Das LG Schweinfurt hatte sich mit der Frage zu befassen, auf welchen Zeitpunkt für den Verjährungsbeginn des Neubemessungsanspruchs in der Unfallversicherung abzustellen ist. Maßgeblich für den Beginn der Verjährungsfrist ist danach die Beendigung der zur Feststellung des Versicherungsfalls und des Umfangs der Leistung nötigen Erhebungen (LG Schweinfurt, Urteil vom 18.09.2018 – 24 O 573/16).
In dem Fall vor dem Landgericht Schweinfurt machte der Versicherungsnehmer Ansprüche aus einer privaten Unfallversicherung geltend, die er für seine Tochter beim Versicherer unterhielt. Als diese im Oktober 2010 von einem fahrenden Auto erfasst wurde, erlitt sie eine proximale Humerusfraktur am linken Arm.
Der Unfall wurde im November 2010 beim Versicherer gemeldet. Dieser bewertete die dauernde Gebrauchsminderung des Arms mit einem Invaliditätsgrad von 10 Prozent (siehe hierzu: BGH zur Erstbemessung des Invaliditätsgrades). Auf dieser Grundlage rechnete der Versicherer Leistungen ab und wies in einem Schreiben, adressiert an die Tochter des Versicherungsnehmers, auf das Recht zur Neubemessung hin.
Der Versicherer erhielt im Dezember 2014 einen Bescheid der Bezirksverwaltung, die eine Minderung der Erwerbsunfähigkeit von 20 Prozent feststellte. Infolgedessen behauptete der Versicherungsnehmer, die Gebrauchsminderung des Armes liege bei 30 Prozent, was unter Berücksichtigung der Gliedertaxe einer Gesamtinvalidität von 20 Prozent entspreche. Die Tochter des Versicherungsnehmers leide seit dem Unfall unter einer Bewegungseinschränkung sowie einem Bewegungs- und Belastungsschmerz der Schulter. Eine Besserung sei nicht zu erwarten. Außerdem sei eine Verschlechterung der unfallbedingten Invalidität eingetreten, da der Bewegungs- und Belastungsschmerz intensiver geworden sei und zudem die linke Hand einschließlich der Finger einschlafe, was Büroarbeit unmöglich mache.
Der Versicherungsnehmer verlangte nun vor dem LG Schweinfurt die Zahlung weiterer Invaliditätsleistungen. Er machte sein Recht auf Neubemessung geltend und stützt sich darauf, dass mit Eintritt der Verschlechterungen eine Invalidität von 20 Prozent vorlag.
Der Versicherer hingegen behauptet, in der Beeinträchtigung der linken Hand läge keine unfallkausale Erstkörperschädigung, die innerhalb eines Jahres zu einem Dauerschaden geführt habe (siehe hierzu: OLG Saarbrücken Kausalitätsnachweis bei unfallbedingter Invalidität). Zudem läge keine Invalidität von 20 Prozent vor und Beeinträchtigungen, die nicht bereits Grundlage der Erstfeststellung gewesen seien, gebe es nicht. Der Versicherer erhob die Einrede der Verjährung bezüglich des Neubemessungsanspruchs. Er stützte sich darauf, dass der Verjährungsbeginn des Neubemessungsanspruchs bereits mit der Erstfestsetzung der Invalidität beginne.
Der Versicherungsnehmer hingegen behauptet, auf das Recht zur Neubemessung nicht ordnungsgemäß hingewiesen worden zu sein. Zudem habe er erst durch den Bescheid der Bezirksverwaltung im Dezember 2014 Kenntnis davon erlangt, dass die Beeinträchtigungen infolge des Unfalls mit 20 Prozent zu bemessen seien.
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Das LG Schweinfurt entschied vorliegend, dass der Grad der Invalidität zu dem maßgeblichen Zeitpunkt höher war, als durch den Versicherer anerkannt. Der Neubemessungsanspruch war zudem nicht verjährt, sodass dem Versicherungsnehmer weitere Invaliditätsleistungen zustanden.
Das LG Schweinfurt stellte fest, dass sich der Gesundheitszustand zum Neubemessungsstichtag gegenüber dem Zustand, der der Erstbemessung zugrunde lag, verschlechtert hat. Das Ausmaß der Beeinträchtigungen habe sich verändert und sei zum Zeitpunkt der Erstbemessung noch nicht sicher prognostizierbar gewesen.
Den Eintritt der unfallbedingten Erstkörperschädigung zweifelte das LG Schweinfurt nicht an. Daraus ist innerhalb eines Jahres ein Dauerschaden entstanden. Der Zustand der Tochter des Versicherungsnehmers verschlechterte sich, was ärztliche Befunde dokumentierten. Daher konnte vorliegend davon ausgegangen werden, dass die eingetretene Funktionsstörung des Armes mit 40 Prozent Armwert bemessen werden kann.
Die Geltendmachung der Neubemessung ist vorliegend, entgegen der Auffassung des Versicherers, nicht verjährt. Voraussetzung der Neubemessung ist, dass die Erstfestsetzung des Invaliditätsgrades durch Anerkenntniserklärung des Versicherers erfolgt ist. Diese Erstfestsetzung des Invaliditätsgrades ist hier mit Anerkennung der Entschädigungspflicht seitens des Versicherers eingetreten. Ob diesem Leistungsanerkenntnis eine ausreichende ärztliche Feststellung vorangegangen ist, ist jedoch keine Anspruchsvoraussetzung des Neubemessungsanspruchs, so das LG Schweinfurt.
Grundsätzlich ist der Neubemessungsanspruch innerhalb von drei Jahren geltend zu machen. Die Geltendmachung durch den Versicherungsnehmer erfolgte hier jedoch später. Allerdings wurde der Versicherungsnehmer nicht ordnungsgemäß auf sein Recht zur Neubemessung hingewiesen, sodass sich der Versicherer nicht auf die Verjährung berufen kann. Diese Belehrung über die Frist zur Neubemessung ist gegenüber dem Versicherungsnehmer zu erteilen. Eine Mitteilung an die versicherte Tochter ist hier nicht ausreichend. Es sollte vorliegend lediglich die Versicherungssumme an die Tochter des Versicherungsnehmers ausgezahlt werden. Eine sich an die versicherte Tochter zu richtende Korrespondenz ergab sich aus den zugrunde liegenden Umständen hingegen nicht.
Versicherungsnehmer können im Falle einer unterbliebenen Belehrung ohne zeitliche Grenzen die Neubemessung verlangen. Eine Berufung des Versicherers auf die Verjährung des Anspruchs scheidet daher aus. Der Verjährungsbeginn des Neubemessungsanspruchs kann erst mit der Beendigung der zur Feststellung des Versicherungsfalls und des Umfangs der Leistung des Versicherers nötigen Erhebungen angenommen werden, so das LG Schweinfurt. Somit ist die Verjährung hier aufgrund der unterbliebenen Belehrung über die Neubemessungsfrist zum Zeitpunkt der Klageerhebung noch nicht eingetreten.
Vor diesem Hintergrund sprach das LG Schweinfurt dem Versicherungsnehmer einen Anspruch auf Zahlung einer weiteren Invaliditätsleistung in Höhe von 7.700 Euro zu.
Der Fall vor dem LG Schweinfurt verdeutlicht die relevante Rolle des Neubemessungsanspruchs für Versicherungsnehmer. Eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes kann in der Praxis oftmals zu juristischen Auseinandersetzungen führen. Insbesondere der Verjährungsbeginn des Neubemessungsanspruchs ist genau zu ermitteln, um nicht mit der Einrede der Verjährung konfrontiert zu werden. Daher empfiehlt es sich, frühzeitig Beratung durch einen im Versicherungsrecht spezialisierten Rechtsanwalt in Anspruch zu nehmen. Gerne stehen hierfür auch Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte zur Verfügung.
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