit. Aufgrund des Einleitungssatzes zu den Gesundheitsfragen wusste er, erst recht als Versicherungsfachmann, dass auch aus seiner Sicht unwesentliche Umstände anzugeben waren.

Arglist setzt voraus, dass der Versicherungsnehmer erkennt und billigt, dass der Versicherer seinen Antrag bei Kenntnis des wahren Sachverhalts gar nicht oder nur zu anderen Konditionen annehmen werde (siehe auch LG Leipzig: Arglist bei falsch beantworteten Antragsfragen?). Das OLG Hamm erklärte, dass die Nichtangabe von Arztbesuchen nur deshalb erfolgte, weil der Versicherungsnehmer als Versicherungsfachmann wusste, dass der Versicherer den Antrag ansonsten nicht ohne Nachfragen oder sogar gar nicht annehmen würde. Vor diesem Hintergrund war der Versicherer zur Anfechtung wegen arglistiger Täuschung berechtigt. Dies führte vorliegend zur Nichtigkeit des Vertrages.

Fazit

Der Fall vor dem OLG Hamm zeigt, dass die Nichtangabe von Arztbesuchen eine Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflichtdarstellen kann, welche durchaus zur Anfechtung wegen arglistiger Täuschung und damit zur Aufhebung des Versicherungsvertrages führen kann. Antragsfragen sollten daher stets wahrheitsgemäß beantwortet werden.

In Ausnahmefällen kann ein arglistiges Verhalten des Versicherungsnehmers jedoch auch ausscheiden (siehe hierzu OLG Saarbrücken: Verschwiegener Arztbesuch ist nicht immer Arglist).Daher kann es sich durchaus anbieten nach einer Anfechtung oder Rücktritt des Versicherers,  eine Beratung durch einen im Versicherungsrecht spezialisierten Rechtsanwalt einzuholen und den Einzelfall rechtlich prüfen zu lassen. Gerne stehen hierfür auch Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte zur Verfügung.

Zum Autor: Rechtsanwalt Jens Reichow

Rechtsanwalt Reichow ist Partner der Hamburger Kanzlei Jöhnke & Reichow. Er betreut vor Allem Verfahren im Versicherungsrecht, zur Haftung von Versicherungsvermittlern und Streitigkeiten aus dem Handelsvertreterrecht. Nähere Angaben zu Jens Reichow finden Sie unter folgendem Anwaltsprofil:

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Rechtsanwalt für Versicherungsrecht erklärt, wann eine Anfechtung wegen Nichtangabe von Arztbesuchen unrechtmäßig ist.

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