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Verweisung auf eine Teilzeittätigkeit im Nachprüfungsverfahren (KG Berlin)

Das Kammergericht Berlin hatte zu entscheiden, ob eine Verweisung auf eine Teilzeittätigkeit im Nachprüfungsverfahren durch den Versicherer zulässig ist (KG Berlin, Urt. v. 08.08.2023 – 6 U 32/22).

Einstellung der Berufsunfähigkeitsrente

Der Versicherungsnehmer unterhielt bei dem Versicherer eine Berufsunfähigkeitsversicherung. In den Versicherungsunterlagen waren unter anderem folgende Versicherungsbedingungen enthalten:

§ 2 (1) Abs. 4 AVB-BU

„Berufsunfähigkeit liegt nicht vor, wenn die versicherte Person eine andere berufliche Tätigkeit tatsächlich ausübt, die ihrer Ausbildung, Erfahrung und bisherigen Lebensstellung entspricht (konkrete Verweisung). …

§ 9 (1) AVB-BU:

„Nach Anerkennung oder Feststellung unserer Leistungspflicht sind wir berechtigt, das Fortbestehen der Berufsunfähigkeit und ihren Grad oder die Pflegebedürftigkeit nachzuprüfen. Dabei können wir erneut prüfen, ob die versicherte Person eine andere Tätigkeit iSv. § 2 Abs. 1 oder 4 ausübt, wobei neu erworbene berufliche Fähigkeiten zu berücksichtigen sind.“

Der Versicherungsbeginn wurde auf den 01.05.2013 dotiert. Der Versicherungsnehmer war seit März 2014 in Vollzeit als Veranstaltungskaufmann beschäftigt und nebenberuflich als selbständiger Logistiker tätig. Zum 31.05.2015 wurde das Arbeitsverhältnis des Versicherungsnehmers beendet und er befand sich ab Februar 2016 in Elternzeit.

Am 14.09.2014 stellte der Versicherungsnehmer einen Leistungsantrag aufgrund einer postoperativ hochgradigen Tetraparese. Der Versicherer lehnte den Antrag ab. Daraufhin legte der Versicherungsnehmer Klage ein, woraufhin der Versicherer am 31.01.2019 zur Zahlung der monatlichen Berufsunfähigkeitsrente verurteilt wurde. Nachfolgend absolvierte der Versicherungsnehmer eine Umschulung zum Steuerfachangestellten und war in diesem Berufsbereich ab dem 01.08.2019 in Teilzeit tätig.

Der Versicherer teilte dem Versicherungsnehmer mit Schreiben vom 03.06.2020 mit, dass er ihn im Rahmen eines vorherigen berufskundlichen Gutachtens auf seine neue Tätigkeit als Steuerfachangestellter verweise und die Versicherungsleistungen einstelle.

Der Versicherungsnehmer erhob daraufhin Klage vor dem Landgericht Berlin und begehrte die fortlaufende Zahlung der Berufsunfähigkeitsrente. Er führte an, dass eine Verweisung auf eine Teilzeittätigkeit im Nachprüfungsverfahren nicht zulässig sei, in Anbetracht seiner vorherigen Tätigkeit in der Vollzeit. Das Landgericht Berlin ließ die Klage des Versicherungsnehmers zu. Dagegen richtete sich die Berufung des Versicherers vor dem Kammergericht Berlin.

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Urteil zugunsten des Versicherungsnehmers!

Nach Ansicht des Kammergerichts führte die Einstellungsmitteilung des Versicherers nicht zu einer Beendigung seiner Leistungspflicht.

Umfang des Nachprüfungsrechts

Dem Versicherer sei es zunächst möglich, nach seinen Allgemeinen Versicherungsbedingungen in Anschluss an die Anerkennung oder Feststellung seiner Leistungspflicht das Fortbestehen der Berufsunfähigkeit nachzuprüfen. Dabei dürfe der Versicherer auch prüfen, ob eine neue Tätigkeit ausgeübt werden könne. Ist die Berufsunfähigkeit weggefallen bzw. unter 50 %, ist der Versicherer berechtigt, die Leistungen einzustellen.

Für die Beurteilung, ob eine Berufsunfähigkeit vorliege, sei nach den Allgemeinen Versicherungsbedingungen der zuletzt ausgeübte Beruf maßgeblich. Bei dem zuletzt ausgeübten Beruf habe es sich um eine Vollzeitstelle mit 40 Wochenstunden gehandelt. Diesen Beruf könne der Versicherungsnehmer unstreitig aufgrund seiner Erkrankung nicht mehr ausüben. Zudem habe ein Gutachter ausgeführt, dass es im Laufe des Tages durch die Erkrankung erhöht zu Spastiken komme und die Konzentrationsfähigkeit abnehme. Die Berufsunfähigkeitsversicherung werde nach den Allgemeinen Versicherungsbedingungen auch im Falle des Ausscheidens der Person aus dem Berufsleben fortgeführt. Es sei dann die vorher ausgeübte Tätigkeit maßgeblich. Der Zeitraum, in dem sich auf die berufliche Tätigkeit bezogen werden könne, beschränke sich auf 5 Jahre nach dem Ausscheiden aus dem Berufsleben.

Verweisung auf eine Teilzeittätigkeit?

Eine Berufsunfähigkeit scheide nach den Allgemeinen Versicherungsbedingungen aus, wenn der Versicherungsnehmer einem anderen Beruf nachgehe, der seiner Ausbildung, Erfahrung und bisherigen Lebensstellung entspreche. Bei der Beurteilung der bisherigen Stellung seien sowohl soziale als auch finanzielle Aspekte zu beurteilen. In Bezug auf die finanziellen Aspekte sei der Person eine Einkommensreduzierung von 20 % zuzumuten. Die Teilzeittätigkeit entspreche mit einer Arbeitszeit von 15 Wochenstunden nicht der einer Vollzeitkraft mit 40 Wochenstunden. Eine Teilzeittätigkeit sei grundsätzlich in Bezug auf die soziale Wertschätzung mit einer Vollzeittätigkeit nicht als gleichwertig anzusehen.

Auch das derzeitige Einkommen liege über 20 % unter dem Bruttojahresverdienst des vorherigen Einkommens. Im Zweifel komme es im Einzelfall aber nicht nur auf das vorherige Einkommen an. Vielmehr müssten alle Umstände berücksichtigt werden. Wird der Versicherungsnehmer zunächst arbeitslos und später in einer Weise berufsunfähig, dass er seine bisherige Tätigkeit noch ausführen könne, dies aber nur noch in einem Umfang unter 50 %, so bleibe der Versicherer leistungspflichtig. Nichts anderes könne bei der Aufnahme einer anderen Teilzeittätigkeit gelten.

Das Kammergericht Berlin kam vorliegend zu dem Ergebnis, dass eine Verweisung auf eine Teilzeittätigkeit im Nachprüfungsverfahren durch den Versicherer grundsätzlich nicht zulässig sei.

Fazit zum Urteil des KG Berlin

Das Urteil des Kammergerichts Berlin zeigt, dass eine Verweisung auf eine Teilzeittätigkeit im Nachprüfungsverfahren durch den Versicherer grundsätzlich unzulässig ist. Durch die Teilzeittätigkeit verringere sich nicht nur das Einkommen, meist um mehr als nur 20 %, auch die soziale Wertschätzung einer Teilzeittätigkeit entspreche nicht der einer Vollzeittätigkeit.

Beruft sich der Versicherer im Nachprüfungsverfahren auf eine Verweisung, so sollte dies stets durch einen Fachanwalt für Versicherungsrecht überprüft werden, um entsprechend unzulässige Einstellungen zu verhindern. Gerne berät Sie dabei auch die Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte. Weitere Artikel unter: Berufsunfähigkeit

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Zum Autor: Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke

Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke ist Partner der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte und seit 2017 Fachanwalt für Versicherungsrecht. Während seiner Anwaltstätigkeit hat er bereits eine Vielzahl von gerichtlichen Verfahren im Versicherungsrecht geführt und erfolgreich für die Rechte von Versicherungsnehmern gestritten.

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