Erfolgsaussichten einer Behandlung bei unheilbaren Krankheiten (BGH)

Der BGH hatte sich mit den Anforderungen an die Erfolgsaussichten einer Behandlung bei unheilbaren Krankheiten zu befassen (BGH, Beschl. v. 30.10.2013 – IV ZR 307/12). Dabei war zu klären, wie sich die Erfolgsaussichten einer Behandlung definieren, wenn der Versicherte an einer unheilbaren, lebenzerstörenden Krankheit leidet.

Versicherungsnehmer leidet an Prostatakarzinom

Der Versicherungsnehmer litt an einem Prostatakarzinom im fortgeschrittenen Stadium. Er begehrte die Erstattung der Kosten für eine Immuntherapie mit dendritischen Zellen vom Versicherer, bei dem er eine private Krankenversicherung unterhielt. Bei der angewandten Behandlungsmethode handelte es sich um eine neue, schulmedizinisch noch nicht etablierte und auch noch nicht vollständig erforschte Methode.

Der Versicherungsnehmer beantragte unter Vorlage eines Behandlungsplans und eines Kostenvoranschlags über 53.400 Euro für eine einjährige Therapie die Kostenübernahme. Der Versicherer lehnte seiner Leistungspflicht ab, da die Behandlung medizinisch nicht notwendig sei. Zudem würden schulmedizinische Behandlungsmethoden zur Verfügung stehen, sodass ein Rückgriff auf die durchgeführte alternativmedizinische Behandlung nicht erstattungspflichtig sei.

Der Versicherungsnehmer verwies darauf, dass sich bisher angewendete konservative Behandlungsmaßnahmen als ungeeignet erwiesen hätten. Zudem weise die Therapie erste in Studien beschriebene klinische Erfolge auf. Es bestünden daher berechtigte Erfolgsaussichten einer Behandlung.

Das Landgericht Bremen (Az.: 6 O 311711) sowie das Oberlandesgericht Bremen (Az.: 3 U 32/12) wiesen die Klage des Versicherungsnehmers ab. Auch sie waren der Ansicht, die Behandlung sei nicht medizinisch notwendig. Hiergegen richtete sich die Revision des Versicherungsnehmers vor dem BGH.

Erstattungsanspruch auch bei geringen Erfolgsaussichten einer Behandlung

Der BGH wies darauf hin, dass die medizinische Notwendigkeit bei unheilbaren, lebensbedrohlichen Krankheiten bereits dann vorliegt, wenn die Behandlung mit nicht nur ganz geringer Erfolgsaussicht die Erreichung des Behandlungszieles möglich erscheinen lässt. Daher bestünden hinreichende Erfolgsaussichten einer Behandlung. Die vorliegend durchgeführte dendritische Zelltherapie war vor diesem Hintergrund als medizinisch notwendig einzustufen.

Grundsatz der medizinischen Notwendigkeit

Eignet sich die Behandlungsmethode die Krankheit zu heilen, zu lindern oder ihrer Verschlimmerung entgegenzuwirken, so ist von ihrer medizinischen Notwendigkeit auszugehen. Für die Beurteilung der medizinischen Notwendigkeit ist ein objektiver Maßstab anzuwenden. Dieser ist unabhängig vom Vertrag zwischen Arzt und Patient.

Diese objektive Anknüpfung bedeutet zugleich, dass es für die Beurteilung der medizinischen Notwendigkeit nicht auf die Auffassung des Versicherungsnehmers und auch nicht allein auf die des behandelnden Arztes ankommen kann. Gegenstand der Beurteilung können vielmehr nur die medizinischen Befunde und Erkenntnisse im Zeitpunkt der Vornahme der Behandlung sein. Eine medizinisch notwendige Heilbehandlung liegt demgemäß jedenfalls dann vor, wenn es nach dem objektiven medizinischen Befunden und Erkenntnissen im Zeitpunkt der Vornahme der ärztlichen Behandlung vertretbar war, sie als notwendig anzusehen.

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Medizinische Notwendigkeit bei unheilbaren Krankheiten

Leidet der Versicherungsnehmer wie hier an einer unheilbaren Krankheit, für die es keine auf die Verhinderung der Verschlimmerung abzielende medizinisch anerkannte Behandlungsmethode gibt, kommt jeder gleichwohl durchgeführten Behandlung lediglich Versuchscharakter zu.

Liegt eine lebensbedrohende oder gar lebenzerstörende Erkrankung vor, kann die Behandlung daher auch dann als medizinisch notwendig erachtet werden. In diesem Falle kann nicht mehr darauf abgestellt werden, ob sich die gewünschte Behandlung zur Erreichung des vorgegebenen Behandlungsziels tatsächlich eignet. Die objektive Vertretbarkeit der Behandlung ist bereits dann zu bejahen, wenn sie nach medizinischen Erkenntnissen als wahrscheinlich geeignet angesehen werden konnte, auf eine Verhinderung der Verschlimmerung der Erkrankung oder zumindest auf ihre Verlangsamung hinzuwirken. Maßgeblich ist der Zeitpunkt der Vornahme der Behandlung. Dabei ist nicht einmal zu fordern, dass der Behandlungserfolg näher liegt als sein Ausbleiben. Vielmehr reicht es aus, wenn die Behandlung mit nicht nur ganz geringer Erfolgsaussicht die Erreichung des Behandlungsziels als möglich erscheinen lässt.

Rückgriff auf alternativmedizinische Behandlungsmethoden

Bei der hier in Streit stehenden Behandlung handelt es sich um eine alternativmedizinische Behandlungsmethode. Voraussetzung für deren Durchführung ist, dass die gewählte Methode auf einem nach medizinischen Erkenntnissen nachvollziehbaren Ansatz beruht. Dem steht nicht entgegen, dass eine Behandlungsmethode noch nicht in der medizinischen Literatur nach wissenschaftlichem Standard dokumentiert und bewertet worden ist. Eine Verneinung der Erfolgsaussichten einer Behandlung kann demnach nicht auf bisher fehlende Veröffentlichungen gestützt werden (siehe auch LG Nürnberg-Fürth: Medizinische Notwendigkeit einer HIFU-Behandlung).

Der Versicherer berief sich hier darauf, dass die schulmedizinischen Behandlungsmethoden zum Zeitpunkt der Immuntherapie noch nicht ausgeschöpft waren. Jedoch erklärte der BGH, dass die Vorinstanzen hier nicht geklärt haben, welchem Ziel die möglichen Behandlungsansätze dienen und welchen Erfolg sie versprechen.

Die Leistungspflicht des Versicherers hat sich auch daran zu orientieren, was schuldmedizinisch anerkannte Methoden zu leisten vermögen und was im Gegenzug dazu die alternative, vom Versicherungsnehmer gewünschte Behandlung zu leisten vorgibt. Dazu ist zunächst das konkrete Behandlungsziel der schuldmedizinisch anerkannten Maßnahmen zu klären. Dabei gilt es zwischen der Heilung einer Krankheit, der Verhütung ihrer Verschlimmerung und der Linderung von Krankheitsbeschwerden zu unterscheiden.

Als vorrangiges Behandlungsziel ist nach Möglichkeit stets die Heilung der Krankheit anzustreben. Die Verhütung einer Verschlimmerung oder die bloße Linderung von Krankheitsbeschwerden sind regelmäßig nachrangige Behandlungsziele. Bietet die Schulmedizin nur noch palliative Therapien an, kommt die Notwendigkeit einer Alternativbehandlung schon dann in Betracht, wenn sie eine durch Indizien gestützte Aussicht auf einen über die palliative Standardtherapie hinaus reichenden Erfolg bietet. Der Versicherungsnehmer kann nicht auf eine lediglich der Eindämmung oder Linderung von Krankheitsbeschwerden dienende Standardtherapie verwiesen werden, wenn eine Alternativbehandlung die nicht ganz entfernte Aussicht auf weitergehende Heilung bietet (siehe auch OLG Frankfurt: Kostenerstattung bei einer dendritischen Zellbehandlung).

Diese Feststellungen galt es vorliegend noch zu treffen. Vor diesem Hintergrund wies der BGH das Verfahren an das Berufungsgericht zurück.

Fazit

Die Behandlungskosten unheilbarer, lebensbedrohlichen Erkrankungen können sehr hoch sein. Die Bewertung, ob Erfolgsaussichten einer Behandlung bei einer unheilbaren Krankheit bestehen, hängt dabei stets von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Daher kann es durchaus empfehlenswert sein, im Falle einer Ablehnung der Kostenerstattung des Versicherers die Expertise eines im Versicherungsrecht spezialisierten Rechtsanwalts einzuholen. Gerne stehen Ihnen hierfür Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte zur Verfügung.

Zum Autor: Rechtsanwalt Jens Reichow

Rechtsanwalt Reichow ist Partner der Hamburger Kanzlei Jöhnke & Reichow. Er betreut vor Allem Verfahren im Versicherungsrecht, zur Haftung von Versicherungsvermittlern und Streitigkeiten aus dem Handelsvertreterrecht. Nähere Angaben zu Jens Reichow finden Sie unter folgendem Anwaltsprofil:

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