Eine Heilbehandlung kann schnell teuer werden. Dies gilt gerade für stationäre Behandlungen und Operationen. Anders als gesetzlich Versicherte haben privat Krankenversicherte die Kosten der von ihnen in Anspruch genommenen Heilbehandlungen zunächst selbst gegenüber dem Arzt oder Krankenhaus zu zahlen und sind anschließend auf eine Kostenerstattung in der privaten Krankenversicherung angewiesen. Mit dem vorliegenden Beitrag soll erläutert werden, wann und unter welchen Voraussetzungen eine Kostenerstattung in der privaten Krankenversicherung verlangt werden kann.
In der privaten Krankenversicherung ist der Versicherer gemäß § 192 Abs. 1 VVG verpflichtet, im vereinbarten Umfang die Aufwendungen für medizinisch notwendige Heilbehandlungen wegen Krankheit oder Unfallfolgen sowie sonstige vereinbarte Leistungen zu erstatten. Dabei ist zu beachten, dass nicht jede ärztliche Heilbehandlung vom Versicherungsschutz umfasst ist. Maßgeblich für die Kostenerstattung in der privaten Krankenversicherung ist die medizinische Notwendigkeit einer Heilbehandlung wegen Krankheit oder Unfallfolgen.
Eine Krankheit ist ein anormaler körperlicher oder geistiger Zustand, der eine nicht ganz unerhebliche Störung körperlicher oder geistiger Funktionen mit sich bringt (siehe hierzu BGH: Was ist eine Krankheit im Sinne der PKV?). Der Begriff der Krankheit ist von Abweichungen ohne Störung einer körperlichen oder geistigen Funktion abzugrenzen. So sind beispielsweise Schönheitsoperationen nicht vom Versicherungsschutz umfasst. Gleichwohl kann aber Versicherungsschutz für Behandlungen bestehen, die nach einer fehlgeschlagenen Schönheitsoperation erfolgen (siehe hierzu BGH: Kostenerstattung für die Auswechslung von Brustimplantaten gegenüber Krankenversicherung).
Auch Unannehmlichkeiten, die nicht auf einer körperlichen Anomalie beruhen, sind keine Krankheiten. Bei altersbedingten Störungen kann dennoch unter Umständen eine Krankheit angenommen werden. Dies ist der Fall, wenn der Zustand allgemein als Abweichung vom Normalzustand und deshalb als korrekturbedürftig angesehen wird. So wurde beispielsweise eine altersbedingte Fehlsichtigkeit, die ein beschwerdefreies Lesen und die Teilnahme am Straßenverkehr ausschließt, als Krankheit angesehen (siehe hierzu BGH: Erstattung bei LASIK-Operationen: PKV muss zahlen).
Auch Heilbehandlungen wegen Unfallfolgen genießen Versicherungsschutz. Dies trägt dem Umstand Rechnung, dass regelwidrige Störungen von Körperfunktionen nicht immer als Folge einer Krankheit auftreten. Stattdessen können sie auch durch ein von außen kommendes Ereignis hervorgerufen werden (siehe hierzu OLG Hamm: Erstattung von Behandlungskosten nach Suizidversuch).
Der Versicherer leistet für medizinisch notwendige Heilbehandlungen. Die Heilbehandlung ist nicht nur eine auf Heilung einer Krankheit gerichtete ärztliche Tätigkeit. Vielmehr fallen unter den Begriff der Heilbehandlung auch solche Tätigkeiten, die auf Besserung oder Linderung eines Leidens abzielen, einer Verschlimmerung vorbeugen, eine Verlangsamung des Krankheitsverlaufs bewirken sollen oder durch Ersetzung körperlicher Funktionen zur Linderung beitragen. Als Heilbehandlung ist demnach jede ärztliche Tätigkeit anzusehen, die durch die betreffende Krankheit verursacht worden ist. Dazu muss die Leistung des Arztes also in den Bereich der medizinisch notwendigen Krankenpflege fallen und auf Heilung, Besserung oder Linderung der Krankheit abzielen, damit ein Anspruch auf Kostenerstattung in der privaten Krankenversicherung besteht (siehe hierzu OLG Karlsruhe: Kostenerstattung bei chronischem Müdigkeitssydrom).
Auch die Überwindung einzelner Krankheitsfolgen dient der Linderung einer Krankheit und kann somit eine versicherte Heilbehandlung sein. So wird etwa bei der In-Vitro-Fertilisation (IVF) zwar nicht die Grunderkrankung (Unfruchtbarkeit) beeinflusst. Dennoch werden die belastenden Krankheitsfolgen reduziert (siehe hierzu OLG Hamm: Kostenerstattung nach einer künstlichen Befruchtung). Auch Prothesen, Hilfsmittel und ähnliche kompensatorische Maßnahmen, welche die Grunderkrankung nicht verändern, können Heilbehandlungen darstellen, wenn sie die vorhandene Funktionsstörung im Ergebnis lindern. Ist eine Heilbehandlung möglich, so braucht sich der Versicherungsnehmer nicht auf kompensatorische Maßnahmen verweisen zu lassen. Dies ist auch der Fall, wenn diese kostengünstiger sind (siehe hierzu BGH: Erstattung bei LASIK-Operationen: PKV muss zahlen). Unerheblich ist auch, ob die Behandlung zugleich kosmetische Ziele verfolgt. Allein kosmetischen Zwecken dienende Behandlungsschiritte sind jedoch nicht medizinisch erforderlich.
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Die medizinische Notwendigkeit einer Heilbehandlung bestimmt sich nach objektiven Kriterien. Die ärztliche Verordnung einer Methode führt damit noch nicht zwangsläufig zu ihrer medizinischen Notwendigkeit. Vor dem Hintergrund der Besonderheiten der Medizin sowie der Unsicherheiten der Diagnostik können mehrere Behandlungsmethoden als medizinisch vertretbar erscheinen. Der dem Versicherungsnehmer erkennbare Zweck des Versicherungsvertrages wäre nicht erreicht, wenn nicht alle aus ärztlicher Sicht vertretbaren Behandlungsmethoden und Behandlungsschritte abgedeckt wären.
Demnach ist eine Heilbehandlung als medizinisch notwendig einzustufen, wenn es nach den objektiven medizinischen Befunden und Erkenntnissen im Zeitpunkt der Vornahme der ärztlichen Behandlung vertretbar war, sie als notwendig anzusehen. Die Beweislast für die medizinische Notwendigkeit der Behandlung trägt der Versicherungsnehmer.
Die medizinische Notwendigkeit setzt die Eignung der Behandlungsmethode voraus. Von der generellen Eignung einer Methode ist jedenfalls dann auszugehen, wenn sie von Ärzten allgemein als wirksam anerkannt ist (siehe hierzu LG Darmstadt: Kostenerstattung für eine Invisalign-Behandlung). Im Einzelfall kann die Heilbehandlung auch über das medizinisch notwendige Maß hinausgehen. Die Leistungspflicht des Versicherers entfällt dann nicht vollständig. Eine Kostenerstattung in der privaten Krankenversicherung erfolgt dann jedoch nur in Höhe der Kosten einer medizinisch notwendigen Behandlung (siehe hierzu BGH: Die Überversorgung/Übermaßregelung in der PKV).
Die private Krankenversicherung schuldet eine Kostenerstattung nicht nur für schulmedizinisch anerkannte Behandlungsmethoden. Der Versicherer hat vielmehr auch für alternativmedizinische Behandlungsmethoden zu leisten, sofern diese sich in der Praxis als ebenso erfolgsversprechend bewährt haben oder keine schulmedizinische Behandlung zur Verfügung steht. Dies können sowohl Behandlungsmethoden als auch neue Arzneimittel oder innovative Diagnoseverfahren sein (siehe hierzu OLG Frankfurt: Kostenerstattung für eine orthomolekulare Therapie).
Der Begriff der medizinischen Heilbehandlung ist nicht mit einer Beschränkung auf wissenschaftlich allgemein anerkannte Heilmethoden verbunden. Neuartige Methoden darf der Versicherer nicht mit der Begründung ablehnen, dass ihr Nutzen nicht durch Langzeiterfahrungen erwiesen sei. Eine wissenschaftlich fundierte Studienlage ist keine Voraussetzung der Erstattungsfähigkeit (siehe hierzu LG Nürnberg-Fürth: Medizinische Notwendigkeit einer HIFU-Behandlung). Dies gilt auch, wenn sich die Methode im Nachhinein als ungeeignet erweist, wenn sie im Zeitpunkt ihrer Anwendung vertretbar war (siehe hierzu OLG Frankfurt: Kostenerstattung bei einer dendritischen Zellbehandlung). Insbesondere bei Erkrankungen, bei denen wissenschaftlich anerkannte Standardmethoden nicht zur Verfügung stehen, dürfen an das Vertretbarkeitsurteil keine erhöhten Anforderungen gestellt werden (siehe hierzu OLG Celle: Erstattung der Heilbehandlungskosten bei einem Zungenkarzinom).
Steht jedoch eine etablierte Behandlungsmethode zur Verfügung, so ist eine andere, nicht hinreichend erforschte Methode nur dann medizinisch notwendig, wenn sie gegenüber der Standardmethode Vorteile bietet, die das zusätzliche Risiko der fehlenden Erprobung kompensieren (siehe hierzu OLG München: Medizinische Notwendigkeit von Keramikimplantaten).
Stehen mehrere Methoden zur Verfügung, so ist die Auswahl eine Frage der medizinischen Vertretbarkeit. Es besteht kein Grundsatz, dass eine Kostenerstattung in der privaten Krankenversicherung nur bzgl. der kostengünstigere Behandlung verlangt werden kann. Die gesetzliche Regelung stellt auf die medizinische, nicht die wirtschaftliche Notwendigkeit ab. Führt beispielswiese ein Arzneimittel rascher zur Genesung, während ein anderes, kostengünstigeres eine längere Behandlung erfordert, kann eine Kostenerstattung in der privaten Krankenversicherung für das teurere Arzneimittel nicht unter Berufung auf die Kosten versagt werden. Dies bedeutet jedoch nicht, dass jede geeignete Methode auch notwendig ist. Die Notwendigkeit setzt neben der Eignung auch eine ärztliche Beurteilung der Vorzugswürdigkeit voraus. Diese muss anhand der ärztlichen Vertretbarkeit, nicht nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten erfolgen (siehe hierzu OLG München: Medizinische Notwendigkeit von Keramikimplantaten).
Das Gesetz differenziert nicht zwischen ambulanten und stationären Behandlungsformen. Der Vorrang ambulanter vor stationärer Behandlung ist im Gesetz nicht verankert. Maßgebend ist allein die medizinische Notwendigkeit. Führt eine stationäre Behandlung zu einer rascheren oder komplikationsfreieren Heilung, so kann sie nicht unter Berufung auf wirtschaftliche Gesichtspunkte abgelehnt werden. Nur wenn feststeht, dass die ambulante Behandlung ebenso geeignet ist, kann der Versicherungsnehmer auf diese verwiesen werden (siehe hierzu OLG Köln: Medizinische Notwendigkeit einer stationären Behandlung). Die Beweislast trägt hier der Versicherer.
Zentraler Streitgegenstand juristischer Auseinandersetzungen über die Kostenerstattung in der privaten Krankenversicherung ist häufig die Beurteilung der medizinischen Notwendigkeit einer Behandlungsmethode. Die hierzu bestehende Rechtsprechung ist umfangreich. Daher kann es sich durchaus empfehlen, frühzeitig die Expertise durch einen im Versicherungsrecht spezialisierten Rechtsanwalt in Anspruch zu nehmen. Gerne stehen hierfür Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte zur Verfügung. Weitere Informationen finden Sie auch unter Private Krankenversicherung.
Leidet der Versicherungsnehmer an einer unheilbaren Krankheit, so reicht es für die Vertretbarkeit einer Behandlung aus, wenn zumindest eine Wahrscheinlichkeit der Eignung besteht und die Behandlung auf einem nachvollziehbaren Ansatz beruht. Fehlende Veröffentlichungen schließen die Eignung der Behandlungsmethode dabei nicht aus. Eine überwiegende Wahrscheinlichkeit wird nicht gefordert. Es reicht aus, wenn eine nicht nur ganz geringe Chance auf Besserung oder Verhinderung einer Verschlimmerung besteht (siehe hierzu BGH: Erfolgsaussichten einer Behandlung bei unheilbaren Krankheiten). Dabei kann auch noch nach mehreren erfolglosen Behandlungsversuchen eine medizinische Notwendigkeit für eine weitere Heilbehandlung gegeben sein. Handelt es sich jedoch nicht um eine lebensbedrohliche Erkrankung, so wird vertreten, dass die medizinische Notwendigkeit weiterer Heilversuche nur dann gegeben sei, wenn die Heilbehandlungschancen 15% übersteigen (siehe hierzu OLG Hamm: Kostenerstattung nach einer künstlichen Befruchtung).
Das gesetzliche Leitbild der privaten Krankenversicherer wird in § 192 Abs. 1 VVG festgelegt. In der Regel werden die gesetzlichen Regelungen durch Versicherungsbedingungen ergänzt, die als AGB in den Versicherungsvertrag einbezogen werden. Bei der Wirksamkeitskontrolle wird der Inhalt der Klausel den gesetzlichen Regelungen gegenübergestellt. Dabei wird geprüft, ob eine Abweichung zu einer unbilligen Benachteiligung des Versicherungsnehmers führt oder den Vertragszweck gefährdet. Ist dies der Fall, kann sich der Versicherer nicht auf die in Streit stehende Klausel berufen.
Der Versicherungsnehmer darf grundsätzlich erwarten, dass medizinisch notwendige Maßnahmen vom Versicherungsschutz gedeckt sind und er für diese Maßnahmen eine Kostenerstattung in der privaten Krankenversicherung erhält. Zu einzelnen Klauseln und deren Un-/Wirksamkeit hat sich daher bereits eine weitreichende Rechtsprechung entwickelt (siehe hierzu OLG Karlsruhe: Kostenerstattung für künstliche Befruchtung bei Unverheirateten und LG Dortmund: Kostenerstattung für lebenserhaltende Maßnahmen und BGH: Kostenerstattung für Psychotherapie in der PKV). Wird eine Kostenerstattung in der privaten Krankenversicherung vom Versicherer daher unter Verweis auf eine Regelung in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen verweigert, so sollte auch stets die Wirksamkeit der entsprechenden Klausel rechtlich geprüft werden.
Rechtsanwalt Reichow ist Partner der Hamburger Kanzlei Jöhnke & Reichow. Er betreut vor Allem Verfahren im Versicherungsrecht, zur Haftung von Versicherungsvermittlern und Streitigkeiten aus dem Handelsvertreterrecht. Nähere Angaben zu Jens Reichow finden Sie unter folgendem Anwaltsprofil:
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