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Zurechnung der Kenntnis des Versicherungsagenten (BGH)

Der BGH hatte darüber zu entscheiden, ob und inwieweit eine Zurechnung der Kenntnis des Versicherungsagenten zu Lasten des Versicherers in Betracht kommt (BGH, Urteil vom 11.11.1987 – IVa ZR 240/86).

Rücktritt und Anfechtung des Versicherungsvertrags wegen arglistiger Täuschung

Der Versicherungsnehmer hatte eine Berufsausbildung zum Tankwart abgeschlossen und war in zuletzt gesunden Tagen als selbstständiger Betreiber einer Autowaschanlage tätig. Als der Versicherungsnehmer mit einem Leistungsantrag Ansprüche aus einer Ende 1981 geschlossenen Berufsunfähigkeitszusatzversicherung geltend machen wollte, verweigerte der Versicherer zunächst die Zahlung einer Berufsunfähigkeitsrente, da nach Auffassung des Versicherers keine bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit des Tankwartes vorlag.

Im Zuge des vom Versicherungsnehmer angestrengten Prozesses, erklärte der Versicherer obendrein den Rücktritt und die Anfechtung des Versicherungsvertrags wegen einer mutmaßlichen arglistigen Täuschung. Der Versicherer begründete dies damit, dass der Versicherungsnehmer vermeintlich bei Beantragung der Berufsunfähigkeitsversicherung unzureichende Angaben bezüglich etwaiger Vorerkrankungen und deren Behandlung gemacht habe. Außerdem habe er die Ablehnung eines früheren Versicherungsantrags verschwiegen.

Der Versicherungsnehmer hingegen behauptete, er habe dem Versicherungsagenten des Versicherers, der das Antragsformular ausgefüllt hatte, wahrheitsgemäße und vollständige Angaben gemacht. Außerdem habe er diesen sowohl über den geforderten Risikoausschluss in einer beantragten Vorversicherung als auch über diverse Vorerkrankungen informiert.

Die erste Instanz wies die Klage des Versicherungsnehmers dennoch ab, da dieser nicht berufsunfähig geworden sei und der Versicherer zudem wirksam vom Vertrag zurückgetreten sei. Im Berufungsverfahren wurde die ursprüngliche Entscheidung durch das OLG Celle bestätigt. Sodann legte der Versicherungsnehmer Revision beim Bundesgerichtshof ein.

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Erfolg des Versicherungsnehmers vor dem BGH

Der BGH teilte die Auffassung der Vorinstanzen nicht. Vielmehr sah der BGH den Rücktritt und die Anfechtung des Versicherungsvertrags als unwirksam an. Das Urteil wurde mithin aufgehoben und das Verfahren zurück an die Vorinstanzen verwiesen.

Zurechnung der Kenntnis des Versicherungsagenten gerichtlich bestätigt!

Der BGH verwies u. a. darauf, dass der Versicherungsnehmer vorgetragen und unter Beweis gestellt hatte, dass er den Versicherungsagenten des Versicherers, der mit dem Ausfüllen des Antragsformulars betraut war, in zutreffender Weise unterrichtet hatte. Unterstellt eine Beweisaufnahme hätte die Behauptungen des Versicherungsnehmers bestätigt, so hätte eine Zurechnung der Kenntnis des Versicherungsagenten zuungunsten des Versicherers erfolgen können, obgleich es sich vorliegend nicht um einen Angestellten des Versicherers, sondern lediglich um einen selbständigen Vermittler gehandelt hatte.

Der Versicherungsnehmer hätte seine Anzeigenobliegenheit daher ordnungsgemäß erfüllt, auch wenn der Versicherungsagent des Versicherers die entgegengenommenen Mitteilungen nicht – wie geboten – weitergegeben hatte. Der Versicherer könnte dem Versicherungsnehmer dann daher nicht mit Erfolg entgegenhalten, dass er sich das Wissen des Versicherungsagenten nicht zurechnen lassen muss.

Des Weiteren machte der BGH deutlich, dass der Versicherungsagent nicht nur als Empfangsbote gilt, sondern als rechtsgeschäftlich bestellter passiver Stellvertreter operiert. Deshalb war er nach § 43 Abs.1 Nr.1 VVG a.F. normativ zur Entgegennahme des Antrags auf Abschluss des Versicherungsvertrages befähigt. Die Annahme des Antrags und die Kenntnisse der vom Antragsteller hierbei erteilten vorvertraglichen Gefahranzeigen bilden hierbei einen einheitlichen Vorgang, der keine rechtliche Aufspaltung gestattet.

§ 44 VVG a. F. führt nicht zum Ausschluss der Wissenszurechnung

Darüber hinaus erklärte der BGH, dass bei Versicherungsagenten eine Wissenszurechnung auch nicht aufgrund von § 44 VVG a.F. ausscheidet. Denn diese Norm ist in ihrem Anwendungsbereich auf Fälle begrenzt, in denen es nicht um geschäftliche, im Kontext mit der Antragstellung erlangtes Wissen des Versicherungsagenten geht. Verstünde man den § 44 VVG a. F. anders, so würde der allgemeine zivilrechtliche Grundsatz der Kenntniszurechnung bei Stellvertretern nach § 166 BGB außer Kraft gesetzt. Ein derart weitgefasster Eingriff ist der Vorschrift aber nicht zu entnehmen. Ein andersartiges Verständnis der Vorschrift entspricht weiterhin nicht dem vom Gesetzgeber angestrebten Schutz der Versicherungsnehmer bei ihrer Korrespondenz mit Versicherern.

Fazit

Das Urteil des BGH vom 11.11.1987 stärkte die Rechte von Versicherungsnehmer erheblich und bestätigte, dass eine Zurechnung der Kenntnis des Versicherungsagenten zu Lasten des Versicherers durchaus möglich ist. Im Rahmen der VVG-Reform nahm auch der Gesetzgeber diesen Grundsatz in § 70 VVG auf.

Gleichwohl bietet die Frage der Zurechnung der Kenntnis des Versicherungsagenten auch weiterhin Stoff für eine Vielzahl rechtlicher Streitigkeiten zwischen Versicherern und Versicherungsnehmern. Diese entbrennen nicht zuletzt auch deswegen, weil oftmals streitig ist, welche Kenntnisse der Versicherungsagent tatsächlich zu welchem Zeitpunkt besaß.

Sollte der Versicherer eine Zurechnung der Kenntnis des Versicherungsagenten ablehnen, so kann es daher durchaus sinnvoll sein, die Leistungsablehnung durch einen im Versicherungsrecht spezialisierten Rechtsanwalt prüfen zu lassen. Gerne stehen hierfür auch Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte zur Verfügung.

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Zum Autor: Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke

Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke ist Partner der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte und seit 2017 Fachanwalt für Versicherungsrecht. Während seiner Anwaltstätigkeit hat er bereits eine Vielzahl von gerichtlichen Verfahren im Versicherungsrecht geführt und erfolgreich für die Rechte von Versicherungsnehmern gestritten.

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