Das Kammergericht Berlin entschied mit seinem Hinweisbeschluss vom 21.04.2016 die Frage, welche Anforderungen an die zeitliche Komponente des Unfalls – konkret der Plötzlichkeit bei einem Tauchunfall – zu stellen sind (KG (6. Senat), Hinweisbeschluss v. 21.04.2016 – Az.: 6 U 141/15).
Der Versicherungsnehmer unterhielt bei dem Versicherer eine Unfallversicherung. Der Unfallversicherung waren die AUB 2008 zugrunde gelegt. § 1 Abs. 3 AUB 2008 regelte den Begriff des Unfalls wie folgt: „Ein Unfall liegt vor, wenn die versicherte Person durch ein plötzlich von außen auf ihren Körper wirkendes Ereignis (Unfallereignis) unfreiwillig eine Gesundheitsschädigung erleidet.“
Der Versicherungsnehmer erlitt sodann nach seinen Angaben durch ein zu schnelles Auftauchen nach einem Tauchvorgang aus 25 Metern ohne Einhaltung eines Zwischenstopps eine Dekompressionserkrankung. Er gab an, den schnellen Auftauchvorgang vorgenommen zu haben, da er einen Krampf im Bein erlitten habe. Aufgrund dessen habe er eine 100%-ige Invalidität entwickelt.
Sodann machte er Leistungen aus der Unfallversicherung geltend. Der Versicherer lehnte eine Leistung aus der Unfallversicherung. Daraufhin erhob der Versicherungsnehmer Klage vor dem Landgericht Berlin auf Zahlung einer Invaliditätsleistung in Höhe von 225.000 Euro (LG Berlin, Urteil v. 24.09.2015 – Az.: 7 O 31/15). Das Landgericht Berlin wies die Klage des Versicherungsnehmers ab. Grund dafür sei die fehlende Plötzlichkeit bei einem Tauchunfall. Dagegen legte der Versicherungsnehmer Berufung vor dem Kammergericht Berlin ein.
Das Kammergericht Berlin wies den Versicherungsnehmer daraufhin, dass der Senat beabsichtige, die Berufung zurückzuweisen, da sie sich nach dem Ergebnis der Vorberatung als offensichtlich unbegründet erweise.
Das Kammergericht Berlin nahm zunächst eine Beurteilung unabhängig von den Aussagen des Versicherungsnehmers vor, da sich diese als widersprüchlich erwiesen hatten. Eine Beurteilung könne theoretisch auch ohne mittelbare Beweisführung des Unfallgeschehens erfolgen, wenn der Versicherungsnehmer jegliche Erinnerung verloren hätte und keine Zeugen zur Verfügung stünden. Die Beurteilung habe dann durch ein medizinisches Sachverständigengutachten zu erfolgen. Dann wäre bei einer Dekompressionskrankheit und einer daraus folgenden Dekompression von einem Unfall im Sinne der Versicherungsbedingungen auszugehen.
Zunächst sei eine Veränderung des Drucks als ein von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis im Sinne der Unfalldefinition. Auch die zeitliche Komponente des Unfalls – die Plötzlichkeit – wäre dann nach der Meinung des Kammergerichts Berlins gegeben. Auf die objektive Dauer des Tauchvorgangs käme es nicht an, denn die schädigende Wirkung wäre subjektiv unerwartet und unentrinnbar eingetreten, ohne dass es weitere Störfaktoren von außen bedurft hätte. Dem stehe auch nicht entgegen, dass jedem Taucher die Veränderung des Drucks durch das Auftauchen bekannt sei. Für den subjektiven Begriff der Plötzlichkeit komme es nicht entscheidend darauf an, ob dem Betroffenen die Einwirkung äußerer Umstände auf seinen Körper bekannt sei, sondern ob er auch mit der schädigenden Wirkung rechne.
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Sodann verwies das Kammergericht Berlin auf Urteil des Reichsgerichts vom 02.06.1911 (RG, Urteil v. 2. 6. 1911 – Az.: VII 554/10). Das Reichsgericht stelle in dem Urteil klar, dass sich der Begriff der Plötzlichkeit nicht in dem Begriff der Schnelligkeit erschöpfe. Er schließe auch die Begriffe des Unerwarteten, des Unvorhergesehenen und des Unentrinnbaren mit ein.
Das Kammergericht Berlin bezieht sich weiterhin auf ein Urteil des BGH vom 05.02.1981, welches klarstellte, dass nicht nur solche Ereignisse als plötzlich angesehen werden, die sich binnen eines kurzen Zeitraums entwickeln, sondern auch solche, die eine längere Zeit zurückliegen, bevor es zum Schadenseintritt kommt, sofern die Wirkung des Ereignisses für den Geschädigten überraschend, unerwartet und unentrinnbar eingetreten sei (BGH, Urteil v. 05.02.1981 – Az.: IVa ZR 58/80). Das Kammergericht Berlin schloss sich dieser Meinung an und folgerte, dass für den Begriff der Plötzlichkeit bei einem Tauchunfall maßgeblich sei, dass die schädigende Wirkung für den Betroffenen unerwartet gewesen sei.
Aus tatsächlichen Gründen könne aber im vorliegenden Fall nicht von einem versicherten Tauchunfall ausgegangen werden, da schon keine medizinisch hinreichenden Anknüpfungstatsachen für eine erfolgreiche Beweisführung vorliegen würden (siehe auch: Nachweis der Invalidität nach einem Unfall (LG Erfurt)). Ob eine, wie vom Kläger behauptete, Dekompressionskrankheit vorliegen würde, sei nicht schlüssig und widerspruchsfrei dargelegt worden. In Anbetracht dessen könne die Berufung des Versicherungsnehmers unter keinen Gesichtspunkten Erfolg haben.
Der Hinweisbeschluss des Kammergerichts Berlin verdeutlicht, dass es für den Begriff der Plötzlichkeit bei einem Tauchunfall nicht nur darauf ankommt, dass das Geschehen sich innerhalb eines kurzen Zeitraums abgespielt hat. Vielmehr kommt es für die zeitliche Komponente des Unfalls auch darauf an, dass die Wirkung des Ereignisses für den Geschädigten überraschend, unerwartet und unentrinnbar eingetreten sei. Insofern kann dem Begriff der Plötzlichkeit bei einem Tauchunfall auch eine subjektive Komponente zugemessen werden.
Bei Tauchunfällen, aber auch bei anderen Ereignissen, ist daher stets genau zu prüfen, ob ein versicherter Unfall vorliegt. Hierbei kommt es auf die genauen Umstände des Einzelfalles an. Daher kann es durchaus sinnvoll sein, eine Leistungsfallablehnung durch einen im Versicherungsrecht spezialisierten Rechtsanwalt prüfen zu lassen. Gerne stehen hierfür auch Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte zur Verfügung.
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