Abweichungen des Versicherungsscheins: Die Genehmigungsfiktion des § 5 VVG

In der Praxis kommt es vor, dass es zu Abweichungen des Versicherungsscheins von durch den Versicherungsnehmer gestellten Versicherungsantrag kommt. Sodann stellt sich die Frage, ob und mit welchem Inhalt des Versicherungsvertrag zustande gekommen ist. Dies richtet sich oftmals nach der Genehmigungsfiktion des § 5 VVG. Der nachfolgende Artikel soll einen Einblick hierzu bieten.

Zweck der Genehmigungsfiktion

Nach den allgemeinen Regelungen des BGB würden Abweichungen des Versicherungsscheins vom Versicherungsantrag die Ablehnung des Versicherungsantrages durch den Versicherer bedeuten und ein neues Angebot unter den neu formulierten Bedingungen darstellen. Der Versicherungsnehmer hätte einem solchen geänderten Angebot des Versicherers erneut zuzustimmen, damit ein wirksamer Versicherungsvertrag zustande kommt. Auf der Grundlage der allgemeinen Regelungen bestünde daher die erhebliche Gefahr, dass überhaupt kein Versicherungsvertrag zustande käme.

Um zu verhindern, dass der Versicherungsnehmer vollkommen ohne Versicherungsschutz dasteht, ermöglicht § 5 VVG den Abschluss des Versicherungsvertrages zu den im Versicherungsschein geänderten Bedingungen auch ohne nochmalige Zustimmung des Versicherungsnehmers. Der Versicherungsnehmer genehmigt durch sein Schweigen die Abweichungen des Versicherungsscheins. Das soll zum einen der Rechtssicherheit dienen, zum anderen soll der Versicherungsnehmer nicht ohne Versicherungsschutz stehen.

Allerdings müssen zusätzlich die Voraussetzungen des § 5 VVG vorliegen. Ob die Voraussetzungen vorliegen, muss vom Versicherer dargelegt werden. Es sind nur solche Abweichungen erfasst, die auch rechtlich zulässig sind (OLG Koblenz, 19.02.1976 – Az.: 4 U 982/75).

Voraussetzungen der stillschweigenden Genehmigung

Zunächst ist § 5 VVG nur auf den Abschluss von Verträgen anzuwenden. Dabei wird aber jede Art des Versicherungsvertrags erfasst. Es ist auch unerheblich, ob es sich um den Abschluss eines neuen Vertrags oder die Änderung eines bestehenden Vertrags handelt. Zuvor muss der Versicherungsnehmer aber gegenüber dem Versicherer eine auf den Vertragsschluss gerichtete Willenserklärung abgegeben haben (siehe auch Ausnahme von der Hinweispflicht bei Abweichungen des Versicherungsscheins (LG Dortmund)).

Sodann muss in dem Zugang des Versicherungsscheins beim Versicherungsnehmer ein wirksamer Vertragsschluss liegen. § 5 VVG ist also nur auf den Fall anzuwenden, dass der Versicherer dem Versicherungsnehmer mit Zusendung des Versicherungsscheins die Annahme erklärt. Hat der Versicherer den Versicherungsantrag des Versicherungsnehmers hingegen bereits angenommen und soll der Versicherungsschein lediglich noch den Vertragsschluss bestätigen, so ist § 5 VVG nicht anwendbar.

Weitere Voraussetzung ist, dass der Antrag oder die Vereinbarung von dem zugesandten Versicherungsschein abweicht. Eine Abweichung liegt vor, wenn die im Antrag formulierten Rechte oder Pflichten von denen im Versicherungsschein inhaltlich abweichen. Wichtig ist, dass die Inhalte des Antrags nicht Wort für Wort wiedergegeben werden müssen (siehe auch Kurzformulierung im Versicherungsschein (OLG Hamm)). Liegt eine Formulierung abweichend des Wortlauts vor, muss durch Auslegung ermittelt werden, ob dieselben inhaltlichen Bestimmungen gemeint sind. Die Beweislast der Abweichung trägt der Versicherungsnehmer. Erklärt der Versicherungsnehmer sich schon bei Antragsstellung mit den Änderungen einverstanden, kann in diesen keine Abweichung gesehen werden (siehe auch Genehmigungsfiktion bei einer Ausschlussklausel (OLG Hamm)).

Nach der Ansicht des BGHs kann § 5 VVG für Abweichungen des Versicherungsscheins jeglicher Art gelten. Dabei sind sowohl günstige als auch ungünstige Abweichungen erfasst (siehe auch Begünstigende Abweichungen des Versicherungsschein (BGH)).

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Hinweispflicht bzgl. der Abweichungen des Versicherungsscheins

Eine Genehmigung der Abweichungen des Versicherungsscheins nach § 5 VVG tritt jedoch nur ein, wenn der Versicherer den Versicherungsnehmer bei Übermittlung des Versicherungsscheins auf die Abweichungen des Versicherungsscheins hingewiesen hat und der Versicherungsnehmer den Abweichungen des Versicherungsscheins nicht widersprochen hat. Im Zuge dessen muss er im Versicherungsschein auf jede Abweichung und das Widerspruchsrecht hinweisen.

Widerspruch des Versicherungsnehmers

Legt der Versicherungsnehmer Widerspruch gegen die Abweichungen des Versicherungsscheins ein, wird der Vertrag nicht wirksam und die Genehmigungsfiktion des § 5 VVG greift nicht ein. Der Widerspruch hat binnen eines Monats nach Zugang des Versicherungsscheins zu erfolgen und bedarf keiner Begründung. Widerspricht der Versicherungsnehmer den Abweichungen des Versicherungsscheins, so ist ein Versicherungsvertrag damit nicht zustande gekommen.

Fachgerechte Beratung kann sich lohnen!

Zu welchen Bedingungen ein Versicherungsvertrag zustande gekommen ist, kann erheblichen Einfluss auf den Umfang des Versicherungsschutzes haben. Kommt es daher zu Abweichungen des Versicherungsscheins vom Versicherungsantrag, so sollte der Versicherungsnehmer sorgfältig abwägen, ob er von seinem Widerspruchsrecht Gebrauch macht und damit die Gefahr in Kauf nimmt, dass überhaupt kein Versicherungsvertrag zustande kommt.

Bemerkt der Versicherungsnehmer erst nach Eintritt des Versicherungsfalls, dass es zu Abweichungen des Versicherungsscheins vom Antrag gekommen ist, so kann es sich durchaus empfehlen, rechtlich durch einen im Versicherungsrecht spezialisierten Rechtsanwalt prüfen zu lassen, ob die geänderten Bedingungen des Versicherungsscheins tatsächlich wirksamer Vertragsbestandteil geworden sind. Gerne unterstützt Sie dabei auch die Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte.

Zum Autor: Rechtsanwalt Jens Reichow

Rechtsanwalt Reichow ist Partner der Hamburger Kanzlei Jöhnke & Reichow. Er betreut vor Allem Verfahren im Versicherungsrecht, zur Haftung von Versicherungsvermittlern und Streitigkeiten aus dem Handelsvertreterrecht. Nähere Angaben zu Jens Reichow finden Sie unter folgendem Anwaltsprofil:

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Rechtsanwalt erklärt, wie Abweichungen des Versicherungsscheins zu behandeln sind

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