Der BGH hatte mit Urteil vom 19.04.2023 (AZ: IV ZR 204/22) zu entscheiden, wann ein fehlender Hinweis bezüglich der Entscheidungsrelevanz einer mündlichen Vernehmung zu einer Verletzung des rechtlichen Gehörs bei der Gefahrerhöhung führt.
Der Versicherungsnehmer ist Eigentümer eines Grundstücks, auf dem sich neben einem Hauptgebäude auch mehrere Nebengebäude befinden. Für die besagten Gebäude unterhielt der Versicherungsnehmer eine Wohngebäudeversicherung. Versichert waren auch durch Feuer entstandene Schäden. Zudem umfassten die allgemeinen Versicherungsbedingungen auch Regelungen bezüglich einer Gefahrerhöhung:
„2. Eine Gefahrerhöhung ist dem Versicherer unverzüglich schriftlich anzuzeigen. Bei einer Gefahrerhöhung kann der Versicherer aufgrund der §§ 23 bis 30 VVG zur Kündigung berechtigt oder auch leistungsfrei sein.“
In einem der Nebengebäude errichtete der Versicherungsnehmer nach Abschluss des Versicherungsvertrags im vorderen Bereich des Obergeschosses einen Räucherofen. Den Ofen nutzte er etwa dreimal im Jahr. Eine Anzeige gegenüber dem Versicherer erfolgt nicht. Nach einem erneuten Räuchervorgang kam es zum Brand des Dachstuhls des Nebengebäudes. Es entstand ein Schaden in Höhe von 150.000,00 €.
Infolgedessen machte der Versicherungsnehmer Ansprüche aus der Wohngebäudeversicherung gegenüber dem Versicherer geltend. Der Versicherer lehnte die Schadensregulierung ab und kündigte den Versicherungsvertrag. Er begründete dies damit, dass der Brand durch den selbsteingebauten Ofen verursacht worden sei, wobei gängige Sicherheitsvorschriften missachtet worden seien und keine Betriebserlaubnis vorgelegen habe. Im Zuge des nachträglichen Einbaus des Räucherofens sei eine Gefahrerhöhung hervorgerufen worden. Aus diesem Grund sei er von der Leistung befreit.
Dagegen richtete sich die Berufung des Versicherungsnehmers vor dem Oberlandesgericht Naumburg. Der Versicherungsnehmer behauptete jedoch, dass der neu eingebaute Ofen nicht die Ursache des Brandes sei, da es sich um einen Kalträucherofen handele, der nur Temperaturen von maximal 30 Celsius erreiche. Auch habe er schon vor Vertragsabschluss einen anderen Räucherofen im Erdkeller des Gebäudes betrieben.
Daraufhin legte der Versicherungsnehmer Klage vor dem Landgericht Halle ein. Das Landgericht Halle entschied zugunsten des Versicherers. Im Rahmen des Berufungsverfahrens behauptete der Versicherungsnehmer sodann, dass sich der vor Vertragsschluss von ihm betriebene Räucherofen im Obergeschoss der Scheune befunden habe. Der Berufung wurde daraufhin in Höhe von 75.450,00 € stattgegeben. Sodann wandte sich der Versicherer im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde an den Bundesgerichtshof.
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Der BGH entschied zugunsten des Versicherers. Die Beschwerde des Versicherers hatte Erfolg und führte zur Zurückverweisung der Sache an das Oberlandesgericht Naumburg.
Das OLG Naumburg hatte eine nachträgliche Gefahrenerhöhung aufgrund der Angaben des Versicherungsnehmers in seiner persönlichen Anhörung abgelehnt. Hierin sah der Bundesgerichtshof einen Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör des Versicherers.
In der Verletzung des rechtlichen Gehörs läge ein Verstoß gegen das Verbot der Überraschungsentscheidung. Dies folge daraus, dass der Versicherer nicht damit rechnen konnte, dass sich das Oberlandesgericht Naumburg in seiner Entscheidung derart auf die persönliche Anhörung des Versicherungsnehmers stütze. Infolgedessen hätte sich der Versicherer nicht ausreichend zu den Angaben des Versicherungsnehmers äußern können. Diese betrafen Angaben bezüglich des Standorts eines zweiten vorvertraglich vorhandenen Räucherofens.
Der Versicherer hätte auch nicht in Angesicht des Verfahrensablaufs davon ausgehen müssen, dass die von ihm eingewandte Gefahrenerhöhung abgelehnt werden würde. Vor der Anhörung des Versicherungsnehmers sei die vorherige Existenz eines zweiten Räucherofens nicht Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen. Der BGH kam zu dem Schluss, dass sich der Versicherer infolgedessen nicht mit den neuen Angaben des Versicherungsnehmers auseinandersetzen musste und demnach ein entsprechender gerichtlicher Hinweis hätte erfolgen müssen.
Der BGH kam zu dem Ergebnis, dass der Versicherer nicht damit hätte rechnen müssen, dass das Oberlandesgericht Naumburg die Gefahrerhöhung aufgrund eines vor Vertragsschluss bereits vorhandenen Räucherofens ablehnt. Aufgrund dessen hätte ein Hinweis gegenüber dem Versicherer ergehen müssen. Im Zuge dessen hätte sich der Versicherer erneut zu dem fraglichen zweiten Räucherofen äußern können. Es könne sodann nicht ausgeschlossen werden, dass das Oberlandesgericht Naumburg nach einem weiteren Vortrag des Versicherers anders entschieden hätte. Daraus folge eine Verletzung des rechtlichen Gehörs bei der Gefahrerhöhung.
Das Urteil des BGH zeigt, dass bei der Beurteilung des Vorliegens einer Gefahrerhöhung eine umfassende Gesamtbetrachtung aller Umstände vorgenommen werden muss. Dafür muss beiden Parteien die Möglichkeit einer Stellungnahme gegeben werden. Geschieht dies nicht, kann dies zu einer Verletzung des rechtlichen Gehörs bei der Gefahrerhöhung führen. Für Fragen hierzu steht die im Versicherungsrecht tätige Kanzlei Jöhnke & Reichow gerne zur Verfügung. Weitere Informationen finden Sie auch unter Die Gefahrerhöhung
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