Das Oberlandesgericht Dresden hatte zu entscheiden, wann eine arglistige Täuschung bei einer Antragsstellung mit Parkinson anzunehmen ist und welche Folgen dies für das Bestehen der Berufsunfähigkeitsversicherung hat (OLG Dresden, Hinweisbeschluss v. 21.03.2024 – Az.: 4 U 1975/23).
Der Versicherungsnehmer unterhielt bei dem Versicherer eine Berufsunfähigkeitszusatzversicherung. Diese schloss er für seine Tätigkeit als Autoverkäufer im Außendienst ab. In dem Antrag zum Abschluss der Berufsunfähigkeitsversicherung war unter anderem folgender Abschnitt enthalten:
„Bitte beachten Sie vor Abgabe der nachfolgenden Erklärung und Angaben die „wichtige Mitteilung über die Folgen einer Anzeigepflichtverletzung nach § 19 Abs. 5 VVG“ (S. 2). (= Anl. BLD1)
…
Erklärung der zu versichernden Person
Hiermit erkläre ich,
– dass ich zur Zeit voll arbeitsfähig bin und dass ich in den letzten 2 Jahren nicht länger als 2 Wochen ununterbrochen arbeitsunfähig war und
– dass in diesem Zeitraum auch keine der folgenden Erkrankungen bei mir festgestellt oder behandelt wurde: Herz-Kreislauferkrankungen, Krebs, Schlaganfall, Nierenversagen, Zucker und Lebererkrankungen, psychische Erkrankungen, HIV-Infektion/Aids, Erkrankungen oder Beschwerden des Bewegungsapparates (z.B. Rücken, Knie, Hüfte). “
Auf einer weiteren Seite kreuzte der Versicherungsnehmer einen Beratungsverzicht an und vermerkte daneben handschriftlich, dass eine telefonische Beratung bereits erfolgt sei. Auch den folgenden Passus unterschrieb der Versicherungsnehmer und übersandte den Antrag am 07.07.2015:
„… Mit meiner Unterschrift fordere ich die … Lebensversicherung AG auf, mir anhand meiner Angaben und gewählten Leistungen einen Vorschlag für eine Berufsunfähigkeitsversicherung zu unterbreiten. Zugleich gebe ich die Gesundheitserklärung sowie meine Einwilligung in die Erhebung und Verwendung von Gesundheitsdaten sowie zur Schweigepflichtentbindung ab. Die „Wichtige Mitteilung über die Folgen einer Anzeigepflichtverletzung“ habe ich zur Kenntnis genommen. “
Der Versicherungsschein wurde dem Versicherungsnehmer am 22.07.2015 übersandt. Nachfolgend verlangte der Versicherungsnehmer im Juli 2022 Leistungen aus der Berufsunfähigkeitszusatzversicherung aufgrund einer Parkinson-Erkrankung.
Der Versicherer lehnte daraufhin die Leistung ab und erklärte, dass der Versicherungsnehmer, bei Antragstellung die Beweglichkeitsstörungen, unter denen er bereits vor Antragstellungen litt, nicht angegeben habe. Tatsächlich wurde dem Versicherungsnehmer bereits vor Antragstellung aufgrund von Beweglichkeitsstörungen das idiopathische Parkinsonsyndrom diagnostiziert. Der Versicherer berief sich im Zuge dessen auf eine Befreiung der Leistungspflicht, da er bei Antragsstellung mit Parkinson vom Versicherungsnehmer arglistig getäuscht worden sei.
Der Versicherungsnehmer erhob daraufhin Klage vor dem Landgericht Leipzig und begehrte die Feststellung des Fortbestehens der Berufsunfähigkeitszusatzversicherung. Er gab an, dass es sich bei seiner Parkinson-Erkrankung um eine neurologische Krankheit handele, nach der im Antrag nicht gefragt wurde. Das Landgericht Leipzig wies die Klage des Versicherungsnehmers ab (LG Leipzig, Urt. v. 19.10.2023 – Az.: 03 O 2389/22). Gegen diese Entscheidung richtete sich die Berufung des Versicherungsnehmers vor dem Oberlandesgericht Dresden.
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Das Oberlandesgericht Dresden schloss sich der Ansicht des Landgericht Leipzigs an und beabsichtigte, die Berufung des Versicherungsnehmers zurückzuweisen. Die durch den Versicherer erklärte Anfechtung führe von Anfang an zu einer Nichtigkeit des Versicherungsvertrages (siehe auch: Falschbeantwortung von Gesundheitsfragen in der Berufsunfähigkeitsversicherung muss nicht Arglist sein (BGH)).
Das Oberlandesgericht Dresden führte dazu zunächst an, dass dem Versicherer ein Anfechtungsgrund zustehe, wenn der Versicherungsnehmer die Offenbarungspflicht arglistig verletze. Voraussetzung dafür sei, dass der Versicherungsnehmer gefahrerhebliche Umstände kenne, sie dem Versicherer wissentlich verschweige, und dabei billigend in Kauf nehme, dass der Versicherer sich eine unzutreffende Vorstellung über das Risiko bilde und dadurch in seiner Entscheidung über den Abschluss des Versicherungsvertrages beeinflusst werden könne.
Der Versicherungsnehmer müsste grundsätzlich alle Gesundheitsfragen ausführlich beantworten. Dabei müsse er auch solche Krankheiten angeben, die für ihn noch keine Gesundheitsbeeinträchtigung oder keinen Krankheitswert entfalten würden, da die Bewertung der Gesundheitsbeeinträchtigung Sache des Versicherers sei. Von einer Angabe könne nur abgesehen werden, wenn die Gesundheitsbeeinträchtigung offenkundig belanglos sei oder alsbald vergehe. Ob eine solche Belanglosigkeit vorliege, müsse durch eine Betrachtung der Gesamtumstände beurteilt werden.
Das Oberlandesgericht Dresden führte fort, dass im vorliegenden Fall der Antragsstellung mit Parkinson von einer solchen arglistigen Verletzung der Offenbahrungspflicht ausgegangen werden könne. Zunächst sei festzustellen, dass eine Anzeige der Parkinson Erkrankung in Form einer neurologischen Erkrankung nicht habe erfolgen müssen, da der Versicherer nicht in Textform gefragt habe. Der Versicherungsnehmer habe auch nicht davon ausgehen können, dass eine solche Angabe nötig gewesen sei, da er sich grundsätzlich darauf verlassen dürfe, dass der Fragenkatalog des Versicherers abschließend sei.
Im Fragenkatalog des Versicherungsnehmers wurde aber nach „Erkrankungen oder Beschwerden des Bewegungsapparates“ gefragt. Diese habe der Versicherungsnehmer wissentlich verschwiegen. Er sei sehr wohl im rechten Arm und Bein in seiner Bewegung eingeschränkt gewesen. Der Versicherungsnehmer habe diese auch als erheblich angesehen, da er sich auf eigene Initiative zu einer Abklärung zu einem Arzt begeben hatte. Im Zuge dessen sei es zur Diagnose der Parkinson-Erkrankung gekommen (siehe auch: Anzeigepflichtverletzung in der Berufsunfähigkeitsversicherung bei Vergessen einer Behandlung? (OLG Hamm)).
Dem Versicherungsnehmer sei auch ein arglistiges Handeln anzulasten, da er mit Täuschungsvorsatz gehandelt habe. Dafür spreche besonders der enge zeitliche Rahmen der Diagnose und der Antragsstellung mit Parkinson. Das Oberlandesgericht Dresden kam zu dem Ergebnis, dass durch die Antragsstellung mit Parkinson eine arglistige Täuschung vorlag.
Der Hinweisbeschluss des Oberlandesgerichts Dresden zeigt, dass es für die Beurteilung einer Antragsstellung mit Parkinson nicht nur auf die eigene Einschätzung des Versicherungsnehmers bezüglich der Gesundheitsfragen ankommt. Vielmehr ist durch eine Gesamtbetrachtung der Umstände zu ermitteln, ob eine Relevanz der erfragten Beeinträchtigung oder Krankheit vorliegt. Grundsätzlich gilt, dass der Versicherungsnehmer alle Gesundheitsfragen vollumfänglich beantworten muss. Wird jedoch nicht nach einer Parkinson Erkrankung gefragt, muss man sich dazu auch nicht im Rahmen einer etwaigen spontanen Anzeigepflicht erklären. Werden jedoch gesundheitliche Einschränkungen explizit abgefragt (hier einschlägig: „Erkrankungen oder Beschwerden des Bewegungsapparates“), so muss der Versicherte sich hierzu wahrheitsgemäß erklären. Und genau hier lag das Problem des Einzelfalls, weswegen der Versicherten in den Instanzen kein Recht bekommen hat, was auch nachvollziehbar ist.
Macht der Versicherer eine arglistige Täuschung nach einer Antragsstellung mit Parkinson geltend, so kann es sinnvoll sein, die Beratung durch einen im Versicherungsrecht spezialisierten Rechtsanwalt in Anspruch zu nehmen. Ein weiterführender Artikel zu diesem Themenbereich ist nachfolgend zu finden: „Die spontane Anzeigeobliegenheit – ein Mythos oder gelebte Pflicht?“.
Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke ist Partner der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte und seit 2017 Fachanwalt für Versicherungsrecht. Während seiner Anwaltstätigkeit hat er bereits eine Vielzahl von gerichtlichen Verfahren im Versicherungsrecht geführt und erfolgreich für die Rechte von Versicherungsnehmern gestritten.
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