Das OLG Karlsruhe entschied, über die Kostenerstattung für künstliche Befruchtung bei Unverheirateten in der Krankenversicherung (Urt. v. 13.10.2017 – 12 U 107/17).
In dem hier vorliegenden Fall vor dem Oberlandesgericht Karlsruhe begehrte die Versicherungsnehmerin eine Kostenerstattung für künstliche Befruchtung mit In-vitro-Fertilisation von ihrer privaten Krankenversicherung.
Die Versicherungsnehmerin leidet an einer chromosomalen Veränderung, aufgrund derer die Wahrscheinlichkeit für eine intakte Schwangerschaft beziehungsweise für ein gesundes Kind bei unter 50% liegt. Sie ließ daher eine künstliche Befruchtung durchführe. Zum Zeitpunkt der Durchführung war sie noch nicht mit ihrem Lebenspartner verheiratet. Die Behandlungskosten betrugen rund 11.700 Euro. Der Versuch einer künstlichen Befruchtung bleib jedoch erfolglos.
Die Versicherungsnehmerin forderte vom Versicherer eine Kostenerstattung für künstliche Befruchtung. Der Versicherer lehnte den Leistungsantrag jedoch unter Berufung auf die Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) ab. Laut den dem Vertrag zugrunde liegenden AVB übernimmt der Versicherer Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung aufgrund von organisch bedingter Sterilität für insgesamt drei Behandlungsversuche bei hinreichender Erfolgsaussicht. Dort ist zudem festgelegt, dass der Versicherer die Kosten für die künstliche Befruchtung nur dann übernimmt, wenn das Paar verheiratet ist und ausschließlich Ei- und Samenzellen der Ehegatten verwendet werden.
Hiergegen wendete sich die Versicherungsnehmerin und begehrte die Erstattung der Behandlungskosten. Ihr Kinderwunsch sei auf natürlichem Wege nicht zu erfüllen und die Klausel über die künstliche Befruchtung insgesamt intransparent. Der Versicherer berief sich auf die Wirksamkeit der in Streit stehenden Klausel zur Erstattung der Kosten für künstliche Befruchtung bei Eheleuten. Zudem machte der Versicherer geltend, dass die Versicherungsnehmerin grundsätzlich auf natürlichem Wege schwanger werden kann und damit nicht organisch steril ist.
Das OLG Karlsruhe entschied, dass die Klausel zur Beschränkung der Kostenerstattung für künstliche Befruchtung auf verheiratete Paare willkürlich und damit unwirksam ist. Die Beschränkung des Anspruchs auf lediglich drei Versuche sei hingegen wirksam.
Das OLG Karlsruhe erklärte, dass eine genetische Veränderung, die die Fortpflanzungsfähigkeit beeinträchtigt eine Krankheit im Sinne der AVB darstellt. Eine Krankheit ist ein objektiv nach ärztlichem Urteil bestehender anormaler, regelwidriger Körper- oder Geisteszustand (vgl. Was ist eine Krankheit im Sinne der PKV (BGH)).
Eine bedingungsgemäße Krankheit bei einer Frau ist bereits dann gegeben, wenn die Fähigkeit, auf natürlichem Wege ein Kind zur Welt zu bringen nicht ausgeschlossen, aber stark eingeschränkt ist. Vorliegend lag bei der Versicherungsnehmerin aufgrund der chromosomalen Veränderung die Wahrscheinlichkeit für eine intakte Schwangerschaft beziehungsweise für ein gesundes Kind bei unter 50%. Daraus folgt, dass die Versicherungsnehmerin in ihrer Fähigkeit, ein Kind zur Welt zu bringen, infolge eines regelwidrigen körperlichen Zustands stark eingeschränkt ist.
Auf äußere Lebensumstände kommt es nach dieser Definition des Krankheitsbegriffs nicht an. Eine organisch bedingte Sterilität ist somit unabhängig von Bestehen einer Ehe als Krankheit zu werten (siehe auch OLG Hamm, Urt. v. 11.11.2016 – 20 U 119/16).
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Das OLG Karlsruhe entschied, dass eine Beschränkung der Kostenerstattung für künstliche Befruchtung bei organisch bedingter Unfruchtbarkeit allein auf verheiratete Paare unwirksam ist. Zwar gefährdet die Klausel nicht den Vertragszweck, da der Krankenversicherungsvertrag auch im Falle eines vollständigen Ausschlusses der Kostenerstattung für die – nicht vital lebensnotwendigen – Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung nicht ausgehöhlt wurde. Die Unterscheidung zwischen verheirateten und unverheirateten Versicherungsnehmern hielt das OLG Karlsruhe jedoch für willkürlich.
Der private Krankenversicherer verfolgt mit der Ausgestaltung seiner Versicherungsbedingungen unternehmerische und wirtschaftliche Interessen. In den AVB darf jedoch keine willkürliche Differenzierung zwischen Vertragspartnern mit gleicher Interessenlage vorgenommen werden. Der Familienstand der Versicherungsnehmer stellt sich aus der wirtschaftlichen Sicht des Versicherers jedoch als zufällig und damit als willkürlich dar. Ein sachlicher Grund für die Differenzierung ergibt sich aus dem Verhältnis der Vertragsparteien in der privaten Krankenversicherung nicht. Bei Vorliegen einer organisch bedingten Sterilität ist das Interesse der Versicherungsnehmerin an einer Behandlung dieser Krankheit unabhängig von ihrem Familienstand anzuerkennen.
Das OLG Karlsruhe stellte hingegen klar, dass eine in den AVB statuierte Beschränkung der Kostenerstattung auf bis zu drei Behandlungszyklen wirksam ist. Durch die Beschränkung wird die Versicherungsnehmerin nicht entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt.
Der Versicherer hat mit Blick auf die Überschaubarkeit der von ihm zu erbringenden Leistungen und seine Tarifkalkulation – und damit letztlich auch im Interesse der Versicherungsnehmer – ein berechtigtes Interesse, einer für ihn unüberschaubaren Ausweitung des Versicherungsschutzes entgegenzutreten. Dieses Ziel wird auch mit der streitgegenständlichen Klausel in zulässiger Weise verfolgt.
Nach den Grundsätzen von Treu und Glauben hat die Versicherungsnehmerin bei der Inanspruchnahme dieser besonders kostenträchtigen und nicht vital lebensnotwendigen Behandlung in angemessener Weise Rücksicht auf den Versicherer und die Versichertengemeinschaft zu nehmen. Daher kann der Versuch nicht beliebig oft wiederholt werden (BGH, Urt. v. 17. 12. 1986 – IVa ZR 78/85).
Nach der Rechtsprechung des OLG Karlsruhe darf die Kostenerstattung für künstliche Befruchtung auch unverheirateten Paaren nicht verweigert werden. Vor diesem Hintergrund stand der Versicherungsnehmerin hier der Anspruch auf Erstattung der Behandlungskosten gegen den Versicherer zu.
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