Das OLG Düsseldorf hatte sich mit Urteil vom 31.08.1999 (Az.: 4 U 168/98) mit der Frage der Leistungsfreiheit eines Lebensversicherers nach einem Suizid eines alkoholisierten Versicherten zu befassen. Fraglich war dabei, ob der Versicherte so stark alkoholisiert war, dass er den Suizid in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter geistiger Störung begangen hat.
Der Versicherte unterhielt bei der Versicherungsgesellschaft eine Lebensversicherung. In den allgemeinen Versicherungsbedingungen wurde vereinbart, dass der Versicherer leistungsfrei ist, falls sich der Versicherte vor Ablauf von drei Jahren nach Vertragsabschluss suizidiert.
Der Versicherte beging innerhalb dieser Karenzzeit Suizid mittels einer Schusswaffe. Zum Zeitpunkt der Tat wies das Blut des Versicherten einen BAK von fast 3 Promille auf. Nach Aussagen der Familie war der Versicherte des Öfteren alkoholisiert. Ungefähr eine halbe Stunde vor seiner Tat verfasste der Versicherte einen klar gefassten Abschiedsbrief.
Der Versicherer berief sich nunmehr auf Leistungsfreiheit aufgrund der vorsätzlichen Selbsttötung innerhalb der Karenzzeit. Die bezugsberechtigten Hinterbliebenen gehen jedoch von einer Leistungspflicht aus, da sich der Versicherte aufgrund der starken Alkoholisierung zum Zeitpunkt der Tat in einem die freie Willensbildung ausschließenden Geisteszustand befunden habe. Nach § 169 S. 2 VVG a.F. hätte in diesem Fall auch bei einem Suizid des Versicherten innerhalb der Karenzzeit die Leistungspflicht des Versicherers fortbestanden.
Das OLG Düsseldorf ging von einem die freie Willensbildung ausschließenden Geisteszustand gem. § 169 S. 2 VVG a.F. aufgrund des BAK aus.
Dem beauftragten Gutachter zufolge habe sich der Versicherte mit einem BAK von fast 3 Promille in einem Zustand schwerer Alkoholintoxikation befunden. Dieser Zustand rechtfertige sogar die Annahme einer exogenen Psychose. Dass teilweise noch scheinbar vernünftige und rational nachvollziehbare Äußerungen vom Versicherten getroffen werden konnten, sei zwar wahrscheinlich. Dennoch sei bei einem derartigen BAK sicher, dass die Steuerungsfähigkeit der eigenen Affekte und der daraus resultierenden Handlungen nicht mehr kontrollierbar gewesen sei. Eine eigenverantwortliche Kontrolle des eigenen Willens sei für den Versicherten nicht mehr möglich gewesen.
Dies sei auch nicht anders zu bewerten, weil der Versicherte einen gewissen Alkoholkonsum gewohnt war. Das ließe sich bereits daraus schließen, dass sich der Versicherte überhaupt auf einen derartigen Pegel habe bringen können. Durch diese Gewöhnung sei zu erklären, dass der Versicherte eine halbe Stunde vor dem Suizid eine halbwegs geordnete Gedankenführung zu Papier habe bringen können. Dies schließe eine nicht mehr kontrollierbare Steuerungsfähigkeit jedoch nicht aus, da der Versicherte bereits vorgefasste Gedanken zu Papier gebracht haben könne, bevor er sich im alkoholisierten Zustand das Leben nahm. Der leserliche und sinnhafte Abschiedsbrief sei allein jedenfalls nicht geeignet, eine freie Willensbildung des Versicherten trotz des BAK anzunehmen.
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Das Vorliegen eines die freiwillige Willensbildung ausschließenden Zustandes sei auch nicht ausgeschlossen, weil der Versicherte seinen Suizid plante und eine Schusswaffe gehabt habe. Zum einen habe ein Freund des Versicherten ihm die Waffe zum Kauf angeboten. Eine aktive Bemühung um die Besorgung einer Schusswaffe habe demnach nicht stattgefunden. Auch sei die Waffe nicht im Haus des Versicherten gelagert worden, sondern außerhalb. Dies spreche gegen die weitreichende Planung eines Suizids. Auf die Planung im Vorfeld komme es hinsichtlich des Geisteszustandes jedoch gar nicht an.
Es komme allein auf den Geisteszustand zum konkreten Zeitpunkt der Tat an. Die Planung eines Suizids, indem eine Waffe besorgt und ein Abschiedsbrief geschrieben werde, schließe jedoch nicht aus, dass zum konkreten Zeitpunkt des Suizids ein die freie Willensbildung ausschließender Zustand vorgelegen habe.
Auch die Tatsache, dass der Versicherte trotz seines BAK eine Schusswaffe habe bedienen können, stehe einem einschlägigen Geisteszustand nicht entgegen. Denn der Versicherte sei Mitglied im örtlichen Schützenverein gewesen und somit im Umgang mit Schusswaffen versiert gewesen. Ebenso wie das Verfassen eines Briefes schließe die Fähigkeit, eine bekannte und gewohnte Waffe auch mit einem BAK von 3 Promille zu bedienen, die Annahme eines die freie Willensbildung ausschließenden Zustandes krankhafter geistiger Störung nicht aus.
Für die Annahme einer gestörten Geistestätigkeit spreche zudem, dass im Normalfall bei einem BAK von 3 Promille regelmäßig vom Vorliegen eines Vollrausches und einer Schuldunfähigkeit ausgegangen werde. Dem OLG Düsseldorf nach liegen nicht genug Indizien vor, die die Annahme einer Geistestätigkeit rechtfertigen, welche noch Raum für einen freien Willensentschluss lasse. Somit greife der Ausnahmetatbestand des § 169 Abs. 2 VVG a.F. und der Versicherer bleibe trotz Suizids vor Ablauf der Karenzzeit zur Leistung verpflichtet.
Begeht der Versicherte innerhalb der Karenzzeit Suizid, so kann der Versicherer trotzdem zur Leistung verpflichtet bleiben, falls sich der Versicherte in einem die freie Willensbildung ausschließenden Zustandes krankhafter geistiger Störung befindet. Ein solcher Zustand kann auch bei einer Alkoholintoxikation vorliegen. Entscheidend ist jedoch das Ausmaß der Alkoholisierung. Nicht jeder Alkoholkonsum führt also dazu, dass ein die freie Willensbildung ausschließender Zustand krankhafter geistiger Störung vorläge (siehe auch Vorsätzliche Selbsttötung bei Tablettenüberdosis und Alkohol (OLG Düsseldorf)).
Es ist jedenfalls immer das Einzelfallgeschehen unter Berücksichtigung sämtlicher relevanter Umstände zu betrachten. Verweigert die Lebensversicherung bezugsberechtigten Personen die Leistung, kann es sich daher durchaus empfehlen einen im Versicherungsrecht spezialisierten Rechtsanwalt hinzuzuziehen. Weitere interessante Beiträge zum Thema finden sie hier: „Zahlt die Lebensversicherung nach einem Suizid?“
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