Für den Wegfall gefahrerhöhender Umstände trägt grundsätzlich der Versicherungsnehmer die primäre Darlegungslast und die Beweislast. Die sekundäre Darlegungslast kann hingegen den Versicherer treffen. Mit dieser Problematik befasste sich das Landgericht München (LG München I, Urt. v. 07.03.2023 – 12 S 12059/22).
Der Versicherte ist bei dem Versicherer privat krankenversichert. Die Parteien vereinbarten im Jahr 1988 einen Beitragszuschlag für „Stoffwechselerkrankungen, deren Ursache und Folgen“. Nach geraumer Zeit legte der Versicherte dem Versicherten im Februar 2022 eine ärztliche Stellungnahme nebst Laborparametern zu Cholesterin- und Harnsäurewerten aus einer Blutuntersuchung vor. Infolgedessen senkte der Versicherer den Beitragszuschlag im März 2022 rückwirkend zum Januar 2022, um ungefähr die Hälfte. Der Versicherte hingegen begehrte eine weitergehende Herabsetzung des Risikozuschlags auf null, zumal sich nach seiner Ansicht dies aus den Laborwerten gerade ergebe.
Mangels vorgerichtlicher Einigung verfolgte der Versicherungsnehmer sein Anliegen zunächst vor dem Amtsgericht München klageweise weiter. Das AG München wies die Klage des Versicherten jedoch ab, so dass dieser eine Berufung zum LG München I eingelegte.
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Das Berufungsgericht gab – anders als das AG München – dem Versicherten Recht. Das Berufungsgericht stützt seine Entscheidung auf den Umstand, dass der Versicherte lediglich Laborwerte vorgelegt hat, welche nicht ausreichend belegten, dass die gefahrerhöhenden Umstände endgültig weggefallen seien. Die Einholung von Sachverständigengutachten stelle einen reinen Ausforschungsbeweis dar, so das Gericht.
Richtigerweise hat der Versicherte in Bezug auf den Wegfall der gefahrerhöhenden Umstände die primäre Darlegungslast und Beweislast zu tragen. Nach Auffassung des Landgerichts ist der Versicherte dieser Anforderung gerecht geworden. Insbesondere hat der Versicherte hinreichend zum Ausdruck gebracht, dass er aufgrund der Cholesterin- und Harnsäurewerte aus der Blutuntersuchung und der daran anknüpfenden Stellungnahme seines Hausarztes davon ausgeht, dass die entscheidenden Risikofaktoren für die prognostischen Bestimmung der Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines Versicherungsfalls oder des Umfangs der Behandlungskosten dauerhaft weggefallen sind. Demnach sei eine Herabsetzung des Risikozuschlags auf null zu erwirken.
Mit der auf die Blutwerte gestützten Herabsetzung des Risikozuschlags durch den Versicherer zum März 2022 liegt eine hinreichende Indizienlage vor, welche die Überprüfung der Versicherungsprämie rechtfertigt. Dem Versicherten ist es gerade nicht möglich, die Rechtmäßigkeit der Herabsetzung des Zuschlages weitergehend zu beweisen, da er außerhalb der versicherungsinternen Kalkulation der Risikozuschlagsherabsetzung steht. Dieser Umstand löst eine sekundäre Darstellungslast beim Versicherer aus, d.h. der Versicherer muss nun den schlüssigen Beweis für die Rechtmäßigkeit des restlichen, nicht vollständig gekürzten Zuschlags erbringen.
Dieser sekundären Beweislast wurde der Versicherer hingegen nicht gerecht. Die Richtlinien zur Handhabung von Blutwerten oder sonstige Unterlagen zu den angewandten Prämienberechnungssystemen wurden vom Versicherer trotz gerichtlicher Anordnung nicht vorlegt. Die vom Versicherer eingereichten Unterlagen eigneten sich nicht zur Herleitung eines bestimmten Risikokalkulationsergebnisses. Dies hatte zur Konsequenz, dass dem Gericht eine Überprüfung der Risikokalkulation des Versicherers nicht möglich wurde. Dieser Umstand geht zu Lasten des Versicherers.
Für das Gericht stand somit fest, dass vorliegend eine vollständige Herabsetzung des Beitragszuschlags auf null durch den Versicherer veranlasst war. Das Gericht gab somit dem Versicherungsnehmer Recht.
Der Versicherte trägt hinsichtlich des Wegfalls der gefahrerhöhenden Umstände die primäre Darstellungslast und Beweislast. Hat der Versicherte bewiesen, dass die Risikofaktoren im Rahmen der prognostischen Bemessung der Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines Versicherungsfalls oder des Umfangs der Behandlungskosten dauerhaft weggefallen sind und daher eine Streichung des Risikozuschlags vorzunehmen ist, so tritt eine sekundäre Darstellungslast des Versicherers ein. Hier hat der Versicherer die Herleitung des weiterhin geforderten Risikozuschlags schlüssig zu beweisen.
Die soeben genannten Ausführungen zur Verteilung der Darstellungs- und Beweislast weisen eine hohe Praxisrelevanz auf für Fälle, in welchen gesundheitliche Risiken bei Versicherten nicht mehr bestehen und Versicherten deswegen eine Herabsetzung der Prämie bzw. des Risikozuschlags von der Versicherung begehren. Im Streitfall empfiehlt es sich daher einen im Versicherungsrecht tätigen Rechtsanwalt zu konsultieren. Ein weiterführender Artikel zu diesem Themenbereich ist hier zu finden: „Herabsetzung der Versicherungsprämie nach Wegfall der gefahrerhöhenden Umstände“.
Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke ist Partner der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte und seit 2017 Fachanwalt für Versicherungsrecht. Während seiner Anwaltstätigkeit hat er bereits eine Vielzahl von gerichtlichen Verfahren im Versicherungsrecht geführt und erfolgreich für die Rechte von Versicherungsnehmern gestritten.
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