Die vorsätzliche Herbeiführung des Versicherungsfalls kann den Versicherer im Schadensfall berechtigen, die Leistungen aus dem Versicherungsvertrag zu verweigern. Der vorliegende Artikel soll einen Einblick gewähren, unter welchen Voraussetzungen der Versicherer von seiner Leistungspflicht befreit sein kann.
Die Ungewissheit des Versicherungsfalls ist für den Versicherungsvertrag kennzeichnend. Ein Versicherungsnehmer, der diese Ungewissheit einseitig beseitigt, indem er selbst vorsätzlich die Risikoverwirklichung herbeiführt, entzieht dem Leistungsversprechen des Versicherers die Grundlage. Damit ist die vorsätzliche Herbeiführung des Versicherungsfalls „von vornherein“ nach § 81 VVG nicht versichert.
Für den Ausschluss wegen einer vorsätzlichen Herbeiführung des Versicherungsfalls muss der Versicherungsnehmer weder gegen Gesetze noch gegen die Allgemeinen Versicherungsbedingungen verstoßen haben. Es genügt jedes ursächliche Verhalten des Versicherungsnehmers oder eines ihm zurechenbaren Dritten, durch das vorsätzlich der Versicherungsfall herbeigeführt wird.
Dem Versicherungsnehmer kann auch ein vorsätzliches Handeln Dritter zuzurechnen sein. Neben der Haftung für seine gesetzlichen Vertreter (z.B. Vorstand oder Geschäftsführer) kommt insbesondere eine Zurechnung des Handelns von sogenannten Repräsentanten in Betracht. Einen Artikel mit näheren Informationen zum Repräsentanten des Versicherungsnehmers finden Sie unter: Der Repräsentant des Versicherungsnehmers
Für die Annahme eines Vorsatzes bedarf es eines Wissens- und Wollenselement hinsichtlich der Handlung selbst, sowie des dazugehörigen Erfolges. In diesem Zusammenhang muss der Versicherungsnehmer jedoch keine sichere Kenntnis von den für den Eintritt des Versicherungsfalls relevanten Tatsachen haben. Er muss auch nicht zwingend absichtlich handeln. Es genügt vielmehr, wenn der Versicherungsnehmer billigend in Kauf nimmt, dass der Versicherungsfall infolge seines Handelns oder Unterlassens eintritt (BGH NJW 1986, 180). Schwierigkeiten ergeben sich daher gerade in der Abgrenzung zur bewussten Fahrlässigkeit, bei welcher der Versicherungsnehmer die Möglichkeit der Verwirklichung des Erfolges erkennt, aber darauf vertraut, dass dieser nicht eintreten werde (BGH NJW-RR 1998, 34).
Handelt der Versicherungsnehmer grob fahrlässig, so ist der Versicherer nach § 81 VVG berechtigt, die Versicherungsleistung in einem der Schwere des Verschuldens des Versicherungsnehmers entsprechenden Verhältnis zu kürzen. Sonderregelungen gelten nach § 103 VVG jedoch für den Bereich der Haftpflichtversicherung.
Grob fahrlässig handelt derjenige, der die im Verkehr erforderliche Sorgfalt nach den gesamten Umständen in ungewöhnlich hohem Maß verletzt und das nicht beachtet, was im konkreten Fall jedermann einleuchten musste (BGH VersR 2011, 916). Dafür wird ein Verhalten des Versicherungsnehmers vorausgesetzt, von dem er wusste oder wissen musste, dass es geeignet war, den Eintritt des Versicherungsfalls oder die Vergrößerung des Schadens zu fördern (BGH VersR 1980, 180, 181). Dabei muss die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts offenkundig zu groß sein, dass es ohne Weiteres nahelag, zur Vermeidung des Versicherungsfalls ein anderes Verhalten als das tatsächlich ausgeübte in Betracht zu ziehen.
In Abgrenzung zur einfachen Fahrlässigkeit wird darüber hinaus auch in subjektiver Hinsicht ein erheblich gesteigertes Verschulden gefordert. Das Verhalten des Versicherungsnehmers muss demnach subjektiv unentschuldbar sein (BGH VersR 2011, 916). Daraus folgt aber, dass konstitutionelle Schwächen oder eine momentan verminderte Einsichtsfähigkeit den Versicherungsnehmer entlasten können. Es ergeben sich folgende Fallgruppen der Entlastungsgründe:
In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass sich der Versicherungsnehmer vom Vorwurf der groben Fahrlässigkeit mit der Berufung auf ein Augenblicksversagen befreien kann. Bei einem Augenblicksversagen handelt es sich um das Vergessen eines von vielen Handgriffen aufgrund einer kurzzeitigen Unaufmerksamkeit, das auch einem üblicherweise mit seinem Eigentum sorgfältig umgehenden Versicherungsnehmer passieren kann (BGH 08.02.1989 – Az.: IVa ZR 57/88, NJW 1989, 1355). Jedoch ist nicht jedes kurzfristige Versagen als Augenblicksversagen einzuordnen. Vielmehr müssen weitere, in der Person des Handelnden liegende Umstände des Einzelfalls hinzutreten, die das Fehlverhalten des Versicherungsnehmers nicht schlechthin unentschuldbar erscheinen lassen (BGHZ 119, 147, 149). Dieses zusätzliche Merkmal relativiert die Bedeutung des Augenblicksversagens erheblich.
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Bei der Ermittlung der groben Fahrlässigkeit können weiterhin individuelle Defizite und die besonderen tatsächlichen Verhältnisse bei Eintritt des Schadensfalles Berücksichtigung finden. Solche Defizite können einerseits auf einer dauerhaften konstitutionellen Beeinträchtigung beruhen. Es kann sich aber auch um vorübergehende Einschränkungen der Konzentrationsfähigkeit (z.B. bei Übermüdung, starker seelischer Belastung, beruflichem Stress) handeln.
Auch die starke, die Schuldunfähigkeit aber nicht ausschließende Alkoholisierung kann in diesem Zusammenhang mit der erheblich geminderten Erkenntnis- und Hemmungsfähigkeit beachtet werden. Alkoholkonsum schließt die grobe Fahrlässigkeit jedoch nicht generell aus. Vielmehr wird die Beachtung elementarer Verhaltensregeln auch bei erheblicher Alkoholisierung erwartet. Darunter fällt insbesondere das Verbot, im Trunkenheitszustand ein Kraftfahrzeug zu führen. Demzufolge ist bei Trunkenheitsfahrten eine subjektive Unentschuldbarkeit in der Regel anzunehmen (sieh hierzu auch Grobe Fahrlässigkeit bei Trunkenheitsfahrt (OLG Dresden)). Ausnahmsweise kommt eine Entlastung allerdings in Betracht, wenn der Versicherungsnehmer vor Beginn des Alkoholkonsums die Absicht hatte, das Fahrzeug nicht mehr selbst zu führen, sich diese Absicht auch durch entsprechende Vorkehrungen manifestierte (z.B. durch Abrede mit dem Ehegatten) und er seinen Entschluss erst im alkoholisierten und damit schuldunfähigen Zustand aufgrund besonderer Umstände ändert (BGH VersR 2011, 1037 (1038 f.)).
Der Versicherer trägt die Darlegungs- und Beweislast sowohl für die Herbeiführung des Versicherungsfalls (BGH VersR 2005, 1387) als auch für Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit des Versicherungsnehmers. Unter diesem Aspekt umfasst die Beweispflicht des Versicherers auch die subjektive Komponente der groben Fahrlässigkeit (BGH VersR 1989, 582, 584).
Auf objektiver Seite erfordert dies den Nachweis, dass der Eintritt des Versicherungsfalls auf ein Verhalten des Versicherungsnehmers zurückzuführen ist, das den vertraglich vereinbarten Sicherheitsanforderungen nicht entspricht (BGH VersR 1989, 141). Im Falle des Unterlassens erstreckt sich die Beweispflicht des Versicherers zudem auf diejenigen Tatsachen, aus denen eine Handlungspflicht des Versicherungsnehmers abzuleiten ist, mithin auf die Kenntnis der Gefahrenlage und die Möglichkeit sowie Zumutbarkeit der Abwendung des Versicherungsfalls (BGH VersR 1986, 962). Der Versicherer hat zu beweisen, dass der Versicherungsfall ohne das Verhalten des Versicherungsnehmers nicht in der konkreten Weise eingetreten wäre, wie er tatsächlich eingetreten ist.
Beruft sich der Versicherungsnehmer jedoch darauf, dass der Versicherungsfall aufgrund eines anderen Kausalverlaufs eingetreten ist, so ist der Versicherungsnehmer hierfür beweispflichtig. Diese Beweislast des Versicherungsnehmers folgt aus den allgemeinen Grundsätzen, nach denen hypothetische Tatsachen derjenige nachweisen muss, der sich auf sie beruft (BGH VersR 1986, 962, 963).
Hat ein Dritter den Versicherungsfall vorsätzlich herbeigeführt, so hat der Versicherer Tatsachen dazulegen und zu beweisen, aus denen die Repräsentantenhaftung des Dritten folgt (OLG Köln VersR 1992, 996, 997).
Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke ist Partner der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte und seit 2017 Fachanwalt für Versicherungsrecht. Während seiner Anwaltstätigkeit hat er bereits eine Vielzahl von gerichtlichen Verfahren im Versicherungsrecht geführt und erfolgreich für die Rechte von Versicherungsnehmern gestritten.
Rechtsanwalt Bernhard Gramlich ist seit 2019 angestellter Anwalt der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte und seit 2020 Fachanwalt für Versicherungsrecht. Als Rechtsanwalt hat er bereits einer Vielzahl von Versicherungsnehmern bei der Durchsetzung ihrer Rechte gegenüber Versicherern geholfen.
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