Die private Krankenversicherung kann bei erhöhtem Krankheitsrisiko des Versicherungsnehmers einen monatlichen Risikozuschlag auf die Versicherungsprämie verlangen. Entfällt jedoch diese Krankheitsgefahr, muss auch oftmals der vereinbarte Risikozuschlag wegfallen. Das Oberlandesgericht Karlsruhe befasste sich mit der Frage, wann ein Anspruch auf Herabsetzung des risikobedingten Prämienzuschlags gegeben sein kann (OLG Karlsruhe, Urt. v. 31.03.2011 – 12 U 164/10).
Die private Krankenversicherung und der Versicherungsnehmer vereinbarten zu Beginn des Versicherungsvertrages im November 2001 lediglich einen niedrigen versicherungsmedizinischen Zuschlag für Sehhilfen. Der Versicherungsnehmer führte hierbei jedoch nicht alle Vorerkrankungen wahrheitsgemäß im Versicherungsantrag auf. Daraufhin erklärte der Versicherer im Oktober 2002 den Rücktritt vom Versicherungsvertrag. Im Zuge dessen einigten sich die beiden Parteien, das Versicherungsverhältnis fortzuführen. Allerdings wurde ein deutlich höherer Risikozuschlag für Wirbelsäulenerkrankungen, Bandscheibenerkrankungen, sowie Erkrankungen des Magen-Darm-Bereiches und leichte depressive Störungen einschließlich aller Ursachen und Folgen vereinbart.
Im Januar 2008 stellte der Versicherungsnehmer einen Antrag auf Herabsetzung der Versicherungsprämie bezüglich der Magen-Darm Störungen und bezüglich der Depressionen. Nach Konsultation des Gesellschaftsarztes des Versicherungsnehmers als Zeugen bewilligte die Krankenversicherung den Antrag.
Auch bezüglich der Wirbelsäulenerkrankungen beantragte der Versicherungsnehmer die Streichung oder Minderung des Risikozuschlags. Zu diesem Zweck ließ er dem Versicherer entsprechende Röntgenbilder zukommen. Diesen Antrag lehnte der Versicherer jedoch ab. Der Versicherungsnehmer verblieb also mit einem um die Faktoren der Magen-Darm Störungen und Depressionen geminderten, aber dennoch erhöhten Risikozuschlag.
Das Begehren des Versicherungsnehmers richtet sich aber vielmehr auf die vollständige Herabsetzung des Risikozuschlags auf Null und die Rückzahlung der geleisteten Zahlungen von Januar 2008 bis Juni 2010. Dieses Anliegen äußerte der Versicherungsnehmer gegenüber dem Versicherer und begründete es damit, dass jedenfalls seit Januar 2008 auch hinsichtlich seiner Wirbelsäule und Bandscheiben kein Krankheitsrisiko mehr bestehe. Zudem brachte er vor, er weise weder im Vergleich zum durchschnittlichen Versicherten seines Alters noch überhaupt ein erhöhtes Risiko einer Wirbelsäulen- oder Bandscheibenerkrankung auf. Auch eine seinem Alter entsprechende Spondylose bzw. Spondylarthrose stelle – sofern sie vorliegt – darüber hinaus keine Krankheit dar und erhöhe auch nicht das Risiko einer Krankheit. Somit sei ein Risikozuschlag nicht gerechtfertigt.
Der Versicherer lehnte das Begehren des Versicherungsnehmers ab. Insbesondere sah der Versicherer den Risikozuschlag als gerechtfertigt an, zumal bei dem Versicherungsnehmer sehr wohl ein erhöhtes Krankheitsrisiko und damit auch ein erhöhtes Risiko der Inanspruchnahme der Versicherungsleistungen vorliege. Weiterhin stelle eine altersentsprechende Spondylose eine Krankheit dar, die zumindest das erhöhte Risiko für eine Wirbelsäulenerkrankung begründet. Aufgrund dieser Ablehnung verfolgte der Versicherungsnehmer sein Begehren nunmehr gerichtlich weiter.
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Die Klage des Versicherungsnehmers blieb jedoch erfolglos. Das Gericht führte zur Begründung aus, dass ein Versicherungsnehmer die Herabsetzung des aufgrund gefahrerhöhender Umstände vereinbarten Risikozuschlags nur verlangen kann, soweit diese Umstände nach Vertragsschluss weggefallen oder bedeutungslos geworden sind. Dies ist jedoch nicht gegeben, wenn zwar ein gefahrerhöhender Umstand weggefallen ist, der Gefahrstand sich insgesamt aber aufgrund hinzugekommener anderer gefahrerhöhender Umstände nicht verringert hat.
Ferner sei das im Vertrag zugrundeliegende Prämienbemessungssystem für die Frage der Angemessenheit maßgeblich, so das OLG Karlsruhe. Demzufolge sei entscheidend, welche Versicherungsprämie sich nach den Grundsätzen der Risikobewertung des Versicherers ergibt, wenn man die vom gerichtlichen Sachverständigen festgestellte schmerzfreie altersgerechte Spondylarthrose der Risikobewertung auslegt. Das bedeutet, wenn nach dem im Vertrag zugrundeliegenden Prämienberechnungssystem gerade keine Gefahrerhöhung angenommen würde, müsse der daraus berechnete Risikozuschlag entfallen. Wäre wiederum ein Risikozuschlag errechnet worden, aber in geringerer Höhe, sei nur der geringere Risikozuschlag zu Grunde zu legen. Die Grundsätze zur Risikoeinschätzung zum Zeitpunkt des Änderungsbegehrens seien entscheidend, mithin diejenigen im Jahr 2008.
Über die Methodik des Zustandekommens von Risikozuschlägen und ihre Kalkulation hat der Versicherungsnehmer in der Regel keine Kenntnis. Aus diesem Grund wird eine besondere Substantiierungspflicht beim Versicherer ausgelöst, wenn er sich gegen das Herabsetzungsverlangen wehrt.
Im vorliegenden Fall sei der Versicherer seiner besonderen Substantiierungspflicht, dem Versicherungsnehmer unbekannte und unzugängliche Berechnungsgrundsätze offenzulegen, nachgekommen. Diese tat er, indem er die für die Prämienberechnung zugrundeliegenden Grundsätze darlegte. Die Versicherung trug nämlich vor, sich zur Berechnung des Risikozuschlags des Bewertungstools „Aktuarmed“ zu bedienen und dass sich die Risikohöhe aus einer Abwägung ihrer Anamnesedatenbank, der Vertragsstammdaten und der Leistungsdatenbank ergebe.
Vor diesem Hintergrund muss der Versicherungsnehmer den Beweis erbringen, der Versicherer habe bei Beurteilung der Risikohöhe mit keinem oder einem geringeren Risikozuschlag gerechnet. Vorliegend könne der Versicherungsnehmer jedoch nicht beweisen, dass der Versicherer bei der Bewertung der Spondylarthrose unter Zugrundelegung der vorgelegten Grundsätze von einem geringeren oder gar keinen Risikozuschlag ausgegangen wäre.
Dabei sei unerheblich, dass der Versicherungsnehmer trotzt der altersgerechten degenerativen Veränderung der Wirbelsäule derzeit gesund ist. Nach Auffassung eines Sachverständigen gibt das Vorliegen einer Spondylarthrose nach heutigen wissenschaftlichen Erkenntnissen keinen Anhaltspunkt für eine erhöhte Gefahr der Erkrankung an Rückenleiden oder für das vermehrte Aufsuchen eines Arztes. Das Gericht entschied allerdings, dass dieser Umstand für einen Prämienanpassungsanspruch nicht von Bedeutung sei.
Zur richtigen Einschätzung des Risikos einer Spondylarthrose wurde weiterhin der Gesellschaftsarzt des Versicherungsnehmers hinzugezogen. Dieser gab an, auch eine altersentsprechende Spondylarthrose könne nach den Risikogrundsätzen der Versicherung als gefahrerhöhender Umstand angesehen werden. Der Gesellschaftsarzt machte deutlich, dass die Einschätzung, inwieweit ein bestimmter Befund zu Versicherungsleistungen führe, auf den Daten der Versicherung basiert. Dabei wird insbesondere nicht geprüft, ob zwischen dem Befund und der Risikoeinschätzung tatsächlich ein wissenschaftlicher Zusammenhang besteht.
Nach Einschätzung des Versicherers stellte die Diagnose Spondylarthrose einen regelwidrigen Befund dar. Dieser könne – wenn auch nur im Zusammenhang mit anderen Faktoren – Leistungen der Versicherung auslösen. Diese Einschätzung beruhe auf den Erfahrungswerten des Versicherers.
Indes sei der Versicherer gerade nicht dazu verpflichtet, bei der Prämienkalkulation die medizinisch-wissenschaftlichen Beurteilungen von Risiken zu konsultieren oder jede Entwicklung der medizinischen Wissenschaft in sein Prämiensystem umzusetzen. Vielmehr sei es dem Versicherer gestattet, seine eigenen Erfahrungswerte als Grundlage für die Beurteilung des Risikos heranzuziehen.
Demzufolge läge nach den belegten Risikogrundsätzen des Versicherers nach wie vor ein gefahrerhöhender Umstand bezüglich der Wirbelsäulen- und Bandscheibenerkrankungen vor. Das Gericht gab dem Versicherer somit Recht.
Gefahrerhöhende Umstände können dazu führen, dass der Versicherungsnehmer einen erhöhten Risikozuschlag an den Versicherer zahlen muss. Das Risiko der Befunde wird zu Beginn des Versicherungsverhältnisses durch den Versicherer im Rahmen eines Prämienbemessungssystems beurteilt. Bei dieser Beurteilung darf die Versicherung ihre eigenen Erfahrungswerte als Grundlage heranziehen; sie muss sich insbesondere nicht an der Risikobeurteilung der medizinischen Wissenschaft orientieren. Fallen jedoch nach Vertragsschluss diese risikoerhöhenden Umstände weg oder werden bedeutungslos, so ist der vereinbarte Zuschlag herabzusetzen. Die Frage, wann ein gefahrerhöhender Umstand weggefallen ist, misst sich an den Kalkulationsdaten des Versicherers, sofern er diese dem Versicherungsnehmer dargelegt hat.
Sollte ein Versicherer die Herabsetzung der Prämie verweigern, so sind also stets die Besonderheiten des konkreten Einzelfalles zu berücksichtigen. Es kann daher durchaus empfehlenswert sein, einen im Versicherungsrecht tätigen Rechtsanwalt mit der Prüfung des Falles zu beauftragen, wenn sich der Versicherer weigert, die Versicherungsprämie herabzusetzen. Ein weiterführender Artikel zu diesem Themenbereich ist hier zu finden: „Herabsetzung der Versicherungsprämie nach Wegfall der gefahrerhöhenden Umstände“.
Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke ist Partner der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte und seit 2017 Fachanwalt für Versicherungsrecht. Während seiner Anwaltstätigkeit hat er bereits eine Vielzahl von gerichtlichen Verfahren im Versicherungsrecht geführt und erfolgreich für die Rechte von Versicherungsnehmern gestritten.
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