Das Oberlandesgericht Nürnberg hatte zu entscheiden, wann eine Verjährung des Stammrechts in der Berufsunfähigkeitsversicherung anzunehmen ist (OLG Nürnberg, Hinweisbeschluss v. 08.04.2024 – 8 U 119/24).
Der Versicherungsnehmer unterhielt bei dem Versicherer eine Berufsunfähigkeitsversicherung für seine Tätigkeit als Aufzugsmonteur. Der Vertrag wurde über eine Laufzeit von 33 Jahren im Jahr 2006 abgeschlossen.
Nachfolgend kam es zu einem Unfall am 13.12.2012, bei dem sich der Versicherungsnehmer beide Füße verletzte. Er stellte sodann am 10.05.2013 einen Leistungsantrag bei und gab an, durch den Unfall berufsunfähig geworden zu sein. Der Versicherer teilte dem Versicherungsnehmer nach abgeschlossener Leistungsüberprüfung am 16.04.2014 mit, dass die Leistungspflicht ab dem 01.01.2013 anerkannt werde. Im selben Schreiben erklärte der Versicherer auch:
„Nach den uns vorliegenden Unterlagen sind Sie ab dem 23. August 2013 aufgrund einer innerbetrieblichen Umsetzung wieder als Servicetechniker tätig. Im Hinblick auf die gesundheitliche Verbesserung und der zum 23. August 2013 konkret aufgenommenen Tätigkeit, die Sie aufgrund der Ausbildung und Erfahrung ausüben können, sind die Leistungsvoraussetzungen ab diesem Zeitpunkt nicht mehr gegeben und wir haben daher zum 01. September 2013 die Rentenzahlungen gleichzeitig wieder eingestellt.“
Für den fraglichen Zeitraum, in dem die Berufsunfähigkeit nach der Ansicht des Versicherers bestand, leistete er die fällige Berufsunfähigkeitsrente. Der Versicherungsnehmer nahm dies zunächst widerspruchslos hin.
Am 08.08.2022 informierte er den Versicherer erneut über die Beendigung seines Arbeitsverhältnisses und die Inanspruchnahme einer orthopädischen und physiotherapeutischen Behandlung. Der Versicherer übersandte ihm sodann ein Antragsformular.
Der Versicherungsnehmer begehrte nachfolgend eine Zahlung der Berufsunfähigkeitsrente von Januar 2019 bis Dezember 2020. Er machte geltend, dass der Versicherer ihm aufgrund des Leistungsanerkenntnisses vom 16.04.2014 die Berufsunfähigkeitsrente schulde, da die gleichzeitig erfolgte Einstellung unwirksam gewesen sei. Die Entscheidung habe nicht den formellen und materiellen Anforderungen eines Nachprüfungsverfahrens entsprochen.
Der Versicherungsnehmer erhob daraufhin Klage vor dem Landgericht Nürnberg-Fürth. Das Landgericht Nürnberg-Fürth wies die Klage ohne Beweisaufnahme ab und berief sich auf die Verjährung des Stammrechts des Versicherungsnehmers (LG Nürnberg-Fürth, Urt. v. 13.12.2023 – 11 O 367/23). Gegen diese Entscheidung richtete sich die Berufung des Versicherungsnehmers vor dem Oberlandesgericht Nürnberg.
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Das Oberlandesgericht Nürnberg folgte dem Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth und lehnte einen Anspruch des Versicherungsnehmers auf die geforderten Leistungen gegen den Versicherer ab.
Zunächst stellte das Oberlandesgericht Nürnberg fest, dass der Eintritt des Versicherungsfalls durch das Schreiben des Versicherers vom 16.04.2014 unstreitig anerkannt wurde. Darin könne zunächst unabhängig von der Auffassung des Versicherers ein unbefristetes Anerkenntnis gesehen werden. Von diesem Anerkenntnis könne sich ein Versicherer durch ein Nachprüfungsverfahren lösen.
Ist der Versicherungsnehmer zum Zeitpunkt des Anerkenntnisses bereits wieder berufsfähig, so könne das Anerkenntnis und die Entscheidung über das Nachprüfungsverfahren zusammenfallen. Es müssten dann die Voraussetzungen des Wegfalls der Leistungspflicht in formeller und materieller Hinsicht vorliegen.
Das Oberlandesgericht Nürnberg führte fort, dass die Begründung der Einstellung der Leistungen aus dem Schreiben vom 16.04.2014 zweifelhaft ausreichend nachvollziehbar gewesen sei. Dennoch greife die Einrede der Verjährung des Stammrechts (siehe auch: Verjährung von Berufsunfähigkeitsrenten).
Es müsse zunächst zwischen dem Stammrecht, welches den gesamten Anspruch auf eine aus dem Versicherungsfall resultierende Leistung umfasse, und dem Anspruch auf einzelne aus dem Stammrecht resultierende Rentenbeträge unterschieden werden (siehe auch: Verjährung des Stammrechts in der Berufsunfähigkeitsversicherung (BGH)) .
Das Stammrecht unterliege der regelmäßigen Verjährungsfrist nach § 194 Abs. 1 BGB. Nach Eintritt der Verjährung des Stammrechts könne der Versicherer auch in Analogie zu § 217 BGB einzelne Leistungen des zugrundeliegenden Versicherungsfalls verweigern. Unabhängig davon unterlägen auch die Einzelleistungen einer Verjährungsfrist.
Bei einer Leistungseinstellung nach durchgeführten Nachprüfungsverfahren beginne die Verjährung des Stammrechts zum Schluss des Jahres. Dabei komme es nicht darauf an, ob die Leistungseinstellung den formellen und materiellen Voraussetzungen dieser entspreche. Die Verjährung des Stammrechts habe demnach am 01.01.2015 zu laufen begonnen. Die Verjährung trat infolgedessen am 31.12.2017 ein.
Da die Klage am 23.01.2023 erhoben wurde, unterliege der Anspruch der Verjährung. Dies beziehe sich auch auf die Ansprüche aus den Jahren 2019 und 2020. Ob in dem geltend gemachten Anspruch aus dem Jahr 2022 ein neuer Versicherungsfall zu sehen sei, sei unerheblich, dass der Kläger den Zeitraum der fraglichen Ansprüche auf den anerkannten Versicherungsfall des Jahres 2014 begrenze.
Der Hinweisbeschluss des Oberlandesgerichts Nürnberg zeigt, dass sowohl das Stammrecht als auch einzelne Leistungen, die sich aus demselben Versicherungsfall ergeben, der Einrede der Verjährung unterliegen.
Nimmt der Versicherer eine Einstellung der Leistung vor, so sollte also umgehend überprüft werden, ob die Leistungseinstellung gerechtfertigt ist, um eine mögliche Verjährung des Stammrechts zu verhindern. Gerne unterstützt Sie dabei auch die im Versicherungsrecht spezialisierte Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte.
Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke ist Partner der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte und seit 2017 Fachanwalt für Versicherungsrecht. Während seiner Anwaltstätigkeit hat er bereits eine Vielzahl von gerichtlichen Verfahren im Versicherungsrecht geführt und erfolgreich für die Rechte von Versicherungsnehmern gestritten.
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