Das OLG Karlsruhe hatte sich mit der Frage zu befassen, ob Aufwendungen für Heilbehandlungen bei chronischem Müdigkeitssyndrom medizinisch notwendig waren und ob die Versicherungsnehmerin dementsprechend eine Kostenerstattung verlangen kann (Urt. v. 24.04.2003 – 12 U 197/00).
Bei der Versicherungsnehmerin wurde von mehreren Ärzten ein chronisches Müdigkeitssyndrom diagnostiziert. Aufgrund dieser Erkrankung konnte sie ihren Beruf als Gastwirtin nicht mehr ausüben.
Sie unterzog sich daraufhin verschiedenen Behandlungen, insbesondere Immunbehandlungen und Laboruntersuchungen. Dadurch entstanden Kosten von ca. 90.000 DM. Diese verlangt sie von ihrer privaten Krankenversicherung erstattet.
Der Versicherer lehnte seine Leistungspflicht jedoch ab. Die Behandlungsmaßnahmen seien nach seinem Dafürhalten nicht medizinisch notwendig gewesen. Hiergegen wendete sich die Versicherungsnehmerin zunächst vor dem Landgericht Karlsruhe (Az.: 7 O 481/97). Das Landgericht Karlsruhe verurteilte den Versicherer zur Erstattung der Heilbehandlungskosten. Dagegen richtet sich die Berufung des Versicherers vor dem Oberlandesgericht Karlsruhe.
Das OLG Karlsruhe verurteilte den Versicherer sämtliche Aufwendungen für die Heilbehandlung bei chronischem Müdigkeitssyndrom zu ersetzen. Die streitgegenständlichen Heilbehandlungskosten waren nach Auffassung des OLG Karlsruhe medizinisch notwendig.
Das OLG Karlsruhe war ebenso wie das LG Karlsruhe überzeugt, dass die Versicherungsnehmerin an einem chronischen Müdigkeitssyndrom erkrankt war und dies als Krankheit im Sinne der Allgemeinen Versicherungsbedingungen anzusehen sei (siehe hierzu BGH: Was ist eine Krankheit im Sinne der PKV?). Die Diagnose wurde von mehreren Ärzten gestellt und vom gerichtlich beauftragten Sachverständigen bestätigt. Der Sachverständige hat dargelegt, dass das chronische Müdigkeitssyndrom eine Ausschlussdiagnose ist. Es handelt sich um eine Krankheit, deren Ursachen und Entstehung bisher unbekannt seien. Es müsste deshalb ausgeschlossen werden, dass bestimmte andere Erkrankungen vorliegen. Der Sachverständige hat die differentialdiagnostisch in Betracht kommenden Krankheiten abgehandelt und festgestellt, dass die Symptome der Versicherungsnehmerin keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine anderweitige Krankheit boten. Die Versicherungsnehmerin müsse daher am chronischen Müdigkeitssyndrom leiden.
Die durchgeführten Untersuchungen und Behandlungen sowie die verordneten Medikamente waren ferner auch medizinisch notwendig für die Heilung der Krankheit der Versicherungsnehmerin.
Als Heilbehandlung ist jegliche ärztliche Tätigkeit anzusehen, die durch die betreffende Krankheit verursacht worden ist, sofern die Leistung des Arztes von ihrer Art her in den Rahmen der medizinisch notwendigen Krankenpflege fällt und auf Heilung, Besserung oder Linderung der Krankheit abzielt. Dem ist eine ärztliche Tätigkeit gleich zu erachten, die auf eine Verhinderung der Verschlimmerung der Krankheit gerichtet ist. Die Ursachen eines chronischen Müdigkeitssyndroms sind nicht bekannt. Demnach sind die Untersuchungen, um eine erfolgsversprechende Therapie anschlagen zu können, breiter gefächert als bei einer in Ursache, Symptomen, Wirkung und Behandlungsmöglichkeiten geläufigen Krankheit.
Sämtliche Maßnahmen, die vorliegend durch die behandelnden Ärzte ergriffen wurden, waren darauf gerichtet das chronische Müdigkeitssyndrom zu erforschen. Auf Grundlage dieser Untersuchungsergebnisse galt es, Behandlungen zu initiieren und durchzuführen, die zur Besserung des Zustandes der Versicherungsnehmerin und möglicherweise zu einer Heilung vom chronischem Müdigkeitssyndrom führen könnten.
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Ob eine Behandlung medizinisch notwendig ist, ist nach objektiven Kriterien zu bestimmen, nach einem vom Vertrag zwischen Arzt und Patient unabhängigem Maßstab. Beurteilungsmaßstab sind die objektiven medizinischen Befunde und Erkenntnisse im Zeitpunkt der Vornahme der Behandlung. Notwendig ist die Behandlung, wenn auf Grund dieser Befunde vertretbar war, die Vornahme der ärztlichen Behandlung als notwendig anzusehen (siehe hierzu LG Nürnberg-Fürth: Medizinische Notwendigkeit einer HIFU-Behandlung).
Ein Versicherer hat grundsätzlich für die Kosten einzustehen, die dadurch entstehen, dass die zu Verfügung stehende und angewandte Behandlungsmethode nach medizinischen Erkenntnissen geeignet ist, die Krankheit zu heilen, zu lindern oder ihrer Verschlimmerung entgegenzuwirken (siehe hierzu OLG Frankfurt: Kostenerstattung bei einer dendritischen Zellbehandlung). Bei einer Erkrankung, für die es keine allgemein anerkannte Therapie und keine in der Praxis angewandte Behandlungsmethode gibt, kommt jeder gleichwohl durchgeführten Behandlung zwangsläufig Versuchscharakter zu. Das schließt die Annahme der medizinischen Notwendigkeit jedoch nicht von vornherein aus. In solchen Fällen ist die objektive Vertretbarkeit der Behandlung vielmehr schon dann zu bejahen, wenn die Behandlung als wahrscheinlich geeignet angesehen werden kann, auf eine Verhinderung der Verschlimmerung der Erkrankung oder zumindest auf ihre Verlangsamung hinzuwirken. Jedenfalls reicht es bei schweren, lebensbedrohenden Erkrankungen aus, wenn die Behandlung mit nicht nur ganz geringer Erfolgsaussicht die Erreichung des Behandlungsziels als möglich erscheinen lässt (siehe hierzu BGH: Erfolgsaussichten einer Behandlung bei unheilbaren Krankheiten).
Der Nachweis medizinischer „Richtigkeit” einer bestimmten Behandlung des chronischen Müdigkeitssyndroms kann nicht erwartet werden. Die durchgeführten Behandlungen durften auf Grund von wissenschaftlichen Veröffentlichungen als mögliche Hilfe zur Verbesserung des Krankheitszustandes eingeschätzt werden. Hier lag der Behandlungsmaßnahme eine Heilwirkung von rund 25 % zugrunde. Dieser Grad der Wahrscheinlichkeit reichte aus, um vorliegend eine medizinische Notwendigkeit anzunehmen. Das chronische Müdigkeitssyndrom ist nämlich eine schwere, existenzbedrohende Erkrankung. Die Versicherungsnehmerin hatte ständig Schmerzen, andauernde Beschwerden und war erheblich erschöpft. Sie konnte ihren Beruf nicht mehr ausüben und allenfalls kurze Zeit arbeiten. Auch der Sachverständige berichtet, dass das chronische Müdigkeitssyndrom sehr schwere und existenzbedrohende Verläufe nehmen kann. Weniger als 10% der Patienten würden sich von einem chronischen Müdigkeitssyndrom vollständig erholen. Vor diesem Hintergrund at der Versicherer die Kosten der Maßnahmen zur Behandlung des chronischen Müdigkeitssyndroms zu ersetzen.
Der Fall vor dem OLG Karlsruhe zeigt, dass die Kostenerstattung für die Behandlung eines chronischen Müdigkeitssyndroms nicht unkritisch ist. Versicherer stützen ihre Leistungsablehnung oftmals auf die fehlende medizinische Notwendigkeit der Heilbehandlungsmaßnahmen. Ob die medizinische Notwendigkeit einer Heilbehandlung gegeben ist, hängt jedoch stets von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab. Daher kann es durchaus empfehlenswert sein, eine Leistungsablehnung des Versicherers durch einen im Versicherungsrecht spezialisierten Rechtsanwalt prüfen zu lassen. Gerne stehen hierfür auch Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte zur Verfügung.
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