Das OLG Hamm hatte sich mit der Frage nach der Wirksamkeit einer Befristung des Leistungsanerkenntnisses für einen zurückliegenden Zeitraum zu befassen (OLG Hamm, Urt. v. 06.12.2023 – 20 U 369/22). Mit diesem rechtlichen Themenkomplex hatte sich auch der BGH bereits beschäftigen müssen.
In dem Fall vor dem OLG Hamm begehrte die Versicherungsnehmerin Leistungen aus ihrer Berufsunfähigkeitsversicherung. Die abgeschlossene Versicherung sieht im Falle einer mindestens 50%-igen Berufsunfähigkeit für einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten die Zahlung einer (monatlich im Voraus zu zahlenden) Berufsunfähigkeitsrente in Höhe von rund 1.000 Euro sowie eine Befreiung von der monatlichen Beitragspflicht bis zum 31.10.2027 vor.
Vor Eintritt der behaupteten Berufsunfähigkeit war die Versicherungsnehmerin als Krankenschwester im Schichtdienst tätig. Sie wurde seit 07.05.2013 von ihren Ärzten durchgehend als arbeitsunfähig eingestuft und stellte im August 2013 einen Leistungsantrag (siehe auch: Berufsunfähigkeit beantragen), woraufhin der Versicherer die Leistungsprüfung aufnahm und medizinische Auskünfte einholte. Seit dem 01.05.2014 bezog die Versicherungsnehmerin eine zunächst befristete, nunmehr unbefristete Rente wegen voller Erwerbsunfähigkeit.
Mit Schreiben vom 09.05.2014, teilte der Versicherer der Versicherungsnehmerin mit, dass für ihre letzte Berufstätigkeit eine 50%-ige Berufsunfähigkeit für mehr als sechs Monate bestand und die Versicherung daher ihre Eintrittspflicht anerkennt. Leistungsbeginn war der 01.06.2013. Zu diesem Zeitpunkt endete auch die Pflicht der Versicherungsnehmerin zur Beitragszahlung. Des Weiteren erklärte der Versicherer in besagtem Schreiben, dass ab dem 01.01.2014 keine Berufsunfähigkeit im Sinne der dem Vertrag zugrunde liegenden Versicherungsbedingungen nachgewiesen werden konnte und damit gleichzeitig zum 01.01.2014 die monatliche Rentenzahlung wieder eingestellt wird.
Die Versicherungsnehmerin meldete mit Schreiben ihres Rechtsanwalts im April 2015 die Fortdauer ihrer Berufsunfähigkeit an. Nach Einholung weiterer Gutachten lehnte die Versicherung ihre Einstandspflicht ab, da eine Berufsunfähigkeit von zumindest 50% nicht festgestellt werden könne (siehe hierzu: Die Bemessung des BU-Grades in der Berufsunfähigkeitsversicherung).
Die Versicherungsnehmerin begehrte zunächst vor dem Landgericht Bielefeld Rentenzahlungen und Beitragsbefreiungen für den Zeitraum ab Juli 2015. Dabei berief sie sich darauf, aufgrund mehrerer Erkrankungen und Beschwerden bedingungsgemäß berufsunfähig zu sein. Im Laufe des Verfahrens berief sie sich auf psychische Ursachen ihrer Beschwerden. Der Versicherer hingegen bestritt, dass die Versicherungsnehmerin an gesundheitlichen Beeinträchtigungen leide. Das LG Bielefeld wies die Klage aufgrund eingeholter Sachverständigengutachten ab. Begründet wurde diese Entscheidung damit, dass der Versicherungsnehmerin der Beweis des Vorliegens der bedingungsgemäßen Berufsunfähigkeit nicht gelungen sei.
Die Versicherungsnehmerin ging gegen die Entscheidung des LG Bielefeld in Berufung und das OLG Hamm übernahm den Fall. Die Versicherungsnehmerin rügt Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der Feststellungen des LG Bielefeld sowie fehlerhafte Rechtsanwendung. Das LG Bielefeld habe es versäumt, Widersprüchen im Sachverständigengutachten nachzugehen. Der Sachverständige Arzt stellte nämlich fest, dass bei der Versicherungsnehmerin eine psychische Erkrankung von einem Zeitraum über sechs Monate vorlag. Zudem sei der Versicherer ohnehin zur Leistungserbringung verpflichtet, da das Anerkenntnis des Versicherers unbefristet Wirkung erlange. Die Voraussetzungen der Leistungseinstellung liegen nach Auffassung der Versicherungsnehmerin nicht vor, da es an einer wirksamen Einstellungsmitteilug seitens der Versicherung fehle.
Der Versicherer hingegen beruft sich auf die Wirksamkeit rückwirkenden Befristung des Leistungsanerkenntnisses vom 09.05.2014. Zudem habe sie zugleich mit dem Anerkenntnis eine wirksame Einstellungsmitteilung abgegeben.
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Das OLG Hamm hat entscheiden, dass der Versicherungsnehmerin Ansprüche gegen den Versicherer für den Zeitraum von Juli 2015 bis einschließlich Juni 2016 in Höhe von insgesamt rund 13.000 Euro zustehen. Dies setzt sich aus der geschuldeten Rente in Höhe von rund 1000 Euro monatlich sowie aus den Rückzahlungsansprüchen wegen der rechtsgrundlos geleisteten Beitragszahlung in Höhe von rund 60 Euro monatlich zusammen. Ferner wird der Versicherer zur Zahlung einer Berufsunfähigkeitsrente ab Juli 2016 verpflichtet.
Das OLG Hamm entschied, dass in dem Schreiben der Versicherung vom 09.05.2014 unstreitig ein Leistungsanerkenntnis liege, welches unbefristet gilt. Mit dem Anerkenntnis verpflichtet sich die Versicherung zur Erbringung der vereinbarten Leistungen. Davon lösen kann sie sich nur durch die Regelungen eines sogenannten Nachprüfungsverfahrens. Das OLG Hamm entschied, dass die Versicherung sich vorliegend nicht auf die Befristung bis zum 31.12.2013 berufen kann und die Leistungseinstellung unwirksam sei.
Zwar sehen die Allgemeinen Versicherungsbedingungen grundsätzlich vor, dass die Versicherung „zeitlich begrenzte Anerkenntnisse“ aussprechen kann. Allerdings ergibt sich daraus kein Recht zur Abgabe eines rückwirkend befristeten Anerkenntnisses. Gemäß § 173 II VVG darf eine Erklärung über das Leistungsanerkenntnis einmal zeitlich begrenzt werden. Diese Möglichkeit zur Befristung des Leistungsanerkenntnisses rechtfertige sich nach dem Willen des Gesetzgebers nur daraus, dass in zweifelhaften Fällen aus Sicht beider Vertragsparteien ein Bedürfnis besteht, bis zu einer abschließenden Klärung zunächst eine vorläufige Entscheidung zu ermöglichen.
Eine solche Situation liegt jedoch nur bei einem in die Zukunft reichenden Anerkenntniszeitraum vor. Die vorläufige Regelung in einer Situation der Unsicherheit erlaubt daher nur eine in die Zukunft gerichtete Befristung, so das OLG Hamm. Hier hat der Versicherer sein Anerkenntnis für einen zurückliegenden Zeitraum befristet. Dies widerspricht Sinn und Zweck der Befristung, so dass der Versicherer sich nicht auf diese Befristung berufen kann. Somit sei der Versicherer so zu behandeln, als hätte er seine Leistungspflicht unbefristet anerkannt (siehe hierzu auch: Rückwirkend befristetes Anerkenntnis in der BU-Versicherung?).
Das OLG Hamm entschied, dass die vom Versicherer vorgenommene rückwirkende Befristung aus einem weiteren Grund unwirksam sei. Aus den Allgemeinen Versicherungsbedingungen ergibt sich, dass der Versicherer zeitlich befristete Anerkenntnisse nur aussprechen darf, soweit für die Befristung ein sachlicher Grund vorliegt.
Die Auslegung der vertraglichen Regelung ergibt, so das OLG Hamm, dass der Versicherer zu zeitlich begrenzten Anerkenntnissen vorliegend nur berechtigt ist, wenn die Versicherungsnehmerin eine andere berufliche Tätigkeit ausüben könnte. Der Versicherer hat hier keine derartige Verweisung der Versicherungsnehmerin vorgenommen. Die Befristung wurde lediglich damit begründet, dass ab dem 01.01.2014 keine bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit mehr nachgewiesen werden könne.
Damit hat die Versicherungsnehmerin einen Anspruch auf ein unbefristetes Anerkenntnis, da sie für einen Zeitraum von sechs Monaten ununterbrochen außerstande war, ihren zuletzt ausgeübten Beruf auszuüben. Liegt also kein sachlicher Grund für ein die Befristung des Leistungsanerkenntnisses vor, ist dieses als unbefristet anzusehen (siehe dazu auch: BGH Urt. v. 09.10.2019 – IV ZR 235/18).
Als einziger Grund für die Befristung käme hier nach der Auffassung des OLG Hamm und den Allgemeinen Versicherungsbedingungen in Betracht, dass die Verweisung noch offen oder zweifelhaft ist. Jedoch nimmt der Versicherer hierzu keinerlei Ausführungen vor, so dass ein sachlicher Grund nicht vorliegt.
Der Versicherer muss sich vorliegend so behandeln lassen, als hätte er ein unbefristetes Anerkenntnis abgegeben. Daraus folgt, dass er die Bindung an das Anerkenntnis nur nach den Regeln des Nachprüfungsverfahrens beseitigen und sich so von seiner Leistungspflicht lösen kann. Dies bedarf neben einer Nachprüfung der Leistungspflicht auch einer Mitteilung der Leistungseinstellung. Eine solche wirksame Einstellungsmitteilung hat der Versicherer jedoch weder mit seinem Anerkenntnis vom 09.05.2015, noch im Laufe des Verfahrens abgegeben.
Der Versicherer kann zeitgleich mit Abgabe des Anerkenntnisses die Mitteilung der Leistungseinstellung erklären. Dies gilt auch, wenn er sich nicht, wie eigentlich gewollt, durch eine rückwirkende Befristung von seiner Leistungspflicht lösen kann. Dazu muss aus dem Schreiben hinreichend hervorgehen, dass der Versicherer nach Wegfall der Berufsunfähigkeit die Leistungen zum nächstmöglichen Zeitpunkt einstellen will, so das OLG Hamm. Dann ist im Zweifel anzunehmen, dass der Versicherer durch die Verbindung des Anerkenntnisses mit einer Änderungsmitteilung eine Beendigung seiner Leistungspflicht erreichen wollte (siehe dazu auch: BGH Urt. v. 23.02.2022 – IV ZR 101/20). Hier wird in dem Schreiben des Versicherers deutlich, dass dieser sich mit Wirkung zum 01.04.2014 von seiner Leistungspflicht lösen wollte, da er den Wegfall der Berufsunfähigkeit der Versicherungsnehmerin annahm.
Das OLG Hamm entschied jedoch, dass diese Einstellungsmitteilung unwirksam ist. Voraussetzung für die Wirksamkeit der Mitteilung nämlich wäre, dass diese nachvollziehbar begründet wird. Aus dieser Begründung muss sich für die Versicherungsnehmerin bzw. den Versicherungsnehmer ergeben, weshalb die Leistungspflicht des Versicherers enden soll. Hier hätte der Versicherer eine Vergleichsbetrachtung vornehmen müssen. Diese Vergleichsbetrachtung müsste aufzeigen, dass sich der Gesundheitszustand der Versicherungsnehmerin im Vergleich zu dem Gesundheitszustand, der dem Anerkenntnis zugrunde liegt, gebessert hat. Dazu kann es bereits genügen, dass der Versicherer dem Versicherungsnehmer mittels eines Gutachtens aufzeigt, dass sich eine maßgebliche Besserung zu denjenigen Bewertungen ergeben hat, die dem Leistungsanerkenntnis zugrunde liegen.
Diesen vorgenannten Voraussetzungen genügt jedoch die Mitteilung des Versicherers aus dem Leistungsanerkenntnis vom 09.05.2014 nicht, so das OLG Hamm. Hierin liegt nämlich eine bloße Mitteilung, aus der für die Versicherungsnehmerin nicht ansatzweise ersichtlich wird, aus welchen Gründen die Leistungspflicht enden sollte.
Die Entscheidung des OLG Hamm zeigt, dass eine Befristung des Leistungsanerkenntnisses durch eine Berufsunfähigkeitsversicherung durchaus unwirksam sein kann. Dies ist vor allem bei rückwirkend befristeten Anerkenntnissen der Fall. Sollte dies festgestellt werden, muss geprüft werden, ob in der unwirksamen Befristung möglicherweise eine wirksame Mitteilung zur Leistungseinstellung zu erkennen ist. Dies hat das OLG Hamm vorliegend abgelehnt. Es konnte zu keinem Zeitpunkt positiv festgestellt werden, dass die Versicherungsnehmerin nicht bedingungsgemäß berufsunfähig ist.
Mit dieser praxisrelevanten Thematik beschäftigten sich zuvor auch das LG Berlin (Änderungsmitteilung nach unwirksam befristetem Anerkenntnis der BU) sowie das OLG Dresden (Die Uno-Actu-Mitteilung der BU-Versicherung), die beide, ebenso wie das OLG Hamm zum Ergebnis kamen, dass zeitlich befristete Leistungsanerkenntnisse unbefristet Wirksamkeit entfalten. Es ist empfehlenswert sich infolge einer Mitteilung zur Leistungseinstellung oder einer Befristung des Leistungsanerkenntnisses durch einen im Versicherungsrecht spezialisierten Rechtsanwalt beraten zu lassen.
Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke ist Partner der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte und seit 2017 Fachanwalt für Versicherungsrecht. Während seiner Anwaltstätigkeit hat er bereits eine Vielzahl von gerichtlichen Verfahren im Versicherungsrecht geführt und erfolgreich für die Rechte von Versicherungsnehmern gestritten.
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