Die Überversorgung/Übermaßregelung in der PKV (BGH)

Der BGH hatte sich mit der Übermaßregelung der in der PKV und der Frage zu befassen, wann eine Überversorgung vorliegt (BGH, Urt. v. 22.04.2015 – IV ZR 419/13).

Kostenerstattung für ein Hörgerät

Die Versicherungsnehmerin unterhält eine private Krankenversicherung beim Versicherer. In dem Fall vor dem BGH stritten die Parteien um den Umfang der Erstattungspflicht für die Kosten eines Hörgeräts.

Der Versicherungsnehmerin wurde ein Hörgerät für ihr linkes Ohr verordnet. Sie nahm eine vergleichende Anpassung verschiedener Hörgerätetypen vor und erwarb schließlich ein Hörgerät zum Preis von etwa 3.000 Euro. Das Hörgerät wies zahlreiche Ausstattungsmerkmale auf. Der Versicherer erstattete jedoch lediglich 1.500 Euro. Er war der Auffassung, dass das Gerät medizinisch nicht notwendig sei und Alternativgeräte für 1.500 Euro zu erhalten seien.

Die Versicherungsnehmerin begehrte zunächst vor dem Amtsgericht München (Az.: 264 C 29655/11) und dem Landgericht München (Az.: 20 S 559/13) die Verurteilung des Versicherers zur Zahlung des Differenzbetrages. Die Vorinstanzen gaben der Klage statt. Dies wurde damit begründet, dass der Versicherer sich nicht auf einen Leistungsausschluss wegen einer Übermaßbehandlung stützen könne. Dieser erstrecke sich nicht auf alle Leistungen, für die eine Erstattungsfähigkeit vereinbart sei, sondern nur auf Heilbehandlungen und sonstige Maßnahmen. Ein Hörgerät als Hilfsmittel zähle nicht dazu. Das Hörgerät stelle auch keine Überversorgung dar. Es sei unerheblich, dass das Hörgerät einzelne Merkmale aufweist, die nicht medizinisch notwendig sind. Dagegen wendet sich nun die Revision des Versicherers vor dem BGH.

Übermaßregelung gilt auch für Hilfsmittel

Der BGH erklärte, dass das Berufungsgericht zu Unrecht der Auffassung war, dass sich das Leistungskürzungsrecht des Versicherers nicht auf Aufwendungen für Hilfsmittel bezieht. Ferner übersteigen die Aufwendungen für das Hörgerät vorliegend das medizinisch notwendige Maß und stellen daher eine Überversorgung dar.

Begriff der „Heilbehandlung“ und „sonstigen Maßnahmen“

Den allgemeinen Versicherungsbedingungen ist zu entnehmen, dass die Leistungseinschränkung für Heilbehandlungen und sonstige Maßnahmen gelten soll. Als Heilbehandlung ist jegliche ärztliche Tätigkeit anzusehen, die durch die betreffende Krankheit verursacht worden ist, sofern die Leistung des Arztes von ihrer Art her in den Rahmen der medizinisch notwendigen Krankenpflege fällt. Zudem muss die Heilbehandlung auf Heilung oder Besserung oder auch Linderung der Krankheit abzielen. Dem ist eine ärztliche Tätigkeit gleichzustellen, die auf eine Verhinderung der Verschlimmerung oder zumindest Verlangsamung einer Krankheit gerichtet ist. Eine solche Heilbehandlung lag hier nicht vor.

Alle vom Versicherer im Versicherungsfall geschuldeten Leistungen, die keine Heilbehandlungen sind, werden als „sonstige Leistungen“ oder „sonstige Maßnahmen“ zusammengefasst. Darunter fallen auch Hilfsmittel wie ein Hörgerät. Der Sinn der Übermaßregelung liegt darin, dass sich der Versicherer vor unnötigen Kostenbelastung durch aus medizinischer Sicht nicht notwendige Maßnahmen schützen will. Dies gilt für Hilfsmittel ebenso wie für Heilbehandlungsmaßnahmen. Die Gefahr einer Überversorgung, der die Regelung erkennbar vorbeugen will, besteht gerade dann, wenn die Auswahl des konkreten Hilfsmittels von einer Willensentscheidung des Versicherungsnehmers abhängt. Aufwendungen für Hilfsmittel werden also vom Begriff der sonstigen Maßnahmen erfasst.

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Voraussetzungen einer Überversorgung

Der BGH erklärte, dass der Versicherer hier das Vorliegen einer Übermaßversorgung schlüssig dargelegt hat. Das Hörgerät wies Merkmale auf, die medizinisch nicht notwendig waren.

Die Aufwendungen für ein vom Arzt verordnetes und vom Versicherungsnehmer erworbenes Hilfsmittel übersteigen das medizinisch notwendige Maß dann, wenn einerseits das Hilfsmittel zusätzliche, nicht benötigte Funktionen oder Ausstattungsmerkmale aufweist. Andererseits wird vorausgesetzt, dass zugleich preiswertere, Hilfsmittel zur Verfügung stehen. Diese müssen den medizinischen Anforderungen entsprechen, jedoch ohne diese zusätzlichen Funktionen oder Ausstattungsmerkmale.

Versicherer trifft die Beweislast

Der Versicherer muss beweisen, dass eine einzelne Behandlungsmaßnahme bei einer an sich medizinisch notwendigen Behandlung das Maß der medizinischen Notwendigkeit übersteigt. Übertragen auf Hilfsmittel muss der Versicherer also darlegen, dass bei einem an sich notwendigen Hilfsmittel bestimmte Funktionen oder Ausstattungsmerkmale medizinisch nicht notwendig sind. Darüber hinaus muss ein Hilfsmittel ohne diese Ausstattungsmerkmale oder Funktionen, welches das medizinisch notwendige Maß erfüllt, zu einem niedrigeren Preis am Markt erhältlich sein. Auch dies muss der Versicherer beweisen. Dieser niedrigere Preis stellt dann zugleich den angemessenen Betrag dar, auf den der Versicherer seine Leistung in diesem Falle kürzen kann.

Die Betrachtung des Berufungsgerichts verkennt vorliegend den Zweck der Übermaßregelung, so der BGH. Es ist davon auszugehen, dass jedes Hilfsmittel vorrangig und im Schwerpunkt dazu dient, Defizite infolge einer körperlichen Beeinträchtigung auszugleichen. Vor diesem Hintergrund dient die Übermaßregelung gerade dazu, dass bei der Auswahl unter mehreren, den medizinischen Zweck in gleicher Weise und ausreichend erfüllenden Hilfsmitteln kostenschonend vorgegangen und die Wahl auf das medizinisch Notwendige beschränkt wird. Will ein Versicherungsnehmer darüber hinaus einen zusätzlichen Funktionsumfang oder Bedienungskomfort in Anspruch nehmen, steht ihm das zwar frei, jedoch sind die Mehrkosten insoweit von ihm selbst zu tragen.

Nach der Auffassung des BGH hat der Versicherer überzeugend dargelegt, dass zahlreiche Ausstattungsmerkmale des Hörgeräts nicht medizinisch notwendig waren. Hörgeräte, die das medizinisch notwendige Maß erfüllen hätten für 1.500 Euro erworben werden können. Vor diesem Hintergrund wies der BGH die Sache an das Berufungsgericht zurück.

Fazit

Private Krankenversicherer müssen Kosten für Hilfsmittel nicht uneingeschränkt erstatten. Übersteigen die Aufwendungen für ein Hilfsmittel das medizinisch notwendige Maß, kann die Übermaßregelung greifen, wodurch der Versicherer seine Leistungen kürzen kann. Es obliegt jedoch dem Versicherer zu beweisen, dass bestimmte Funktionen oder Ausstattungsmerkmale eines Hilfsmittels medizinisch nicht notwendig sind und damit eine Überversorgung vorliegt. Zudem muss der Versicherer darlegen, dass entsprechende Hilfsmittel zu einem günstigeren Preis am Markt erhältlich waren. Ob tatsächlich eine solche Übermaßversorgung, die zu einer Verkürzung der Leistungspflicht des Versicherers führt vorliegt, ist eine Frage des Einzelfalls. Daher kann es sich bei rechtlichen Fragen oder Problemen empfehlen die Expertise eines im Versicherungsrecht spezialisierten Rechtsanwalts einzuholen. Gerne stehen hierfür auch Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte zur Verfügung.

Zum Autor: Rechtsanwalt Jens Reichow

Rechtsanwalt Reichow ist Partner der Hamburger Kanzlei Jöhnke & Reichow. Er betreut vor Allem Verfahren im Versicherungsrecht, zur Haftung von Versicherungsvermittlern und Streitigkeiten aus dem Handelsvertreterrecht. Nähere Angaben zu Jens Reichow finden Sie unter folgendem Anwaltsprofil:

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