Das Oberlandesgericht Dresden hatte darüber zu entscheiden, wann dem Gericht eine Hinweispflicht zur Darlegung des Berufsbildes bei der Berufsunfähigkeitsversicherung zukommt und welche Folgen ein unterbliebener Hinweis hat (OLG Dresden, Urt. v. 16.05.2023 – 4 U 2382/22).
Der Versicherungsnehmer war zunächst als Referent beim Bundesverband A bis 2018 tätig. Er unterhielt bei seinem Versicherer zwei Berufsunfähigkeitsversicherungen, die er jeweils zum 01.03.2006 und zum 09.04.2014 abgeschlossen hatte.
Sodann machte der Kläger erstmalig am 06.06.2016 Leistungen (siehe auch: Der Leistungsantrag in der BUV) aus den Berufsunfähigkeitsversicherungen aufgrund psychischer Beschwerden geltend. Der Versicherer erklärte zunächst den Rücktritt und hilfsweise die Kündigung des Vertrages aus dem Jahr 2014. Er gab an, der Kläger habe beim Vertragsantrag in der Vergangenheit liegende orthopädische Behandlungen nicht angegeben und damit vorsätzlich verschwiegen. Weiterhin erklärte der Versicherer, er sehe den Versicherungsnehmer nicht als bedingungsgemäß berufsunfähig im Sinne der beiden Verträge an.
Der Versicherungsnehmer stellte sodann einen erneuten Leistungsantrag und stützte diesen auf orthopädische Beschwerden an Hüfte und Wirbelsäule. Der Versicherer lehnte die Leistung aus beiden Verträgen erneut ab und verwies (siehe auch: Die konkrete Verweisung durch die BUV) den Versicherungsnehmer auf seine seit 2020 selbständig ausgeübte Tätigkeit als Energieberater und Vermittler von Energieprodukten. Der Versicherer hatte mit Schreiben vom 22.12.2020 auf die Erhebung der Verjährungseinrede verzichtet.
Der Versicherungsnehmer klagte sodann vor dem Landgericht Leipzig ein. Der Versicherer berief sich im laufenden Prozess auch auf die Verjährungseinrede. Das Landgericht Leipzig wies die Klage des Versicherungsnehmers ab (LG Leipzig, Urt. v. 01.11.22 – 3 O 2926/21). Dagegen richtete sich die Berufung des Versicherungsnehmers vor dem Oberlandesgericht Dresden.
Das Oberlandesgericht Dresden gab der Berufung des Versicherungsnehmers statt und verwies die Klage zurück an das Landgericht Leipzig. Denn das Verfahren am Landgericht leide an einem wesentlichen Mangel, da das Gericht seiner Hinweispflicht zur Darlegung des Berufsbildes nicht ausreichend nachgekommen sei. Das Landgericht Leipzig müsse eine erneute umfangreiche Beweisaufnahme vornehmen, da nur so eine abschließende Entscheidung getroffen werden könne.
Der wesentliche Mangel des Verfahrens am Landgericht Leipzig könne in den überspannten Anforderungen an die Darlegungslast des Versicherungsnehmers in Hinblick auf sein Berufsbild gesehen werden. Infolgedessen habe das Landgericht Leipzig seiner Hinweispflicht nicht hinreichend genüge getan. Die gerichtliche Pflicht zum konkreten Hinweis auf entscheidungserhebliche Gesichtspunkte diene besonders der Vermeidung von Überraschungsentscheidungen und sei damit eine Konkretisierung des Anspruchs auf rechtliches Gehör.
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Die Beweislast für die Darlegung seiner in gesunden Tagen ausgeübte Tätigkeit trage derjenige, der Leistungen aus der Berufsunfähigkeitsversicherung begehre (siehe auch: Darlegung des Berufsbildes bei Berufsunfähigkeit (OLG Dresden)). Es genüge dabei nicht die bloße Angabe eines Berufstyps und die Angabe der Arbeitszeit. Der Beweislastpflichtige müsse die im Rahmen seiner Tätigkeit anfallenden Arbeiten ihrer Art, ihrem Umfang und ihrer Häufigkeit nachvollziehbar beschreiben. Diese Beschreibung diene vornehmlich als Grundlage für das Sachverständigengutachten, welches der Feststellung der bedingungsgemäßen Berufsunfähigkeit diene. Dafür genüge eine Beschreibung mit Schlagworten und Stichpunkten, aufgrund derer sich ein jeder Dritter die Tätigkeit unschwer vorstellen könne. Stehe fest, dass der Versicherte überhaupt einer Tätigkeit nachgegangen sei, dürfe ihm der Zugang zu den versicherten Leistungen nicht durch übersteigerte Anforderungen an die Pflicht zur substantiierten Darlegung seiner Berufsunfähigkeit unzumutbar erschwert werden. Das Landgericht Leipzig habe die Anforderungen an die Darlegungslast des Versicherungsnehmers überspannt.
Der Versicherungsnehmer habe bereits mit der Klage sein Berufsbild substanziiert dargestellt. Die fehlende Schlüssigkeit der Darstellung habe auch der Versicherer nicht gerügt. Nachdem der Versicherer das Tätigkeitsbild des Versicherungsnehmers bestritt, habe dieser sein Tätigkeitsbild durch Angebot von zeigen unter Beweis gestellt. Das Landgericht Leipzig habe weder den Versicherungsnehmer persönlich angehört noch die angebotenen Zeugen. Auch habe es den Versicherungsnehmer nicht drauf hingewiesen, dass es den Vortrag zum Berufsbild für unsubstantiiert halte. Demnach durfte der Kläger davon ausgehen, dass das Gericht seine Angaben zum Berufsbild für ausreichend halte.
Eine Abweisung der Klage aufgrund nicht hinreichend substantiierter Darstellung der Berufstätigkeit dürfe aber erst erfolgen, wenn trotz gegebenenfalls wiederholter gerichtlicher Hinweise das Berufsbild unklar und widersprüchlich bleibt. Dieser Hinweispflicht zur Darlegung des Berufsbildes sei das Landgericht Leipzig nicht nachgekommen.
Die Einrede der Verjährung könne aufgrund des Verzichts des Versicherers nicht geltend gemacht werden. Das Landgericht müsse ferner auch dem Einwand der Verweisung des Versicherers nachgehen. Der Anspruch des Versicherungsnehmers sei nicht aufgrund des Rücktritts des Versicherers erloschen, da der Versicherungsnehmer seine Anzeigepflicht nicht verletze, wer einen Umstand nicht angibt, der ihm aufgrund von Fahrlässigkeit unbekannt geblieben ist.
Das Urteil des Oberlandesgerichts Dresden zeigt, dass dem Gericht eine Hinweispflicht zur Darlegung des Berufsbildes zukommt, wenn es der Meinung ist, dass des Versicherungsnehmers sein Tätigkeitsbild unklar und widersprüchliche dargestellt hat. Eine Abweisung der Klage kann nur dann zulässig sein, wenn trotz gegebenenfalls wiederholter gerichtlicher Hinweise das Berufsbild unklar und widersprüchlich bleibt.
Eine ausführliche und substantiierte Darstellung der beruflichen Tätigkeit sollte schon bei der Stellung des Leistungsantrags priorisiert werden. Dies kann nicht nur eine Erleichterung eines möglichen gerichtlichen Verfahrens bedeuten, auch bezüglich möglicher Verweisungen des Versicherers kann eine ausführliche Beschreibung der Tätigkeit Einhalt gebieten. Eine Beratung und Unterstützung durch einen Fachanwalt für Versicherungsrecht ist zwingend anzuraten, damit bestenfalls keine Ansprüche vereitelt werden.
Weitere Rechtsprechung zu diesem Thema ist nachstehend zu finden: Tätigkeitsbeschreibung im Leistungsantrag
Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke ist Partner der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte und seit 2017 Fachanwalt für Versicherungsrecht. Während seiner Anwaltstätigkeit hat er bereits eine Vielzahl von gerichtlichen Verfahren im Versicherungsrecht geführt und erfolgreich für die Rechte von Versicherungsnehmern gestritten.
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