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Ausschluss der Rückforderung von Invaliditätsleistungen nach Treu und Glauben (OLG Saarbrücken)

Stellt sich im Rechtsstreit über eine weitere Invaliditätsleistung heraus, dass keine unfallbedingte Invalidität vorliegt, kann die darauf gestützte Rückforderung von Invaliditätsleistungen nach Treu und Glauben ausgeschlossen sein (OLG Saarbrücken, Urt. v. 13.03.2024 – 5 U 68/23).

Streit um Invaliditätsgrad

In dem Fall vor dem Oberlandesgericht Saarbrücken streiten die Parteien um Invaliditätsleistungen aus einer Unfallversicherung.

Die Versicherungsnehmerin machte gegenüber dem Versicherer infolge eines vermeintlichen Unfallereignisses Ansprüche geltend. Sie behauptete, beim Aussteigen aus dem Auto auf nassem Boden ausgerutscht zu sein, woraufhin sie sich die Hüfte und das linke Bein verdreht habe. Infolge dieses Ereignisses unterzog sie sich ärztlicher Behandlung sowie einer Operation. Auch danach bestand jedoch eine erhebliche schmerzbedingte Bewegungseinschränkung des Beins und der Hüfte. Dadurch seien das linke Bein bzw. die linke Hüfte der Versicherungsnehmerin in der Gebrauchsfähigkeit dauerhaft eingeschränkt. Als Dauerfolgen des Unfalles seien eine Minderung der Gang- und Standsicherheit, eine schmerzhafte Bewegungseinschränkung der linken Hüfte, eine Schwächung des linken Beins sowie eine Hautnervenirritation eingetreten.

Nach Erstbemessung des Invaliditätsgrades (siehe hierzu: BGH zur Erstbemessung des Invaliditätsgrades) errechnete sich aus der Gliedertaxe ein Invaliditätsgrad von 20 Prozent und nach Verrechnung mit bisherigen Leistungen ein Gesamtanspruch auf Leistungen in Höhe von 10.000 Euro. Die Versicherungsnehmerin forderte den Versicherer jedoch mit anwaltlichem Schreiben zur Zahlung weiterer 25.000 Euro auf. Grundlage hierfür war eine ihrerseits angenommene Invalidität des linken Beins von mindestens 40 Prozent. Hiergegen wendete sich der Versicherer mit der Behauptung, es habe zu keinem Zeitpunkt eine unfallbedingte Invalidität vorgelegen, was ihn berechtige, geleistete Zahlungen in Höhe von 10.000 Euro zurückzufordern.

Das Landgericht Saarbrücken wies die Klage der Versicherungsnehmerin vollständig ab. Der Widerklage des Versicherers auf Rückzahlung der 10.000 Euro wurde hingegen stattgegeben. Das LG Saarbrücken begründete seine Entscheidung damit, dass nach eingeholten Sachverständigengutachten der Beweis für das Vorliegen der Voraussetzungen der Invaliditätsleistung, insbesondere das Vorliegen einer unfallbedingten Invalidität, nicht geführt wurde. Ein unfallbedingter Dauerschaden sei nicht eingetreten. Demnach sei die Versicherungsnehmerin verpflichtet, die ohne Rechtsgrund erlangten 10.000 Euro zurückzuzahlen.

Hiergegen ging die Versicherungsnehmerin in Berufung. Während der Versicherer an der Entscheidung des LG Saarbrücken festhalten wollte, wendete sich die Versicherungsnehmerin sowohl gegen die Abweisung der Klage als auch gegen die Verurteilung zur Rückzahlung erlangter Invaliditätsleistungen. Sie erachtet die Feststellungen des erstinstanzlich tätigen Sachverständigen zum Fehlen einer unfallbedingten Invalidität für unzureichend. Zudem sei sie um die erlangte Invaliditätsleistung entreichert, da sie diesen bereits in voller Höhe ausgegeben hat. Daher verstoße die Rückforderung von Invaliditätsleistungen gegen Treu und Glauben.

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Kein Rückforderungsanspruch des Versicherers

Das OLG Saarbrücken entschied, dass der Versicherungsnehmerin keinen weiteren Anspruch auf Invaliditätsleistung aus der Unfallversicherung hat. Jedoch ist auch ein Rückzahlungsanspruch des Versicherers nach Treu und Glauben ausgeschlossen.

Beweis eines unfallbedingten Dauerschadens gelingt nicht

Während das LG Saarbrücken in seiner Entscheidung offenließ, ob ein bedingungsgemäßes Unfallereignis vorlag, geht das OLG Saarbrücken auf Grundlage von sachverständigen Feststellungen davon aus, dass nach dem sogenannten „erweiterten Unfallbegriff“ ein Unfall vorlag. Jedoch stimmt das OLG Saarbrücken der Entscheidung des LG Saarbrücken dahingehend zu, dass der Versicherungsnehmerin der Beweis eines unfallbedingten Dauerschadens nicht gelungen ist. Der Beweis der kausalen Verknüpfung des unfallbedingten Gesundheitsschadens und der eine Invalidität begründenden dauernden gesundheitlichen Beeinträchtigung ist geführt, sobald für diesen Zusammenhang eine auf gesicherter Grundlage beruhende Wahrscheinlichkeit besteht (siehe hierzu: OLG Saarbrücken Kausalitätsnachweis bei unfallbedingter Invalidität). Die Muskelverletzung der Versicherungsnehmerin sei jedoch vollständig ausgeheilt und der als Grundlage für einen Dauerschaden in Betracht kommende Gelenkschaden sei nicht ärztlich bestätigt worden. Damit ist der Beweis der unfallbedingten Invalidität der Versicherungsnehmerin nicht geführt.

Rückforderung von Invaliditätsleistungen nach Treu und Glauben ausgeschlossen

Dem Versicherer ist eine Rückforderung von Invaliditätsleistungen nach Treu und Glauben versagt. Die Rückforderung von Versicherungsleistungen kann unzulässig sein, wenn sich objektiv das Gesamtbild eines widersprüchlichen Verhaltens ergibt, weil das frühere Verhalten mit dem späteren sachlich unvereinbar ist und die Interessen der Gegenpartei im Hinblick hierauf vorrangig schutzwürdig erscheinen (BGH, Urt. v. 16.07.2014 – IV ZR 73/13). Dies ist beispielsweise der Fall, sofern die Rückforderung von Invaliditätsleistungen des Versicherers mit dem Inhalt früherer Korrespondenz sachlich unvereinbar ist. Der Versicherer kann nämlich durch die Verwendung bestimmter Formulierungen einen Vertrauenstatbestand schaffen, die im Rahmen der Erstbemessung ermittelte Invaliditätsleistung nicht später aufgrund einer anderweitigen Bemessung zurückzufordern.

Versicherungsnehmer müssen sich auf die Invaliditätsleistungen des Versicherers betreffende Erklärungen verlassen können, da letzterer hier in seiner Sach- und Rechtskunde überlegen ist.  Der Versicherer hat hier in mehreren aufeinanderfolgenden Schreiben deutlich gemacht, die im Rahmen der Erstbemessung festgestellte Invalidität nicht mehr in Zweifel zu ziehen, sodass ein berechtigtes Vertrauen der Versicherungsnehmerin an der Bestandskraft dieser Regulierungsentscheidung bestand. Vor diesem Hintergrund ist es dem Versicherer vorliegend verwehrt, sich auf abweichend von früheren Bemessungen der Invalidität später auf das gänzliche Fehlen dieser zu berufen und darauf einen Rückforderungsanspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung zu stützen.

Fazit

Der Fall vor dem OLG Saarbrücken beleuchtet zwei in der Praxis häufig zu juristischen Auseinandersetzungen führende Streitpunkte. Dabei handelt es sich zum einen um die Frage der Beweisführung zur Feststellung unfallbedingter Invalidität. Die Beweislast trägt dabei der Versicherungsnehmer (siehe hierzu: OLG Stuttgart zum Beweis der Invalidität in der Unfallversicherung). Ob insbesondere der ärztliche Nachweis zum Vorliegen unfallbedingter Invalidität erbracht ist, ist stets anhand des Einzelfalls zu ermitteln.

Zum anderen verdeutlicht der Fall die Schutzwürdigkeit des Vertrauens der Versicherungsnehmer hinsichtlich Erklärungen des Versicherers. Dies kann, wie hier, dazu führen, dass eine Rückforderung von Invaliditätsleistungen nach Treu und Glauben ausgeschlossen ist. Ob ein Ausschluss der Rückforderung von Invaliditätsleistungen nach Treu und Glauben in Betracht kommt, hängt allerdings auch dabei von den Umständen des Einzelfalls ab.

Um etwaige rechtliche Probleme vorzubeugen, ist es empfehlenswert frühzeitige Beratung durch einen im Versicherungsrecht spezialisierten Rechtsanwalt in Anspruch zu nehmen. Gerne stehen hierfür auch Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte zur Verfügung.

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Zum Autor: Rechtsanwalt Jens Reichow

Rechtsanwalt Reichow ist Partner der Hamburger Kanzlei Jöhnke & Reichow. Er betreut vor Allem Verfahren im Versicherungsrecht, zur Haftung von Versicherungsvermittlern und Streitigkeiten aus dem Handelsvertreterrecht. Nähere Angaben zu Jens Reichow finden Sie unter folgendem Anwaltsprofil:

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