Das OLG Saarbrücken befasste sich mit Urteil vom 29.6.2011 (Az.: 5 U 297/09–76) mit der Frage, ob der Versicherungsnehmer mit der Ablehnung einer ärztlichen Untersuchung eine Obliegenheitsverletzung begeht.
Der Versicherungsnehmer unterhielt beim Versicherer eine Krankenversicherung, die auch eine Krankentagegeldversicherung umfasst. Diese sieht Leistungen von 114 Euro täglich ab dem 15. Tag vor.
Wegen einer Arthrose ließ sich der Versicherungsnehmer am rechten Knie operieren. Der Versicherer leistete daraufhin das vereinbarte Krankentagegeld, verlangte aber eine ärztliche Untersuchung. Zu einer solchen Untersuchung am 28.01.2008 erschien der Versicherte nicht, da ihm das Aufforderungsschreiben hierzu nicht rechtzeitig zuging. Ferner nahm er auch den Nachuntersuchungstermin am 21.02.2008 bei dem vom Versicherer beauftragten Arzt nicht wahr.
Durch seinen früheren Rechtsanwalt erfolgte sodann die Ablehnung einer ärztlichen Untersuchung durch den beauftragten Arzt wegen Befangenheit. Eine erneute Untersuchung bei demselben Arzt am 14.05.2008 lehnte der Versicherungsnehmer ebenfalls ab. Daraufhin lehnte der Versicherer weitere Leistungen aus dem Versicherungsvertrag wegen vorsätzlicher Obliegenheitsverletzung ab.
Sodann unterzog sich der Versicherungsnehmer einer erneuten Operation des rechten Kniegelenks und forderte erneut Krankentagegeld. Der Versicherer lehnte Leistungen jedoch wegen der begangenen Obliegenheitsverletzung ab. Dagegen klagte der Versicherte.
Das Landgericht Saarbrücken wies die Klage wegen vorsätzlicher Obliegenheitsverletzung ab. Dagegen legte der Versicherungsnehmer Berufung ein. Er behauptet hierfür, dass er sich an seinen früheren Anwalt gewandt habe und dieser ihm erklärt habe, er müsse den Termin wegen Befangenheit des Arztes nichts wahrnehmen und auch nichts weiteres veranlassen.
Die Berufung des Versicherungsnehmers hatte Erfolg. Ihm steht ein Anspruch gegen den Versicherer auf Zahlung eines Krankentagegeldes zu. Insbesondere bestehe keine Leistungsfreiheit des Versicherers wegen einer Obliegenheitsverletzung des Versicherungsnehmers. Denn der Versicherer müsse den objektiven Tatbestand einer Obliegenheitsverletzung beweisen. Wenn ihm dies gelingt, werde zwar Vorsatz des Versicherten vermutet. Diese Vermutung habe der Versicherungsnehmer allerdings in dem vorliegenden Fall entkräftet.
Das OLG Saarbrücken stellte zunächst fest, dass der Versicherungsnehmer eine Obliegenheitsverletzung dadurch begangen hat, dass eine Ablehnung einer ärztlichen Untersuchung bzgl. des vom Versicherer gewünschten Untersuchungstermin am 14.05.2008 vorläge. Denn grundsätzlich sei der Versicherer in der Wahl des untersuchenden Arztes frei.
Dementsprechend können Ablehnungsgründe gegenüber dem beauftragten Arzt allenfalls in konkreten Ausnahmefällen besonderer Unzumutbarkeit gegeben sein. Sie müssen jedoch ein ganz erhebliches Gewicht haben. Anhaltspunkte dafür habe der Versicherungsnehmer indessen nicht vorgetragen. Nach Auffassung des Gerichts sei die Befürchtung, der beauftragte Arzt sei nicht objektiv, unerheblich, da das Untersuchungsergebnis lediglich der Information des Versicherers diene und für den Versicherten dagegen in keiner Weise bindend sei. Darüber hinaus seien Aufforderungen zu Nachuntersuchungen in Monatsintervallen grundsätzlich zulässig.
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Allerdings habe der Versicherungsnehmer bewiesen, dass diese Obliegenheitsverletzung nicht vorsätzlich oder grob fahrlässig geschehen ist. Nach Ansicht des OLG Saarbrücken stehe fest, dass der Versicherungsnehmer auf anwaltlichen Rat gehandelt habe, was wiederum einen Rechtsirrtum begründe, der Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit ausschließe.
Die falsche Bewertung der Rechtslage durch den früher beauftragten Rechtsanwalt könne dem Versicherungsnehmer nicht zugerechnet werden, so das Gericht. Insbesondere sei der beauftragte Rechtsanwalt nicht Repräsentant für die Erfüllung versicherungsrechtlicher Obliegenheiten (siehe dazu auch: Der Repräsentant des Versicherungsnehmers). Er sei mithin nicht aufgrund eines Vertretungsverhältnisses oder ähnlichen Verhältnisses an die Stelle des Versicherten getreten. Vielmehr habe sich der Versicherte beraten lassen, ohne sich vollständig aus der Vertragsstellung zurückzuziehen.
Ebenso scheide eine Zurechnung des falschen Rates des Rechtsanwaltes über die Grundsätze der Wissenserklärungsvertretung aus. Der vom Versicherungsnehmer beauftragte Rechtsanwalt sei nämlich nicht als dessen Wissenserklärungsvertreter aufgetreten. Vielmehr habe der Versicherte nach anwaltlicher Beratung selbst entschieden, den Nachuntersuchungstermin nicht wahrzunehmen. Dabei sei es also nicht um die Abgabe einer Wissenserklärung gegangen. (siehe dazu auch: Der Wissenserklärungsvertreter des Versicherungsnehmers)
Es komme somit auf die Schuld des Versicherungsnehmers selbst an, so das OLG. Das Gericht führte dazu aus, dass ein Irrtum über Rechtsfragen Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit ausschießt, wenn sich der Versicherungsnehmer seinen Verhältnissen entsprechend um eine Klarstellung bemüht hat. Dazu müsse er sich in Zweifelsfällen an den Versicherer wenden oder Rechtsrat einholen. Tut er dies, könne er sich aber grundsätzlich auf dessen Richtigkeit verlassen. Denn in der Regel habe ein Rechtssuchender weder Anlass noch die Möglichkeit, anwaltliche Auskünfte auf ihre Richtigkeit zu überprüfen.
Der Versicherungsnehmer habe zudem das Schreiben des früheren Rechtsanwalts vorgelegen, aus dem sich ergibt, dass er von seinem Anwalt entsprechend beraten wurde. Daraus lasse sich zugleich ableiten, dass der Versicherte aufgrund des Gesprächs mit seinem Anwalt davon ausgehen musste, keine Rechtsnachteile durch die Ablehnung einer ärztlichen Untersuchung zu erleiden. Demzufolge beweise der Versicherungsnehmer allein mit der Vorlage des Schreibens seines früheren Anwalts auch den falschen Rat seines früheren Anwalts.
Es steht dem Versicherer grundsätzlich frei, einen Arzt zur Begutachtung seines Versicherungsnehmers zu wählen. Nimmt der Versicherungsnehmer den vom Versicherer gewünschten Untersuchungstermin nicht wahr, so kann dies eine Obliegenheitsverletzung darstellen, welche zur Leistungsfreiheit des Versicherers führen kann. Daher kann es nach einer Leistungsablehnung des Versicherers durchaus sinnvoll sein, einem im Versicherungsrecht spezialisierten Rechtsanwalt mit der genauen Prüfung des Einzelfalles zu beauftragen. Gerne stehen hierfür auch Jöhnke & Reichow zur Verfügung.
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