Das Saarländische Oberlandesgericht hatte sich mit der Frage zu befassen, ob eine Beendigung des Krankentagegeldes durch einen Vergleich mit dem BU-Versicherer erfolgt oder, ob der Versicherte beide Leistungen parallel erhalten kann (OLG Saarbrücken, Urt. v. 18.10.2023 – 5 U 93/22).
Der Versicherungsnehmer unterhielt bei dem Versicherer eine Krankentagegeldversicherung. Das Krankentagegeld sollte nach den Versicherungsbedingungen ab dem 22. Tag der Arbeitsunfähigkeit mit 100 € kalendertäglich zu leisten sein. Dem Vertrag lagen die Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Krankentagegeldversicherung zugrunde. Diese AVB enthalten die folgenden Klauseln:
§1 Gegenstand, Umfang und Geltungsbereich des Versicherungsschutzes
(2) Versicherungsfall ist die medizinisch notwendige Heilbehandlung einer versicherten Person wegen Krankheit oder Unfallfolgen, in deren Verlauf Arbeitsunfähigkeit ärztlich festgestellt wird. ….
§ 15 Sonstige Beendigungsgründe
(1) Das Versicherungsverhältnis endet hinsichtlich der betroffenen versicherten Personen
…..
b) mit Eintritt der Berufsunfähigkeit. Berufsunfähigkeit liegt vor, wenn die versicherte Person nach medizinischem Befund im bisher ausgeübten Beruf auf nicht absehbare Zeit mehr als 50 % erwerbsunfähig ist. Besteht jedoch zu diesem Zeitpunkt in einem bereits eingetretenen Versicherungsfall Arbeitsunfähigkeit, so endet das Versicherungsverhältnis nicht vor dem Zeitpunkt, bis zu dem der Versicherer seine im Tarif aufgeführten Leistungen für diese Arbeitsunfähigkeit zu erbringen hat, spätestens aber drei Monate nach Eintritt der Berufsunfähigkeit;
Der Versicherungsnehmer machte Ansprüche aus der Krankentagegeldversicherung gegenüber dem Versicherer geltend. Der Versicherungsnehmer arbeitete zu diesem Zeitpunkt als Selbständiger in einem Piercingstudio. In Folge einer Depression war er seit dem 29.05.2017 arbeitsunfähig krankgeschrieben. Der Versicherer gewährte dem Versicherungsnehmer bis einschließlich 06.09.2018 Leistungen aus der Krankentagegeldversicherung. Nachfolgend lehnte der Versicherer unter Berufung auf ein ärztliches Gutachten weitere Zahlungen ab.
Neben der Krankentagegeldversicherung unterhielt der Versicherungsnehmer zwei Berufsunfähigkeitsversicherungen bei anderen Versicherungen. Der Versicherungsnehmer hatte so dann in einem Verfahren am 20.11.2020 vor dem Landgericht Saarbrücken einen Vergleich mit einem der Berufsunfähigkeitsversicherungen geschlossen. In diesem Vergleich verpflichtete sich der Versicherer zur Abgeltung aller Ansprüche aus der Berufsunfähigkeitsversicherung seit Mai 2017 einen Betrag in Höhe von 120.000 € zu zahlen. Der Vertrag wurde zudem einvernehmlich beendet.
Der Versicherungsnehmer verlangte zeitgleich von der Krankentagegeldversicherung ein Krankentagegeld in Höhe von 29.700 € für die Zeit vom 07.09.2018 bis zum 30.06.2019, da er zu dieser Zeit vollständig arbeitsunfähig gewesen sei. Der Versicherer berief sich auf § 15 b der Allgemeinen Versicherungsbedingungen und verweigerte die Leistung, da eine Beendigung des Krankentagegeldes durch eine Zahlung der Berufsunfähigkeitsversicherung eingetreten sei. Die dagegen gerichtete Klage des Versicherungsnehmers vor dem Landgericht Saarbrücken wurde jedoch abgewiesen. Dagegen legte der Versicherungsnehmer Berufung vor dem Saarländischen Oberlandesgericht ein.
Das OLG Saarbrücken entschied zugunsten des Versicherers. Der Versicherungsnehmer habe keinen Anspruch auf weitere Leistungen aus der Krankentagegeldversicherung, sondern die Beendigung des Krankentagegeldes sei rechtmäßig. Denn der Versicherungsnehmer habe bereits Leistungen – im Rahmen des Vergleiches – aus der Berufsunfähigkeitsversicherung bezogen. Zudem habe er eine vollständige Arbeitsunfähigkeit schon gar nicht nachweisen können.
Das Gericht lehnte damit einen weiteren Leistungsanspruch aus der Krankentagegeldversicherung ab und begründete dies mit den zugrunde liegenden Versicherungsbedingungen des Krankenversicherers. Da der Versicherungsnehmer zu dem entsprechenden Zeitpunkt bereits Leistungen aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung bezogen habe, könne ihm kein paralleler Anspruch auf Leistungen aus der Krankentagegeldversicherung zustehen. Es sei daher eine Beendigung des Krankentagegeldes vorzunehmen.
Dies gelte auch, wenn der Vergleich bezüglich der Berufsunfähigkeitsversicherung nachträglich geschlossen wurde. Es sei zwar anzunehmen, dass nach dem Wortlaut des § 15 MB/KT zunächst nur von regelmäßigen Leistungen ausgegangen werden könne, es müsse diesbezüglich aber ein weites Verständnis angenommen werden. Würde dies nicht erfolgen, könne der Versicherungsnehmer einmalige Leistungen mit dem einen Versicherer vereinbaren, um so doppelte Leistungen zu erzielen.
Dem Vergleich bezüglich der Berufsunfähigkeitsversicherung sei auch der Versicherungsvertrag als Schuldgrund für die Leistung zugrunde zu legen. Demnach sei der Vergleich direkt auf die Lebensversicherung zu beziehen und nicht abstrakt zu verstehen. Auch die rückwirkende Bewilligung stehe dem nicht entgegen (siehe: OLG Saarbrücken, 03.12.1986 – 5 U 7/86, VersR 1988, 397; OLG Schleswig, VersR 2016, 1305 Rn. 22). Dies könne auch in Bezug auf § 15 der Allgemeinen Versicherungsbedingungen angenommen werden, da der Wortlaut nicht erkenne lassen, dass die Leistungen gerade zu diesem Zeitpunkt erfolgen müssten, sondern lediglich für diesen Zeitraum gelten müssen. Damit seien auch nachträgliche Leistungen erfasst (siehe dazu weiterführend: Führt auch ein rückwirkender Bezug von Berufsunfähigkeitsrenten zur Beendigung der Krankentagegeldversicherung? (KG Berlin)).
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Entgegen dem Wortlaut des § 15 der Allgemeinen Versicherungsbedingungen sei das Versicherungsverhältnis aber nicht beendet worden (siehe dazu auch: Berufsunfähigkeit als Grund für Beendigung von Krankentagegeldansprüchen (LG Offenburg)). Das Gericht unterschied also zwischen einer Beendigung des Krankentagegeldes und der Beendigung der Krankentagegeldversicherung. Es müsse eine weite Auslegung vorgenommen werden. Der Versicherer der Krankentagegeldversicherung sei vielmehr während der Dauer des Bezugs der Leistungen aus der Berufsunfähigkeitsversicherung von der eigenen Leistungspflicht befreit. Infolgedessen entfalle auch die Beitragspflicht des Versicherungsnehmers. Ein Verstoß der Klausel sei nicht ersichtlich (BGH, Urt. v. 22.01.1992 – IV ZR 59/91). Dies sei darauf zurückzuführen, dass der Versicherungsvertrag ruhend weiterbestehe. Infolgedessen sei der Versicherer für den fraglichen Zeitpunkt von der Leistung befreit.
Das Saarländische Oberlandesgericht führte zudem an, dass der Versicherungsnehmer schon nicht die bedingungsgemäßen Voraussetzungen für den Bezug von Krankengeld und seine vollständige Arbeitsunfähigkeit im konkreten Fall nachgewiesen habe. Somit stehe ihm auch deshalb kein Anspruch zu. Diesbezüglich führte das Saarländische Oberlandesgericht an, dass der fehlende Beweis für die bezogenen Leistungen aus der Berufsunfähigkeitsversicherung aber unerheblich sei (siehe hierzu: Versicherungsfähigkeit in der Krankentagegeldversicherung trotz fingierter Berufsunfähigkeit? (OLG Hamm)). Es komme für eine Befreiung des Versicherers der Leistungen aus Krankentagegeldversicherung nur darauf an, dass die Leistungen aus der Berufsunfähigkeitsversicherung auch wirklich bezogen wurden.
Das Urteil des Saarländischen Oberlandesgerichts zeigt, dass bei der Krankentagegeldversicherung bei paralleler BU-Versicherung kein doppelter Anspruch für den gleichen Zeitraum bestehen kann, wenn ein entsprechender Ausschluss in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen vereinbart wurde. Dabei kommt es nicht darauf an, dass es sich bei den Gewährungen von Leistungen aus der Berufsunfähigkeitsversicherung um einen Vergleich handelt. Auch ist nicht von Bedeutung, ob die Voraussetzungen der Berufsunfähigkeitsversicherung tatsächlich vorlagen.
Es sollte daher immer ein genauer Blick in die allgemeinen Versicherungsbedingungen erfolgen, da dies für die Leistungspflicht des Versicherers besonders bedeutsam sein kann.
Weitere Informationen und Rechtsprechungen finden Sie unter „Versicherungsrecht“ und themenspezifisch unter „Krankentagegeldversicherung“ zusammengefasst.
Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke ist Partner der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte und seit 2017 Fachanwalt für Versicherungsrecht. Während seiner Anwaltstätigkeit hat er bereits eine Vielzahl von gerichtlichen Verfahren im Versicherungsrecht geführt und erfolgreich für die Rechte von Versicherungsnehmern gestritten.
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