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Anforderungen an die ärztliche Invaliditätsfeststellung (BGH)

Der BGH hatte über die Anforderungen an die ärztliche Invaliditätsfeststellung als Voraussetzung für den Anspruch auf Invaliditätsleistung zu entscheiden (Urt. v. 07.03.2007 – IV ZR 137/06).

Streit um Reichweite der ärztlichen Invaliditätsfeststellung

Vorliegend begehrte der Versicherungsnehmer Leistungen aus seiner Unfallversicherung.

Der Versicherungsnehmer erlitt bei einem Verkehrsunfall neben verschiedenen Prellungen und Schürfungen eine Hüftpfannenfraktur. Diese führte zu einer Invalidität von 10% (siehe auch BGH: Die Erstbemessung des Invaliditätsgrades). Der Versicherungsnehmer leidet zusätzlich seit dem Unfall an Schmerzattacken, Kopfschmerzen, Schwindel und Konzentrationsstörungen. Die ärztliche Invaliditätsbescheinigung nennt ständige Cephalgie, Gedächtnisreduzierung sowie Schmerzen in der linken Hüfte und der Lendenwirbelsäule als die Invalidität verursachende Funktionsstörungen.

Zudem behauptet der Versicherungsnehmer, dass sich eine Depression entwickelt habe. Deshalb sei nach seinem Dafürhalten von einer Invalidität von 50% auszugehen.  Die Depression wurde in der Invaliditätsbescheinigung des Arztes jedoch nicht ausdrücklich aufgeführt.

Nachdem der Versicherer eine darauf basierende Regulierung des Versicherungsfalles abgelehnt hatte, erhob der Versicherungsnehmer Klage. Der Versicherer berief sich zunächst darauf, dass „krankhafte Störungen infolge psychischer Reaktionen“ vom Versicherungsschutz ausgenommen seien. Das LG Baden-Baden wies die Klage des Versicherungsnehmers auf weitere Invaliditätsentschädigungen ab (Az.: 2 O 95/00).

Das OLG Karlsruhe hingegen gab der Berufung des Versicherungsnehmers statt (Az.: 12 U 192/04). Das OLG Karlsruhe begründetet seine Entscheidung damit, dass die Anforderungen an die ärztliche Invaliditätsfeststellung Feststellungswirkung nicht zu hoch zu bemessen sein. Die ärztliche Bescheinigung sei nicht zu eng auszulegen. Schlussendlich handele es sich bei den bescheinigten Kopfschmerzen und Gedächtnisreduzierung um denselben Defekt wie den, der nicht ausdrücklich angesprochenen Depression. Die Klausel, nach der krankhafte Störungen infolge psychischer Reaktionen nicht vom Versicherungsschutz erfasst sind, beziehe sich nicht auf psychische Störungen, die sich durch eine unfallbedingte organische Beeinträchtigung erklären ließen. Es könne hier nicht ausgeschlossen werden, dass die Depressionen auf der körperlichen Primärverletzung und deren Folgen beruhen, so das OLG Karlsruhe.

Ärztliche Invaliditätsfeststellung ist unzureichend

Der BGH entschied, dass der Anspruch des Versicherungsnehmers daran scheitert, dass die Anforderungen an die ärztliche Invaliditätsfeststellung nicht eingehalten wurden. Die vermeintliche Depression des Versicherungsnehmers wurde nicht ärztlich dargelegt und kann daher keine Grundlage für die Bemessung der Invalidität oder die Ermittlung der Höhe des Leistungsanspruches sein.

Anforderungen an die ärztliche Invaliditätsfeststellung

Um die Anforderungen an die ärztliche Invaliditätsfeststellung zu genügen, muss eine ärztliche Invaliditätsfeststellung die Ursache und Art der Auswirkungen der Invalidität enthalten. Dies soll dem Versicherer ermöglichen, seine Leistungspflicht auf Grund der ärztlichen Feststellung zu prüfen (siehe auch OLG Frankfurt: Invaliditätsfeststellung durch ärztlichen Vermerk auf Vordruck der Unfallversicherung). Die ärztliche Invaliditätsfeststellung soll zugleich eine Ausgrenzung von Spätschäden ermöglichen, die in der Regel nur schwer abklärbar und überschaubar sind. Daher will der Versicherer sie von der Deckung ausnehmen.

Erforderlich ist die Angabe eines konkreten Dauerschadens. Dies soll dem berechtigten Interesse des Versicherers an der zeitnahen Klärung seiner Leistungspflicht Rechnung tragen. Der Versicherer kann nur einem solchen Dauerschaden nachgehen, zu dessen Ursache und Auswirkungen sich die ärztliche Bescheinigung bereits verhält (siehe auch OLG Dresden Inhalt der ärztlichen Invaliditätsfeststellung in der Unfallversicherung). Führt die ärztliche Bescheinigung hingegen einen Dauerschaden, auf den sich der Versicherungsnehmer später beruft, noch gar nicht auf, kann der Zweck dieser Bescheinigung nicht erreicht werden.

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Vorliegend keine Angaben zu Depressionen in der ärztlichen Invaliditätsfeststellung

Aus der ärztlichen Bescheinigung dauerhaft verbleibender Kopfschmerzen und Gedächtnisreduzierung ergibt sich nicht die Feststellung einer Depression als Dauerschaden.

Sie enthält keine auf eine Depression als Dauerschaden bezogene und auf objektiven Befunden beruhende ärztliche Prognose, dass als Unfallfolge eine dauernde Beeinträchtigung der körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit gegeben ist. Die ärztliche Feststellung zeigt hier keinen Dauerschaden und zieht nicht den wertenden und für die ärztliche Feststellung zwingend erforderlichen Rückschluss auf Invalidität. Entgegen der Auffassung des OLG Karlsruhe können die bescheinigten Kopfschmerzen und Gedächtnisreduzierung nicht mit einer Depression gleichgesetzt werden. Zudem lassen sie keinen Rückschluss auf das Vorliegen eines solchen Dauerschadens zu (siehe auch OLG Jena: keine Auslegung eines ärztlichen Attests für die Invaliditätsfeststellung der Unfallversicherung).

Vor diesem Hintergrund ist die Depression als Invalidität begründender Dauerschaden somit nicht ärztlich festgestellt. Die ärztlichen Bescheinigungen haben dem Versicherer keinen Anlass gegeben, über die körperlichen Unfallfolgen hinaus eine Beeinträchtigung auch der geistigen Leistungsfähigkeit abzuklären.

Fazit

Psychische Unfallfolgen und deren Berücksichtigung in der Unfallversicherung beschäftigen immer wieder die Gerichte (siehe auch OLG Frankfurt: Leistungsausschluss bei psychischen Unfallfolgen und OLG Koblenz: Berücksichtigung psychischer Beeinträchtigungen nach Unfall für Invaliditätsgrad in der Unfallversicherung). Der Fall vor dem BGH verdeutlicht die entscheidende Rolle, die die ärztliche Invaliditätsfeststellung für den Leistungsanspruch des Versicherungsnehmers hat. Unmittelbar nach dem Unfallereignis gilt es notwendig Maßnahmen zur Sicherung des Anspruchs aus der Unfallversicherung zu treffen. Dazu zählt insbesondere die fristgerechte und begründete ärztliche Invaliditätsfeststellung. Die Frage, ob die ärztliche Invaliditätsfeststellung den Anforderungen des Versicherers entspricht, führt in der Praxis häufig zu juristischen Auseinandersetzungen (siehe auch BGH: Ablauf der Frist für die ärztliche Invaliditätsfeststellung). Daher empfiehlt es sich, frühzeitig Beratung durch einen im Versicherungsrecht spezialisierte Rechtsanwalt in Anspruch zu nehmen. Gerne stehen hierfür auch Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte zur Verfügung.

Zum Autor: Rechtsanwalt Jens Reichow

Rechtsanwalt Reichow ist Partner der Hamburger Kanzlei Jöhnke & Reichow. Er betreut vor Allem Verfahren im Versicherungsrecht, zur Haftung von Versicherungsvermittlern und Streitigkeiten aus dem Handelsvertreterrecht. Nähere Angaben zu Jens Reichow finden Sie unter folgendem Anwaltsprofil:

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