Die dauerhafte Flugunfähigkeit ist Voraussetzung dafür, dass Piloten, Flugbegleiter, Fluglotsen etc. die zur Berufsausübung notwendige Lizenz entzogen wird. Bei einem Lizenzverlust („Loss of Licence“) leistet die Lizenzverlustversicherung. Diese kann als eigenständige Versicherung oder als Zusatz zu einer regulären Berufsunfähigkeitsversicherung bestehen. Doch wann liegt eine solche dauerhafte Flugunfähigkeit vor? Welche Kriterien werden zur Beurteilung herangezogen und welche Faktoren beeinflussen die Entscheidung des beurteilenden Fliegerarztes? Um diese und weitere Fragen geht es im folgenden Beitrag.
Versicherte, die in einer der oben genannten Berufsgruppen tätig werden, müssen eine Tauglichkeitsbescheinigung der Klasse 1 vorweisen. Dieses Tauglichkeitszeugnis wird alle 12 Monate von neuem ausgestellt. Für die erstmalige Ausstellung ist ein flugmedizinisches Zentrum zuständig. Die Verlängerung kann von diesem oder einem flugmedizinischen Sachverständigen erfolgen. Wird dieses auch „Medical“ genannte Tauglichkeitszeugnis der Klasse 1 nicht ausgestellt, so ist der Versicherte fluguntauglich.
Die dauerhafte Flugunfähigkeit wird in den Arbeitsverträgen typischerweise so definiert: „Flugdienstuntauglichkeit im Sinne dieser Bestimmungen ist das auf einem unbehebbaren oder aller Wahrscheinlichkeit unbehebbaren körperlichen Mangel beruhende Unvermögen, eine fliegerische Tätigkeit nach den einschlägigen Vorschriften weiter auszuüben.“
Der Versicherte darf also aller Voraussicht nach dauerhaft nicht mehr dazu in der Lage zu sein, einen Beruf auszuüben, der eine fliegerische Tätigkeit betrifft. Dabei handelt es sich um eine Prognoseentscheidung des Fliegerarztes, auf die weder der Versicherte noch der Versicherer oder der Arbeitgeber Einfluss hat (BAG, Urteil v. 21.11.2018 – Az.: BAG 7 AZR 394/17). Die Verträge mit den Airlines enthalten zudem häufig Klauseln, die das Arbeitsverhältnis für beendet erklären, sobald die dauerhafte Flugunfähigkeit bekannt wird.
Um Leistungen aus der Lizenzverlustversicherung beantragen zu können, muss eine dauerhafte Flugunfähigkeit vorliegen. Bei einer einfachen Arbeitsunfähigkeit liegt zwar meistens auch eine Fluguntauglichkeit vor (siehe dazu: „Fluguntauglichkeit gleichbedeutend mit Arbeitsunfähigkeit?“), doch ist diese normalerweise erstmal nur vorübergehend.
In Abschnitt B der Durchführungsverordnung (EU) 2019/27 (Teil-MED) werden die Anforderungen an die Erteilung des für die Flugtauglichkeit erforderlichen Medicals konkretisiert. Das Medical darf nicht ausgestellt werden bei angeborenen oder erworbenen Normabweichungen, chronischen Erkrankungen oder Behinderungen, Wunden, Verletzungen oder Operationsfolgen sowie bei Einnahme bestimmter Arzneimittel. Abweichungen von den durchschnittlichen Fähigkeiten und Gegebenheiten stehen einer unbeschränkten Erteilung des Medicals also grundsätzlich entgegen. Diese Obergruppen stehen dem detaillierten Katalog der einzelnen Anforderungen voran.
Besonders streng werden Kandidaten ausgeschlossen, die an einer Herz-Kreislauf-Erkrankung leiden. Ein vergangener Myokardinfarkt oder ein implantiertes Defibrillator-System schließt die Tauglichkeit beispielsweise sofort aus. Aber auch Beeinträchtigungen der Atemwege, bestimmte Arten von Hernien, diabetes mellitus oder Beeinträchtigungen am Bewegungsapparat können zur sofortigen Fluguntauglichkeit führen. Auch die Sehfähigkeit spielt naturgemäß eine zentrale Rolle.
Die mentale Gesundheit stellt einen wichtigen Faktor bei der Beurteilung der Flugtauglichkeit dar. Während viele psychische Erkrankungen eine weitere Begutachtung notwendig machen, schließen Selbstverletzungen oder Selbstmordversuche sowie Schizophrenie in der Krankengeschichte die Flugtauglichkeit von vornherein aus (siehe dazu: „Psychische Fluguntauglichkeit bei Wehrfliegern“).
Generell muss der Versicherte fähig sein, die Ausübung ihrer mit der Lizenz verbundenen Rechte ausreichend sicherstellen zu können. Der Versicherte muss also in der Lage sein, das Luftfahrzeug genauso sicher zu führen, wie es ein gesunder Pilot könnte. Viele Erkrankungen führen jedoch nicht sofort zum Ausschluss der Flugtauglichkeit. Stattdessen erfolgt eine Verweisung des Versicherten an den medizinischen Sachverständigen der Genehmigungsbehörde, welcher die Flugtauglichkeit ein weiteres Mal beurteilt. Die zu untersuchenden Körperteile und Organe sind jedoch stets dem Teil-MED zu entnehmen.
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Abseits von Streitigkeiten über etwaige Ansprüche steht der Versicherte hinsichtlich des Medicals einigen Pflichten gegenüber. Er ist verpflichtet flugmedizinischen Rat einzuholen, wenn Umstände eintreten, die einen solchen erforderlich machen könnten. Wann dies der Fall ist, wird in MED.A.020 der Durchführungsverordnung näher konkretisiert. Bei Eingriffen oder neuen Medikamenten, Verletzungen oder Klinikaufenthalten beispielsweise hat der Versicherte die Pflicht, ein flugmedizinisches Zentrum oder einen flugmedizinischen Sachverständigen zu informieren und sich beraten zu lassen. Diese beurteilen dann den Fortbestand oder Wegfall der Flugtauglichkeit des Versicherten.
Ist der Leistungsanspruch aus der Luftfahrt-Lizenzverlustversicherung entstanden und möchte der Versicherte diesen durchsetzen, ist jedoch fraglich, wer hinsichtlich welcher Tatsachen beweis- und darlegungsbedürftig ist. Da die Lizenzverlustversicherung einen Spezialfall der Berufsunfähigkeitsversicherung darstellt und eine verlorene Lizenz der Berufsunfähigkeit gleichsteht, gelten grundsätzlich die Regeln der Beweislast für Berufsunfähigkeit.
Es obliegt demnach dem Versicherten, den Eintritt des Versicherungsfalles und somit der Berufsunfähigkeit zu beweisen. Dies stellt sich bei Lizenzverlustversicherungen jedoch um ein Vielfaches leichter dar als bei reinen Berufsunfähigkeitsversicherungen. Denn wird das Medical aus gesundheitlichen Gründen nicht erteilt, so wird die Berufsunfähigkeit bei einer Lizenzverlustversicherung vermutet und der Beweislast des Versicherten ist genüge getan.
Jedoch muss vom Versicherten auch die erforderliche Dauerhaftigkeit der Fluguntauglichkeit dargelegt werden. Da es sich bei der Dauerhaftigkeit um eine individuelle Prognose handelt, obliegt es dem Versicherten zumindest die Umstände, die zur dauerhaften Flugunfähigkeit führen, darzulegen (Neuhaus, Berufsunfähigkeitsversicherung, 4. Auflage 2020, Rn. 204).
Doch auch das Erfordernis der Darlegung der Dauerhaftigkeit sollte durch die Tatsache, dass die Beurteilung durch flugmedizinische Zentren oder Sachverständige erfolgt, deutlich vereinfacht werden.
Lizenzverlustsicherungen als spezielle Form der Berufsunfähigkeitsversicherung leisten, wenn dem Versicherten das Medical aus gesundheitlichen Gründen auf Dauer nicht mehr erteilt wird, sie also dauerhaft flugunfähig sind. Diese dauerhafte Flugunfähigkeit wird entweder in einem flugmedizinischen Zentrum oder einem flugmedizinischen Sachverständigen beurteilt. Die Kriterien richten sich dabei transparent und einsehbar nach der Durchführungsverordnung Teil-MED. Darin gibt es einige genau bezeichnete Krankheiten, die eine sofortige Fluguntauglichkeit nach sich ziehen. Viele der in der Verordnung genannten Krankheiten führen jedoch nicht direkt zu einer Fluguntauglichkeit, sondern müssen im Rahmen einer Nachuntersuchung noch einmal nachgeprüft werden.
Zudem obliegt dem Versicherten eine dauerhafte Beobachtung der Umstände, die eine Fluguntauglichkeit auslösen und diesbezüglich eine Meldepflicht auslösen könnten. Da mit dem Verlust der Fluglizenz quasi eine Berufsunfähigkeit eintritt, vereinfachen sich die Anforderungen hinsichtlich der Beweis- und Darlegungslast für den Versicherten erheblich.
Außer in den konkret benannten Fällen kann jedoch nicht pauschal beantwortet werden, wann eine dauerhafte Flugunfähigkeit vorliegt. Es muss vielmehr immer der Einzelfall betrachtet werden. Es empfiehlt sich deshalb frühzeitig einen Fachanwalt für Versicherungsrecht zu konsultieren, der dem Versicherten bei Fragen und Angelegenheiten rund um Lizenzverlust- und Berufsunfähigkeitsversicherung zur Seite steht. Weiterer interessante Artikel zum Thema Lizenzverlust sind hier zu finden: „Lizenzverlust“.
Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke ist Partner der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte und seit 2017 Fachanwalt für Versicherungsrecht. Während seiner Anwaltstätigkeit hat er bereits eine Vielzahl von gerichtlichen Verfahren im Versicherungsrecht geführt und erfolgreich für die Rechte von Versicherungsnehmern gestritten.
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