Das OLG Frankfurt hatte über eine Kostenerstattung bei einer dendritischen Zellbehandlung zu entscheiden (Urt. v. 29.06.2022 – 7 U 140/20). Dabei kamen sie zu dem Ergebnis, dass wenn eine schulmedizinische Erstlinientherapie bei einer unheilbar an Tumor erkrankten Person nicht zum gewünschten Behandlungserfolg führt, sich der Versicherungsnehmer nicht auf eine Zweitlinientherapie mit prognostisch noch geringerer Wirksamkeit verweisen lassen muss. Stattdessen kann der Versicherungsnehmer unmittelbar die Erstattung der Kosten einer dendritischen Zellbehandlung verlangen
Die Ehefrau des inzwischen verstorbenen Versicherungsnehmers begehrte von der privaten Krankenversicherung die Kostenerstattung bei einer dendritischen Zellbehandlung des Versicherten in Höhe von rund 30.000 Euro. Bei dem Versicherungsnehmer war ein nicht operabler Tumor der Bauchspeicheldrüse diagnostiziert worden. Dieser war zunächst mit einer Chemotherapie behandelt worden. Diese führte nicht zum gewünschten Behandlungserfolg. Nach dieser Behandlung wurde der Tumor als nicht operabel eingestuft. Daraufhin erfolgte eine Behandlung im Rahmen einer kombinierten Immuntherapie mit dendritischen Zellen. Dabei handelt es sich um eine alternativmedizinische Behandlung, die zum Zeitpunkt der Durchführung nicht schulmedizinisch anerkannt war.
Der Versicherer lehnte die Kostenerstattung bei einer dendritischen Zellbehandlung mit Hinweis auf die Versicherungsbedingungen ab. Zudem verwies er auf die Möglichkeit einer schulmedizinischen Zweitlinientherapie. Hiergegen wendete sich die Ehefrau des Versicherungsnehmers zunächst vor dem Landgericht Wiesbaden. Dieses verurteilte den Versicherer zur Kostenerstattung bei einer dendritischen Zellbehandlung (Urt. v. 22.07.2020 – 5 O 121/18). Dagegen wendet sich die Berufung des Versicherers vor dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main.
Das OLG Frankfurt entschied, dass der Versicherungsnehmer die Kostenerstattung bei einer dendritischen Zellbehandlung verlangen kann, wenn diese zum Behandlungszeitpunkt die nicht ganz entfernet Aussicht begründet, einen über die palliative Standardtherapie hinausreichenden Erfolg zu erbringen.
Das OLG Frankfurt erklärte, dass die dendritische Zellbehandlung medizinisch notwendig war. Liegt, wie hier, eine lebenszerstörende, unheilbare Krankheit vor, kann für die Frage nach der medizinischen Notwendigkeit nicht mehr darauf abgestellt werden, ob sich die gewünschte Behandlung zur Erreichung des vorgegebenen Behandlungsziels tatsächlich eignet, so das OLG Frankfurt. Nach Auffassung des OLG Frankfurt stellt die dendritische Zelltherapie eine Heilbehandlung im Sinne der Versicherungsbedingungen dar. In den Versicherungsbedingungen heißt es:
„Der Versicherer leistet im vertraglichen Umfang für Untersuchungs- oder Behandlungsmethoden und Arzneimittel, die von der Schulmedizin überwiegend anerkannt sind. Er leistet darüber hinaus für Methoden und Arzneimittel, die sich in der Praxis als ebenso Erfolg versprechend bewährt haben oder die angewandt werden, weil keine schulmedizinischen Methoden oder Arzneimittel zur Verfügung stehen; der Versicherer kann jedoch seine Leistungen auf den Betrag herabsetzen, der bei der Anwendung vorhandener schulmedizinischer Methoden oder Arzneimittel angefallen wäre.“
Die dendritische Zellbehandlung diente der Linderung der Symptome der Krebserkrankung sowie der Stabilisierung des Gesundheitszustandes. Zudem sollte sie einer Verschlimmerung des Gesundheitszustandes des Versicherungsnehmers entgegenwirken. Der gerichtliche Sachverständige bestätigt, dass die Wirkweise der dendritischen Zellen auf die Zerstörung von Tumorzellen ausgerichtet sei.
Die objektive Vertretbarkeit der Behandlung sei bereits dann gegeben, wenn die nach medizinischen Erkenntnissen um Zeitpunkt ihrer Vornahme wahrscheinlich auf einer Verhinderung der Verschlimmerung der Erkrankung oder zumindest auf eine Verlangsamung hinwirke. Ausreichend sei hierzu ein nach medizinischen Erkenntnissen nachvollziehbarerer Ansatz, der die prognostizierte Wirkweise auf das angestrebte Behandlungsziel erklären könne. Einer hinreichenden wissenschaftlichen Evidenz für die Effektivität bedarf es nicht. Da eine schulmedizinische Erstlinientherapie keinen Erfolg brachte, durfte hier unmittelbar auf den neuartigen wissenschaftlich fundierten Ansatz der alternativen Behandlungsmethode zurückgegriffen werden.
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Das OLG Frankfurt wies darauf hin, dass Patienten nicht den prognostisch zweifelhaften Erfolg einer Zweitlinientherapie abwarten müssen. Die in den Versicherungsbedingungen aufgegriffene Formulierung, ob ein bestimmtes schulmedizinisches Arzneimittel „zur Verfügung“ stehe, dürfe der Versicherungsnehmer so auffassen, dass er sich nicht auf nahezu aussichtslose schulmedizinische Methoden verweisen lassen müsse, so das OLG Frankfurt. Im Falle einer schnell fortschreitenden und lebenszerstörenden Erkrankung, kann auf neuartige Behandlungsmethoden zurückgegriffen werden. Dies erfordert, dass im maßgeblichen Zeitpunkt der Therapie eine potenziell bessere Eignung aus einem fundierten wissenschaftlichen Ansatz gegenüber einem schulmedizinischen Ansatz ergibt.
Vor diesem Hintergrund wies das OLG Frankfurt die Berufung des Versicherers gegen das erstinstanzliche Urteil zurück.
Die Heilbehandlungskosten im Falle einer Tumorerkrankung sind nicht gerade gering. Wie die Entscheidung des OLG Frankfurt zeigt, kann in bestimmten Situationen auch die Kostenerstattung bei einer dendritischen Zellbehandlung verlangt werden. Dies hängt jedoch auch davon ab, ob eine schulmedizinische Therapie einen Erfolg gebracht hat und welche Heilungschancen bei weiteren schulmedizinischen Behandlungen zu erwarten sind. Versicherungsnehmer können also nicht immer auf eine Kostenerstattung ihres Versicherers hoffen (vgl. OLG Celle zur Erstattung der Heilbehandlungskosten bei einem Zungenkarzinom). Die Beurteilung der Erstattungsmöglichkeit für eine konkrete Behandlung ist also stets anhand des Einzelfalls vorzunehmen. Daher kann es durchaus empfehlenswert sein, sich im Falle der Ablehnung der Kostenerstattung bei einer dendritischen Zellbehandlung durch einen im Versicherungsrecht spezialisierten Rechtsanwalt beraten zu lassen. Gerne stehen hierfür auch Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte zur Verfügung.
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