Der BGH hatte mit seinem Urteil vom 21.01.1976 (AZ: IV ZR 123/74) zu entscheiden, ob die Genehmigungsfiktion des § 5 VVG auch auf begünstigende Abweichungen des Versicherungsscheins vom Versicherungsantrag anzuwenden ist.
Der Versicherungsnehmer unterhielt eine Berufshaftpflichtversicherung für seine Tätigkeit als Architekt. Von 1963 bis 1964 führte er für eine Stadt den Neubau eines städtischen Viehhofs durch. Für den Auftrag waren dem Architekten sämtliche Teilleistungen sowie die örtliche Bauführung übertragen worden. Im Zuge dessen stellte der Architekt einen Mitarbeiter ein, der als Baumeister tätig sein sollte. Für diese Tätigkeit stellte der Baumeister einen Antrag auf Abschluss einer eigenen Berufshaftpflichtversicherung. Mit dem Antrag beantragte der Baumeister bei dem Versicherer Versicherungsschutz „für die gesetzliche Haftpflicht als selbständiger Architekt ohne eigene Bauausführung“. Daraufhin erhielt er vom Versicherer einen Versicherungsschein, der die folgenden besonderen Bedingungen enthielt:
„Die Versicherung bezieht sich ausschließlich auf die selbstständige Tätigkeit des Versicherungsnehmers.
Im Anschluss kam es zu einem Schadensereignis, bei dem der vom Versicherungsnehmer eingestellte Baummeister zu viel Boden anfahren ließ. Der Schaden belief sich auf 30.292,61 DM und weitere 10.282,22 DM. Diese Mehrkosten nach Abzug in Höhe von 24.887,73 DM forderte die Stadt nach dem Abschluss der Bauarbeiten von dem Architekten ein.
Der Versicherer des Architekten erhob sodann Klage gegen den durch den Architekten eingestellten Baumeister. Der Versicherer gab an, dass der Anspruch, den der Architekt gegenüber dem Baumeister habe, auf ihn übergegangen sei, und forderte die Zahlung von 24.887,73 DM. Aufgrund der Abwesenheit des Baumeisters erging ein Versäumnisurteil, in dem der Baumeister verpflichtet wurde, die geforderte Summe an den Versicherer zu zahlen. Im Zuge dessen erließ das Amtsgericht Ravensburg einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss, in dem die Ansprüche des Baumeisters gegenüber seinem Haftpflichtversicherer gepfändet wurden und dem Versicherer des Architekten zur Einziehung überwiesen wurden.
Der Versicherer des Architekten verlangte sodann die Zahlung der 24.877,23 DM vom Haftpflichtversicherer des Baumeisters. Das Landgericht wies die Klage jedoch ab. Auch die dagegen eingelegte Berufung wurde zurückgewiesen. Dagegen richtete sich die Revision vor dem BGH.
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Der BGH entschied zugunsten des Versicherers des Architekten. Diesem stehe gegen den Versicherer des Baumeisters ein Anspruch in Höhe der 24.877,23 DM zu. Im Zuge dessen stellte der BGH fest, wann begünstigende Abweichungen vom Versicherungsschein von der Genehmigungsfiktion des § 5 VVG erfasst seien.
Zunächst stellte der BGH fest, dass es bei der Bestimmung des Versicherungsschutzes des Baumeisters auf die Auslegung des Versicherungsscheins ankomme. Demnach sei dem Versicherungsschein zu entnehmen, dass der Versicherungsschutz entgegen dem Antrag des Baumeisters nicht nur für die planende Tätigkeit, sondern auch für die Bauleitung und die örtliche Bauaufsicht gelten solle. Infolgedessen sei auch die Anlieferung des überschüssigen Bodens umfasst. Der BGH führte fort, dass nach § 5 Abs.1 VVG eine Abweichung des Versicherungsscheins vom Antrag des Versicherungsnehmers als genehmigt gelte, wenn dieser nicht innerhalb eines Monats nach Erhalt schriftlich widerspreche. Dies gelte aber nur, wenn der Versicherungsnehmer vom Versicherer auf die Änderungen hingewiesen worden sei. Sei dies nicht erfolgt, sei der Versicherungsschutz gemäß Versicherungsantrag als vereinbart anzusehen.
Anschließend befasste sich der BGH mit der Frage, ob auch begünstigende Abweichungen vom Versicherungsschein von der Genehmigungsfiktion des § 5 VVG erfasst seien. Dazu stellte der BGH fest, dass § 5 Abs.1 VVG auch für positive Abweichungen gelten müsse, da es ja gerade um das Schaffen von Rechtssicherheit gehe. Bezüglich der Hinweispflicht des Versicherers nach § 5 Abs.2 VVG gelte diese aber nur bezüglicher negativer Abweichungen, da sie als Schutzvorschrift für den Versicherungsnehmer diene, es aber bei einer positiven Abweichung eines solchen Schutzes nicht bedürfe. Folglich sei der Inhalt des Versicherungsscheines als maßgeblich anzusehen. Der Versicherungsschutz umfasse demnach auch die Bauleitung und die örtliche Bauaufsicht.
Auch weitere Einwendung wies der BGH entschieden zurück. Zuletzt nahm der BGH noch eine Kürzung der Klage in Höhe von 2.488,72 DM vor, da dies der Selbstbeteiligung des Architekten entsprach.
Der BGH stellt in seinem Urteil klar, dass die Genehmigungsfiktion des § 5 VVG in Bezug auf begünstigende Abweichungen vom Versicherungsschein gilt. Allerdings bedarf es bei begünstigenden Abweichungen keiner Belehrung des Versicherers, damit der Inhalt des Versicherungsscheins gilt. Behauptet ein Versicherer daher, dass eine begünstigende Abweichung des Versicherungsscheins vom Versicherungsantrag nicht gilt, so kann es daher durchaus sinnvoll sein, den Fall durch einen im Versicherungsrecht tätigen Rechtsanwalt genauer prüfen zu lassen. Gerne unterstützt Sie hierbei auch die Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte. Weitere Informationen finden Sie auch unter Abweichungen des Versicherungsscheins
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