Das LG Dortmund hatte sich mit der Kostenerstattung für lebenserhaltende Maßnahmen zu befassen, die nicht-ärztlich ambulant durchgeführt wurden (Urt. v. 12.07.2007 – 2 O 323/06).
Der Ehemann der Versicherungsnehmerin begehrte Ansprüche aus einer privaten Krankenversicherung, die seine verstorbene Ehefrau beim Versicherer unterhielt. Versichert war unter anderem die Erstattung der Kosten ambulanter Heilbehandlungen.
Die Versicherungsnehmerin verunfallte beim Skilaufen und erlitt eine Tetraplegie. Diese machte als Folge wegen einer Lähmung unter anderem des Zwerchfells, der Extremitäten, des Rumpfes, der Blase und des Mastdarmes eine durchgehende künstliche Beatmung erforderlich. Die Versicherungsnehmerin wurde nach ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus durch verschiedene Pflegedienste durchgängig 24-stündig überwacht. Dies war geboten, da fortlaufend das Risiko von Unregelmäßigkeiten bei der technischen Beatmung bestand. Das hätte den Ausfall der vitalen Funktionen der Versicherungsnehmerin zur Folge haben können.
Der Ehemann der Versicherungsnehmerin begehrte vor dem Landgericht Dortmund die Kostenerstattung für lebenserhaltende Maßnahmen, konkret im Umfang von insgesamt rund 19.900 Euro. Er war der Ansicht, dass es sich bei den abgerechneten Maßnahmen um medizinisch notwendige Heilbehandlungen der Versicherungsnehmerin handele. Der Versicherer hingegen vertritt die Auffassung, dass es sich bei den geltend gemachten Kosten um solche für nicht-ärztliche Leitungen handele, die tarifgemäß nicht zu erstatten sind. Er berief sich auf eine Klausel zu ambulanten Heilbehandlungen, nach der die Erstattungsfähigkeit nicht ärztlicher Leistungen nur in hier nicht einschlägigen Fallgestaltungen vorgesehen ist. Diese gelte auch, soweit die Kostenerstattung für lebenserhaltende Maßnahmen verlangt werde.
Das LG Dortmund entschied, dass dem Ehemann der Versicherungsnehmerin eine Kostenerstattung für lebenserhaltende Maßnahmen verlangen kann.
Versicherungsfall ist die medizinisch notwendige Heilbehandlung einer versicherten Person wegen Krankheit oder Unfallfolgen. Der Versicherungsschutz erstreckt sich auf den Ersatz von Aufwendungen für Heilbehandlungen und sonst vereinbarte Leistungen. Als Heilbehandlung in diesem Sinne ist jegliche Tätigkeit anzusehen, die durch die betreffende Krankheit verursacht worden ist, sofern die Leistung von ihrer Art her in den Rahmen der medizinisch notwendigen Krankenpflege fällt und auf Heilung oder Linderung der Krankheit abzielt (siehe hierzu LG Nürnberg-Fürth: Medizinische Notwendigkeit einer HIFU-Behandlung). Dem wird eine Tätigkeit, die auf Verhinderung der Verschlimmerung einer Krankheit gerichtet ist, gleichgestellt (siehe hierzu BGH: Erfolgsaussichten einer Behandlung bei unheilbaren Krankheiten).
Die Behandlungen, für welche der Ehemann der Versicherungsnehmerin eine Kostenerstattung verlangt, dienten unstreitig der Erhaltung der Vitalfunktionen der Versicherungsnehmerin. Die Überwachungsmaßnahmen der verstorbenen Versicherungsnehmerin sind daher unproblematisch als medizinisch notwendige Heilbehandlung zu bewerten.
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Das LG Dortmund entschied, dass die Beschränkung der Kostenerstattung für ambulante Heilbehandlungen auf ärztliche Leistungen den Vertragszweck gefährdet. Die Klausel hielt somit einer Inhaltskontrolle nicht stand. Die Tarifbedingungen sehen eine Erstattung nicht ärztlicher ambulanter Heilbehandlungskosten nur in bestimmten Fällen vor. Eine derart verstandene Einschränkung des Leistungsversprechens des Versicherers der PKV würde den Vertragszweck der Krankheitskostenversicherung gefährden.
Tarifbestimmungen sind als das Hauptleistungsversprechen einschränkende Regelungen inhaltlich zu kontrollieren. Eine das Hauptleistungsversprechen einschränkende Klausel darf danach nicht den Vertragszweck gefährden. Eine Vertragszweckgefährdung in diesem Sinne ist dabei dann anzunehmen, wenn mit der Einschränkung der Leistung der Vertrag ausgehöhlt werden kann und damit in Bezug auf das versicherte Risiko zwecklos wird.
Hieran gemessen bezweckt der durchschnittliche Versicherungsnehmer einer Krankheitskostenvollversicherung mit Abschluss des Versicherungsvertrages in erster Linie eine Abdeckung des Kostenrisikos, welches ihm durch die notwendige Behandlung von Krankheiten entsteht. Diesem primären Zweck trägt der Versicherer grundsätzlich dadurch Rechnung, dass er den Bereich der ärztlichen Leistungen vollständig abdeckt, wohingegen nicht-ärztliche Leistungen unter dem Vorbehalt des entsprechend Vereinbarten stehen. Dies kann nicht mehr gelten, wenn wie hier, die erstattet begehrten Maßnahmen notwendig sind, um die grundlegenden Vitalfunktionen des Versicherungsnehmers zu erhalten. Gerade hierbei handelt es sich um den Kernbereich des Risikos, das der Versicherungsnehmer in der PKV typischerweise durch den Versicherungsvertrag gedeckt wissen möchte. Eine Ausgrenzung dessen durch die Tarifbedingungen würde den Zweck der Versicherung insgesamt in Frage stellen.
Vor diesem Hintergrund konnte hier dahinstehen, ob die ambulanten Maßnahmen vorliegend als nicht-ärztliche oder durch Hilfspersonal ausgeführte ärztliche Leistungen zu qualifizieren sind. Die Überwachungsleistungen waren erstattungsfähig.
Die Entscheidung des LG Dortmund zeigt, dass gerade wenn es um lebenserhaltende Maßnahmen geht der Kernbereich der Krankenversicherung tangiert ist und der Versicherungsnehmer daher in diesem Bereich besonders schutzwürdig ist. Dies kann dazu führen, dass es dem Versicherer sogar verwehrt sein kann sich auf Klauseln seiner Allgemeinen Versicherungsbedingungen zu berufen. Es sind also stets die Besonderheiten des konkreten Einzelfalles zu beachten und daher kann es auch durchaus empfehlenswert sein, eine Leistungsablehnung des Versicherers durch einen im Versicherungsrecht spezialisierten Rechtsanwalt rechtlich prüfen zu lassen. Gerne stehen hierfür auch Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte zur Verfügung.
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