Für Versicherte kann es wesentlich werden, ob der Versicherer bei einem leidensbedingten Berufswechsel fortan auf die reine Haushaltstätigkeit als Beruf abstellt. Dafür ist auch maßgeblich, ob die Haushaltstätigkeit überhaupt einen Beruf im Sinne der Berufsunfähigkeitsversicherung darstellt. Welche Faktoren bei der Beurteilung des maßgeblichen Berufes eine Rolle spielen und ob Haushaltstätigkeiten ein versicherter Beruf sind, ist Gegenstand einer Entscheidung des OLG Saarbrücken (Urteil v. 26.02.2014 – 5 U 248/12).
Im Dezember 1998 schloss die Versicherte eine Berufsunfähigkeitszusatzversicherung ab. Bei einem Grad der Berufsunfähigkeit von mindestens 50% sollte die Versicherte eine monatliche Rente in Höhe von (damals) 2.000,00 DM erhalten. Bei den Gesundheitsfragen im Versicherungsantrag gab sie an, dass sie bis auf ein ausgeheiltes Karpaltunnelsyndrom, Heuschnupfen und rein routinemäßigen Arztbesuchen gesund sei.
Im Dezember 2010 beantragte die Versicherte Leistungen aus ihrer Berufsunfähigkeitsversicherung. Sie sei aufgrund eines Bandscheibenvorfalles bedingungsgemäß berufsunfähig geworden. Im Rahmen der Leistungsprüfung ergab sich für den Versicherer, dass die Versicherte bereits vor Abschluss des Versicherungsvertrages wegen Myalgien und Wirbelsäulensyndromen ärztlich vorstellig geworden sei. Deshalb erklärte der Versicherer im September 2011 die Anfechtung des Versicherungsvertrages (siehe dazu: Die Anfechtung durch die Berufsunfähigkeitsversicherung) wegen arglistiger Täuschung.
Die Versicherte hingegen ist der Meinung, dass sie nicht arglistig getäuscht habe. Die vorhandenen Beschwerden seien weder chronisch noch erheblich gewesen. Eine ärztliche Konsultation sei nur ein einziges Mal erfolgt. Die bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit ergebe sich auch daraus, dass sie aufgrund ihrer Bandscheibenvorfälle keine Tätigkeiten mehr ausüben könne, die langes sitzen, stehen Lasten heben, Bücken oder ähnliches umfassen. Deshalb habe sie bereits 2001 ihrer fast dreißig Jahre lang ausgeübten Tätigkeit den Rücken gekehrt und stattdessen wöchentlich 2,5 Stunden als Nagelstylistin gearbeitet. Dazu sei sie knapp 24 Stunden wöchentlich im eigenen Haushalt tätig. Doch auch diese Tätigkeit sei ihr aufgrund der Rückenleiden seit 2007 nicht mehr möglich gewesen. Deshalb beantrage sie Leistungen aus der Berufsunfähigkeitszusatzversicherung.
Nach erfolgloser Klage vor dem LG Saarbrücken hatte nun das OLG Saarbrücken als Berufungsgericht über diese Angelegenheit zu entscheiden.
Das OLG befasste sich zunächst damit, auf welche Tätigkeit hinsichtlich eines etwaigen Anspruches der Versicherten vorliegend abzustellen sei. Denn der Prüfung zugrunde zu legen ist grundsätzlich die letzte berufliche Tätigkeit in gesunden Tagen. Diese sei hier die kombinierte Tätigkeit bestehend aus Nageldesign und Haushaltstätigkeit. Auf die als kaufmännische Angestellte ausgeübte Tätigkeit sei hingegen nicht abzustellen.
Die selbstständige Tätigkeit als Nageldesignerin sei zweifelsohne ein Beruf im Sinne des Rechts der Berufsunfähigkeitsversicherung. Doch auch die Haushalttätigkeit sei darunter zu fassen. Denn Beruf sei jede Tätigkeit, die auf Dauer angelegt ist und die der Schaffung oder Erhaltung einer Lebensgrundlage zu dienen bestimmt ist.
Hier sei die Übernahme der Haushaltstätigkeit aufgrund einer bewussten beruflichen Entscheidung getroffen worden. Unter Aufgabe des bisherigen Berufes solle der Beitrag zum Lebensunterhalt von Familie oder Partnerschaft dauerhaft angelegt durch Haushaltstätigkeiten erbracht werden.
Dadurch, dass die Versicherte nach dem Ausscheiden aus dem Unternehmen und Meldung als Arbeitslos noch eine Ausbildung als Nagelstylistin machte und in diesem Beruf in geringfügigen Umfang tätig war, sei sie nicht vollständig aus dem Berufsleben ausgeschieden. Jedoch solle der maßgebliche Teil des Beitrags am Familieneinkommen durch Hausarbeit erbracht werden. Schon der gesellschaftliche Wert von Haushaltstätigkeiten gebiete es, sie in den Schutzbereich der Berufsunfähigkeitsversicherungen einzubeziehen und einen versicherbaren Beruf anzunehmen. Es stelle eine unverhältnismäßige Benachteiligung dar, würden Haushaltstätigkeiten in diesen nicht einbezogen. Die Haushaltstätigkeit sei demnach ein für die Leistungsprüfung der Berufsunfähigkeitsversicherung maßgeblicher Beruf.
Die Hamburger Kanzlei Jöhnke & Reichow unterstützt Versicherte bundesweit bei der Geltendmachung von Leistungen aus der Berufsunfähigkeitsversicherung. Unsere Rechtsanwälte unterstützen Sie dabei, zu Ihrem Recht zu kommen und stehen Ihnen zunächst gerne für einen kostenfreien Erstkontakt zur Verfügung.
An welchen Beruf genau anzuknüpfen sei, hänge jedoch auch stark davon ab, ob ein leidensbedingter Berufswechsel stattfand oder nicht (siehe auch: Nachweis eines leidensbedingten Berufswechsels in der Berufsunfähigkeitsversicherung).
Bei einem leidensbedingten Berufswechsel werde das Maß der beruflichen Tätigkeit aus gesundheitlich erforderlichen Gründen nach und nach heruntergefahren oder angepasst. Dies führe dazu, dass nicht an die zuletzt ausgeübte Tätigkeit, sondern an die zuletzt „in gesunden Tagen“ ausgeübte Tätigkeit anzuknüpfen sei (siehe auch: Verminderte Leistungsfähigkeit bei Berufsunfähigkeit als Normalzustand des Versicherten?). Denn ansonsten könne es passieren, dass bei langsam fortschreitenden Krankheiten der Versicherungsfall nicht mehr eintreten würde.
Berufswechsel, die nicht leidensbedingt erfolgten, sei eine solche Anknüpfung jedoch zu versagen. Es komme dann mangels Schutzwürdigkeit nur auf die tatsächlich zuletzt ausgeübte Tätigkeit an.
Die Versicherte habe hier keinen leidensbedingten Berufswechsel vollzogen, vielmehr geschah dieser Berufswechsel freiwillig. Denn sie habe selbst vorgetragen, dass es ihr nach Auftreten ihrer Wirbelsäulenerkrankung noch möglich gewesen wäre, die kaufmännische Tätigkeit in einem den Versicherungsfall ausschließenden Umfang auszuüben. Der Wechsel auf die Haushaltstätigkeit und das Nageldesign beruhte vielmehr auf einem bewussten Entschluss, die Art und Weise der Bestreitung des Lebensunterhaltes zu Ändern. Die neue Tätigkeit, welche immerhin acht Jahre ausgeübt worden sei, habe auch hinsichtlich der Fähigkeiten nur noch wenig mit der damaligen Tätigkeit zu tun. Die Haushaltstätigkeit vermöge den bisherigen beruflichen Status der Versicherten nicht weiterhin zu prägen. Mangels leidensbedingten Berufswechsels sei somit auf die neue Tätigkeit im Haushalt abzustellen.
Jedoch bestehe ein Anspruch auf Leistung aus der Berufsunfähigkeitsversicherung gleichwohl nicht. Denn die Versicherte habe nicht hinreichend dargelegt, dass sie in diesem Beruf zu mindestens 50 Prozent berufsunfähig geworden sei. Abgesehen davon sei die Anfechtung des Versicherungsvertrages durch den Versicherer wirksam gewesen, sodass schon deshalb ein Leistungsanspruch ausscheiden müsse.
Zu diesem Thema ist auch ein weiterführender Artikel interessant: Aufgabe des Berufs wegen Haushaltstätigkeit im Erziehungsurlaub?
Bei der Prüfung eines Antrages auf Leistung aus der Berufsunfähigkeitsversicherung muss der Versicherer auf einen bestimmten Beruf abstellen. Dies kann unter Umständen schwierig werden, wenn ein Wechsel des Berufes zu reiner Haushaltstätigkeit stattgefunden hat.
Grundsätzlich erkennt die Rechtsprechung Haushaltstätigkeiten als versicherten Beruf an. Denn derjenige, der den Haushalt führt, trägt auf diese Art und Weise zum Familienleben bei und soll nicht schlechter gestellt werden, als wenn die Tätigkeit einen „klassischen“ Beruf darstellen würde. Ein weiteres Kriterium stellt zudem der Grund des Berufswechsels dar. Resultierte der Wechsel in die Haushaltstätigkeit aufgrund zwingender gesundheitlicher Gründe, so ist grundsätzlich auf den zuvor ausgeübten Beruf abzustellen. Entscheidet sich die versicherte Person jedoch aus intrinsischen Motiven zu einem Wechsel in die reine Haushaltstätigkeit, so ist die Haushaltstätigkeit als Beruf bei der Antragsprüfung zugrunde zu legen.
Eine interessante Zusammenfassung zu diesem Thema ist nachstehend zu finden: „Hausarbeit als Beruf in der Berufsunfähigkeitsversicherung?“. Weitere interessante Artikel zum Thema Berufsunfähigkeit sind nachfolgend zu finden: „Berufsunfähigkeitsversicherung“.
Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke ist Partner der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte und seit 2017 Fachanwalt für Versicherungsrecht. Während seiner Anwaltstätigkeit hat er bereits eine Vielzahl von gerichtlichen Verfahren im Versicherungsrecht geführt und erfolgreich für die Rechte von Versicherungsnehmern gestritten.
Mit unserer Kompetenz streiten wir ehrgeizig für Ihr Ziel, nämlich Ihre Interessen durchzusetzen! Wir freuen uns, dass unsere Mandanten-/-innen unser Engagement schätzen und positiv bewerten.
Verpassen Sie auch zukünftig keinen Beitrag unserer Kanzlei. Über unseren 2mal monatlich erscheinenden Newsletter erhalten Sie stets die aktuellen Beiträge unserer Kanzlei zu den Themen Versicherungsrecht, Bank- und Kapitalmarktrecht, Vertriebsrecht, Handelsvertreterrecht und Wettbewerbsrecht. Wir freuen uns auf Ihre Anmeldung.