Selbstmordabsicht bei aufgesetztem Kopfschuss (OLG Hamm)

Das OLG Hamm (OLG Hamm, Urteil vom 22.09.1995 – Az. 20 U 77/95) hatte sich mit der Frage zu befassen, ob bei einem aufgesetzten Kopfschuss auf eine Selbstmordabsicht des Versicherten geschlussfolgert werden kann.

Selbstmord durch aufgesetzten Kopfschuss?

Der Versicherte unterhielt zwei Unfallversicherungen beim Versicherer. Bei einem Suizidversuch sahen die Versicherungsbedingungen eine Leistungsfreiheit des Versicherers vor.

Im November 1992 schoss sich der Versicherte mit einer Pistole in die Schläfe. Der Arbeitskollege, den der Versicherte selbst über den Vorfall informierte, rief Polizei und Notarzt. Durch den Notarzt erfolgte die erste Versorgung. Die weitere Behandlung erfolgte dann im Krankenhaus. Der Versicherte überlebte den Vorfall.

Der Versicherte gab später an, dass sich der Schuss versehentlich gelöst habe und er keine Selbstmordabsicht gehabt hätte. Die Polizei ging jedoch von einem Suizidversuch aus. Der Versicherer verweigerte daraufhin die Leistung aus der Unfallversicherung.

Aufgesetzter Kopfschuss als Indiz für Selbstmordabsicht

Aufgrund der Umstände ging das OLG Hamm von einer Selbstmordabsicht des Versicherten und mithin von einem Suizidversuch aus. Die ärztliche Dokumentation legte offen, dass Ein- und Austrittsloch der Kugel eine ausgefranste Struktur aufwies. Laut Sachverständigem trete eine solche Struktur immer dann auf, wenn es sich um einen aufgesetzten Schuss handle, der Lauf der Waffe also direkt den Körper berühre.

Indizien für Selbstmordabsicht

Die Tatsache, dass der Versicherte die Waffe in einer derartigen Position auf sich selbst gerichtet haben muss, spreche gegen ein unfallartiges Ereignis und für eine Selbstmordabsicht. Die Ausrichtung einer Waffe in eine solch offensichtlich gefährliche Position, in welcher sich dann noch zufällig ein Schuss gelöst habe, sei kaum vorstellbar.

Weiterhin spreche für einen Suizidversuch, dass der Versicherte im Laufe der Ermittlungen immer wieder wechselhafte Darstellungen hinsichtlich des vermeintlichen Unfallherganges machte. So habe er beim Hantieren mit der Waffe das Magazin mal einmalig, dann wieder mehrmals ein- und wieder ausgeführt. Die Aussagen seien von einer auffälligen Inkongruenz geprägt.

Hinzu kommt, dass die Söhne des Versicherten der Polizei gegenüber äußerten, dass der Vater mit der Trennung von seiner Ehefrau nicht zurechtkomme und dies ein Grund für den Vorfall hätte sein können.

Die objektiv festgestellte Position der Waffe, zusammen mit den widersprüchlichen Aussagen und den privaten Umständen des Versicherten seien dazu geeignet, den Schluss auf einen Suizidversuch zu ziehen. Umstände, die den ernsthaften Schluss auf einen Unfallhergang zuließen, seien nicht in ausreichender Fülle vorhanden, sodass von einem Suizidversuch ausgegangen werden muss.

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Gegenargumente überzeugen nicht

Gegen diesen einen Suizidversuch spreche auch nicht die Tatsache, dass im Krankenhaus, welches den Versicherten direkt nach dem Vorfall behandelte, keine Schmauchspuren dokumentiert wurden, welche bei einem aufgesetzten Kopfschuss typischerweise auftreten. Die Dokumentation der Verletzungen durch das Krankenhaus waren nämlich in mangelhaft gewesen, sodass die fehlende Dokumentation der Schmauchspuren keineswegs dafürspräche, dass diese nicht da gewesen seien.

Deshalb sei einzig dem Gutachten der Gerichtsmedizin Bedeutung beizumessen. Dieses habe durch bildgebende Verfahren eindeutig ergeben, dass es sich um einen aufgesetzten Schuss gehandelt habe, welcher im Zusammenhang mit den weiteren Umständen eine Indizwirkung entfalte.

Auch dass der Versicherte dem unmittelbar nach dem Vorfall angerufenen Arbeitskollegen gegenüber noch nie Suizidabsichten äußerte, schließe eine Suizidversuch nicht aus. Eine fehlende Äußerung könne noch nicht auf eine fehlende Selbstmordabsicht sprechen. Vielmehr sei die Schlussfolgerung, dass es sich um einen Suizidversuch gehandelt habe, aufgrund objektiver und wissenschaftlicher Kriterien gezogen worden. Diese haben ein so großes Gewicht, dass sie wechselhafte Angaben, unübersichtliche Dokumentationen und fehlende Äußerungen zu überwiegen vermögen. Die Position der Waffe, in welcher sich der Schuss gelöst habe, sei zu eindeutig, um eine Selbstmordabsicht zu verleugnen. Der Versicherer war daher nach Ansicht des OLG Hamm nicht zu einer Leistung verpflichtet.

Fazit

Bei einem gutachterlich festgestellten aufgesetzten Kopfschuss liegt der Schluss auf ein vorsätzliches Geschehen so nahe, dass es gewichtige Umstände braucht, die diese Vermutung entkräften können (so auch OLG Celle – siehe Vorsätzliche Selbsttötung eines Jägers durch Jagdgewehr?). Macht der Versicherte dazu noch unzuverlässige Angaben und liegt eine nur mangelhafte Dokumentation der Verletzungen direkt nach dem Vorfall vor, wird sich noch mehr auf objektive Gutachten gestützt werden.

Es ist aber immer das Einzelfallgeschehen unter Berücksichtigung sämtlicher relevanter Umstände zu betrachten. Verweigert die Lebensversicherung bezugsberechtigten Personen die Leistung, kann es sich daher durchaus empfehlen einen im Versicherungsrecht spezialisierten Rechtsanwalt hinzuzuziehen. Weitere interessante Beiträge zum Thema finden sie hier: „Zahlt die Lebensversicherung nach einem Suizid?

Zum Autor: Rechtsanwalt Jens Reichow

Rechtsanwalt Reichow ist Partner der Hamburger Kanzlei Jöhnke & Reichow. Er betreut vor allem Verfahren im Versicherungsrecht, zur Haftung von Versicherungsvermittlern und Streitigkeiten aus dem Handelsvertreterrecht. Nähere Angaben zu Jens Reichow finden Sie unter folgendem Anwaltsprofil:

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Rechtsanwalt Jens Reichow berichtet über Urteil zum Nachweis der Selbstmordabsicht bei aufgesetztem Kopfschuss.

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