Berufsunfähigkeit wegen Mobbing? (OLG Schleswig)

Kann ein tatsächliches oder als solches empfundenes Mobbing am Arbeitsplatz, welches zu psychischen Erkrankungen führt, eine Berufsunfähigkeit begründen. Das OLG Schleswig beschäftigte sich mit der Frage, ob infolge des Mobbing die Leistungspflicht der Krankentagegeldversicherung folgen kann. (OLG Schleswig, Urt. v. 20.03.2023 – 16 U 112/22)

Abgrenzung zwischen Arbeitsunfähigkeit von Berufsunfähigkeit in der Krankentagegeldversicherung

Der Versicherungsnehmer ist seit 1989 in einem Unternehmen beschäftigt. Seit 2009 ist er Leiter der Finanzabteilung. Nachdem es 2015 zu einer Erweiterung der Abteilung kam, zeigte der Versicherungsnehmer seine Überlastung an, woraufhin es zu Konflikten am Arbeitsplatz kam.

Im Jahr 2017 übernahm der Versicherungsnehmer eine neue Funktion als Leiter der strategischen Finanzplanung. Er wurde daraufhin – entgegen seiner ausdrücklichen Bitte – seiner Nachfolgerin als Abteilungsleiterin unterstellt. Aus diesen Gründen fühlte sich der Versicherungsnehmer am Arbeitsplatz gemobbt. Wegen Mobbing war der Versicherungsnehmer ab Mai 2019 arbeitsunfähig krankgeschrieben. Die Krankentagegeldversicherung leistete nach Ablauf der Karenztage Krankentagegeld.

Nach einer Reha, bei der beim Versicherungsnehmer unter anderen eine depressive Störung diagnostiziert wurde, teilte der Versicherer dem Versicherungsnehmer mit, dass die Krankentagegeldversicherung im August 2020 ende, da der Versicherungsnehmer berufsunfähig sei. Der Versicherer stellte die Leistungen daraufhin ein und der Versicherungsnehmer nahm zum Oktober 2020 eine neue Funktion innerhalb des Unternehmens als Regionalmanager auf und trat dort die Arbeit an.

Der Versicherungsnehmer begehrt vom Versicherer weitere Leistungen aus der Krankentagegeldversicherung und darüber hinaus die Feststellung des unveränderten Fortbestehens des Versicherungsvertrages.

Beweispflicht des Versicherers hinsichtlich des Eintrittes der Berufsunfähigkeit

Die Krankengeldversicherung sei nicht zum Oktober 2020 beendet worden, da der Versicherer keine Berufsunfähigkeit nachgewiesen habe, so das OLG Schleswig. Dem Versicherungsvertrag liegen die vereinbarten Allgemeinen Versicherungsbedingungen zugrunde. Demgemäß läge eine Berufsunfähigkeit vor, wenn die versicherte Person nach medizinischem Befund im bisher ausgeübten Beruf auf nicht absehbare Zeit mehr als 50% erwerbsunfähig ist. Für die erforderliche Prognose komme es rückblickend, aus der Ex-ante-Perspektive, auf denjenigen Zeitpunkt an, den der Versicherer als das Ende seiner Leistungspflicht rügt. Unerheblich sei dabei, ob diese Prognose auch zutreffend war oder der Versicherungsnehmer später doch wieder arbeiten kann.

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Begriff der letzten Arbeitstätigkeit

Maßgebend bei der Prüfung der Berufsunfähigkeit sei der bisherige Beruf des Versicherungsnehmers in seiner konkreten Ausprägung, weshalb auch eine durch besondere Umstände am Arbeitsplatz wie eine tatsächliche oder als solche empfundene Mobbingsituation bedingte psychische und/oder physische Erkrankung zu einer Arbeitsunfähigkeit führen könne. Die Konsequenz sei, dass im Rahmen der Beurteilung der Berufsunfähigkeit nur solche Tätigkeiten zur Berufsausübung gehören und herangezogen werden, die dem Berufsbild entsprechen, welches sich aus der bis zum Eintritt der Arbeitsunfähigkeit konkret ausgeübten Tätigkeit ergibt. Die berufliche Tätigkeit des Versicherungsnehmers bestimme sich mithin gerade nicht nach dem allgemeinen Berufsbild.

Keine Berufsunfähigkeit bei Leistungsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt

Die Unfähigkeit, der konkreten Tätigkeit am Arbeitsplatz nachzugehen, habe nicht zwangsläufig eine Berufsunfähigkeit im Sinne der AVB zur Folge. Insbesondere habe der sich negativ auf den Gesundheitszustand des Versicherungsnehmers auswirkende Konflikt am Arbeitsplatz, der zwar nach überzeugender Auffassung eines Sachverständigen zur Arbeitsunfähigkeit des Versicherungsnehmers geführt hat, ihn jedoch nicht generell an der Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit gehindert. Der Versicherungsnehmer habe die entsprechende berufliche Tätigkeit also solche gemäß den gutachterlichen Feststellungen tatsächlich jederzeit ausüben können. Auch nach den Ausführungen des Sachverständigen habe der Versicherungsnehmer aus medizinischer Sicht allen Leistungen eines Leiters der strategischen Finanzplanung uneingeschränkt nachgehen können.

Eine Wiederaufnahme der konkreten Tätigkeit sei lediglich aufgrund des vom Versicherungsnehmer als Mobbing empfundenen Arbeitsplatzkonflikts und der daraus entstandenen psychischen Erkrankung verhindert gewesen. Damit sei der Versicherungsnehmer zwar gehindert gewesen, an den vorherigen Arbeitsplatz zurückzukehren, nicht aber der beruflichen Tätigkeit an sich nachzukommen. Insbesondere habe der Versicherungsnehmer seine berufliche Tätigkeit bei jedem anderen Arbeitgeber, also mit anderen Mitarbeitern und Vorgesetzten ausführen können. Aus diesem Grund sei der Versicherungsnehmer nicht berufsunfähig gewesen, so das OLG.

Fazit 

Im Rahmen einer Krankentagegeldversicherung leistet der Versicherer Zahlungen an den Versicherungsnehmer, wenn seine Erwerbsfähigkeit vorübergehend beeinträchtigt ist. Gerade nicht nur vorübergehend in seiner Erwerbsfähigkeit beeinträchtigt ist jemand, der berufsunfähig geworden ist. In diesem Fall trägt der Versicherer die Darlegungs- und Beweispflicht über die Beendigung seiner Leistungspflicht zu dem von ihm behaupteten Zeitpunkt wegen Berufsunfähigkeit des Versicherungsnehmers.

Eine tatsächliche oder als solche empfundene Mobbingsituation am Arbeitsplatz, die zu psychischen Erkrankungen führt, kann eine Arbeitsunfähigkeit begründen. Maßstab für die Prüfung der Berufsunfähigkeit ist der bisher ausgeübte Beruf in seiner konkreten Ausgestaltung. Es liegt dementsprechend keine Berufsunfähigkeit vor, wenn der Versicherungsnehmer die bisherige Tätigkeit zwar grundsätzlich uneingeschränkt ausüben kann, aufgrund einer psychischen Erkrankung jedoch nicht an seinem alten Arbeitsplatz.

Weitere interessante Artikel zum Bereich der Krankentagegeldversicherung ist nachstehend zu finden: Krankentagegeldversicherung, zum Bereich der Berufsunfähigkeitsversicherung hier: Berufsunfähigkeitsversicherung.

Zum Autor: Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke

Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke ist Partner der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte und seit 2017 Fachanwalt für Versicherungsrecht. Während seiner Anwaltstätigkeit hat er bereits eine Vielzahl von gerichtlichen Verfahren im Versicherungsrecht geführt und erfolgreich für die Rechte von Versicherungsnehmern gestritten.

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Rechtsanwalt Björn Jöhnke erklärt Urteil zur Berufsunfähigkeit wegen Mobbing.

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