Der BGH entschied über eine Dienstunfähigkeitsklausel in einem Berufsunfähigkeitsversicherungsvertrag, nach der es für die bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit genügt, wenn der Versicherungsnehmer als Beamter infolge eines körperlichen Gebrechens oder wegen Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte zur Erfüllung seiner Dienstpflichten dauernd dienstunfähig ist oder wegen allgemeiner Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt oder entlassen worden ist (BGH Urt. v. 31.5.2023 – IV ZR 58/22).
Zwischen dem Versicherungsnehmer und dem Versicherer besteht ein Berufsunfähigkeitsversicherungsverhältnis. Dem Versicherungsvertrag lagen Allgemeine Versicherungsbedingungen zugrunde. In den Versicherungsbedingungen war zusätzlich eine Dienstunfähigkeitsklausel vereinbart. Diese lautete:
„Alternativ zu der Voraussetzung für bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit, dass die versicherte Person ihrem zuletzt ausgeübten Beruf nicht mehr nachgehen kann, reicht es bereits aus, wenn die versicherte Person als Beamtin/Beamter … infolge eines körperlichen Gebrechens oder wegen Schwäche ihrer körperlichen oder geistigen Kräfte zur Erfüllung ihrer Dienstpflichten dauernd unfähig ist und dazu wegen allgemeiner Dienstunfähigkeit (…) in den Ruhestand versetzt oder entlassen worden ist.“
Der Versicherungsnehmer war seit 2013 Bürgermeister einer Verbandsgemeinde. Er wurde im Jahr 2019 aufgrund psychischer Beschwerden in den Ruhestand versetzt. Daraufhin beantragte der Versicherungsnehmer die Zahlung einer Berufsunfähigkeitsrente (siehe hierzu Berufsunfähigkeit beantragen). Er ist der Auffassung, die Vorlage des Bescheides zur Versetzung in den Ruhestand begründe bereits eine unwiderlegbare Vermutung für seine Berufsunfähigkeit.
Der Versicherer hingegen verweigerte die beantragten Versicherungsleistungen. Es sei ihm nicht möglich gewesen, die erforderliche Prüfung seiner Leistungspflicht zu beenden, da der Versicherungsnehmer nicht bereit war, sich einer fachärztlichen Untersuchung zur Feststellung seiner dauerhaften Dienstunfähigkeit zu unterziehen. Vielmehr hielt der Versicherungsnehmer an der Annahme fest, es handele sich bei der Erfüllung der Dienstunfähigkeitsklausel um eine unwiderlegbare Vermutung der Berufsunfähigkeit. Deswegen müsse er keinen weiteren Beweis für die dauernde Dienstunfähigkeit erbringen.
Aus diesem Grund machte der Versicherungsnehmer Leistungsansprüche aus der Berufsunfähigkeitsversicherung gerichtlich geltend. Die Klage wurde vom Landgericht abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung wurde vom OLG als unbegründet abgewiesen. Dagegen wendete sich der Versicherungsnehmer schließlich mit der Revision zum BGH.
Die Leistungsansprüche des Versicherungsnehmers seien zumindest derzeit nicht fällig, so der BGH. Der Versicherer habe die notwendigen Erhebungen zur Feststellung des Versicherungsfalles aufgrund unzureichender Mitwirkung des Versicherungsnehmers nicht abschließen können. Zur Erfassung der Klausel zog das Gericht die üblichen juristischen Auslegungsmethoden heran.
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Bei rechtmäßiger Auslegung der Dienstunfähigkeitsklausel im Lichte des Verständnisses eines durchschnittlichen, um Verständnis bemühten Versicherungsnehmers, also anhand des Wortlautes, genüge die Versetzung des Versicherungsnehmers in den Ruhestand wegen allgemeiner Dienstunfähigkeit nicht, um eine Leistungspflicht des Versicherers zu begründen.
Insbesondere verdeutliche die Formulierung „und dazu“ in der Klausel, dass neben der Versetzung des Beamten in den Ruhestand wegen allgemeiner Dienstunfähigkeit die dauernde Unfähigkeit zur Erfüllung der Dienstpflichten aus gesundheitlichen Gründen als eigenständige Voraussetzung stehe. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer könne nicht davon ausgehen, dass diese Voraussetzung inhaltsleer sei und ihr keine eigenständige Bedeutung zukomme. Vielmehr sei erkennbar, dass es dieser zusätzlichen Voraussetzung nicht bedurft hätte, wenn der Versicherer nur bindend auf das Ergebnis des Gesundheitsprüfung durch den Dienstherrn habe abstellen wollen und sich dieser habe unterwerfen wollen.
Auch bei Auslegung der Klausel nach dem erkennbaren Zweck und dem Sinnzusammenhang ergebe sich kein abweichendes Verständnis eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers.
In der Dienstunfähigkeitsklausel werde im Gegensatz zu den restlichen Tatbeständen der bedingungsgemäßen Berufsunfähigkeit in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen nicht verlangt, dass der Versicherungsnehmer seinerseits die gesundheitlichen Beeinträchtigungen ärztlich nachweist. Demnach begründe die Versetzung eines Beamten in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit zwar eine Vermutung der vollständigen Berufsunfähigkeit, diese sei allerdings widerlegbar, indem der Versicherer eine eigene Untersuchung des Versicherungsnehmers durchführen lassen. Folglich ergebe sich aus der Dienstunfähigkeitsklausel gerade keine unwiderlegbare Vermutung der Berufsunfähigkeit.
Bei sogenannten einfachen Beamtenklauseln hänge die Leistungspflicht des Versicherers in der Regel allein von der Versetzung in den Ruhestand bzw. Entlassung des Beamten in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit ab. Das Ergebnis der Gesundheitsprüfung durch den Dienstherrn werde regelmäßig ohne Vornahme eigener Untersuchungen übernommen. Rückschlüsse auf die vorliegend in Rede stehende Klausel, die eine solche Anbindung an die Entscheidung des Dienstherrn gerade nicht zum Ausdruck bringt, seien indes nicht möglich.
Schließlich sei die Klausel auch nicht unklar. Klauseln seien nämlich erst dann unklar, wenn nach Ausschöpfung der in Betracht kommenden Auslegungsmethoden ein nicht behebbarer Zweifel verbleibt und mindestens zwei unterschiedliche Auslegungen vertretbar sind. Vorliegend verdiene die Auslegung im Sinne einer unwiderlegbaren Vermutung den klaren Vorzug.
Bei der Auslegung einer Dienstunfähigkeitsklausel kommt es auf den genauen Wortlaut der Klausel und das Verständnis eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers an. Der ausschließliche Umstand, dass der Beamte wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt worden ist, begründet keine unwiderlegbare Vermutung seiner vollständigen Berufsunfähigkeit. Vielmehr hat er Versicherer das Recht, weitere Untersuchungen zu verlangen oder selbst anzustellen und damit die Vermutung der Berufsunfähigkeit zu widerlegen.
Bei Streitigkeiten über die Auslegung einer Dienstunfähigkeitsklausel kann es daher durchaus empfehlenswert sein, einen im Versicherungsrecht tätigen Rechtsanwalt zu kontaktieren. Weitere interessante Artikel zum Bereich Berufsunfähigkeitsversicherung sind nachstehend zu finden: Berufsunfähigkeitsversicherung.
Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke ist Partner der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte und seit 2017 Fachanwalt für Versicherungsrecht. Während seiner Anwaltstätigkeit hat er bereits eine Vielzahl von gerichtlichen Verfahren im Versicherungsrecht geführt und erfolgreich für die Rechte von Versicherungsnehmern gestritten.
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