Anscheinsbeweis bei Suizid? 

Der Bundesgerichtshof (BGH, Urteil vom 18.03.1987 – Az.: IVa ZR 205/85) hatte die Frage zu klären, ob ein Versicherer den Nachweis eines Suizids durch eine Schusswaffe auch mittels eines Anscheinsbeweises erbringen kann. Beim Anscheinsbeweis wird der Beweis bereits dadurch erbracht, dass typische Geschehensabläufe nach der Lebenserfahrung zu einem bestimmten Ergebnis führen und nicht weiter bewiesen werden müssen. Die Beweisanforderungen sind bei einem Anscheinsbeweis also deutlich verringert. Da ein Suizid die Leistungspflicht in der Lebensversicherung stark beschränken kann, kann die Frage, ob die Regeln des Anscheinsbeweises bei einem Suizid durch eine Schusswaffe anwendbar sind, daher von entscheidender Bedeutung sein.

Tod durch Schusswaffe

1964 schloss der Versicherte eine Unfallversicherung bei der Versicherungsgesellschaft ab. Diese Verpflichtete den Versicherer, im Falle des unfallbedingten Todes eine Summe von 15.000 DM an die Erben des Versicherten auszuzahlen.

Im Juni 1983 verstarb der Versicherte an den Folgen eines selbst verursachten Schusses mit einem Kleinkaliber in die Herzgegend. Die Erben des Versicherten begehrten sodann vom Versicherer die Auszahlung der Summe aus der Unfallversicherung.

Diese verweigerte die Auszahlung jedoch mit der Begründung, dass der Versicherte mit der Schusswaffe einen Suizid begangen habe und keinen unfallbedingten Tod erlitten habe. Deshalb bestehe keine Leistungspflicht.

Nachdem die vorigen Instanzen dem Begehren der Erben des Versicherten stattgaben, hatte nun der BGH über den Sachverhalt zu entscheiden.

Anscheinsbeweis bei Tod durch Schusswaffe?

Das Berufungsgericht war der Meinung, dass die zum Zeitpunkt des Geschehens noch geltende gesetzlich geregelte Vermutung der Unfreiwilligkeit aus § 180a VVG a.F. nicht dadurch widerlegt worden sei, dass der Versicherte den Schuss selbst ausgelöst habe. Zwar deute die Tatsache, dass der Versicherte mit der Waffe vertraut war darauf hin, dass es sich um einen Suizid gehandelt haben könnte. Jedoch sei die Waffe recht empfindlich und es könne nicht ausgeschlossen werden, dass es sich nicht doch um einen Unfall beim Reinigen der Waffe gehandelt habe. Die Umstände, dass zwar die Waffe eindeutig auf sich selbst gerichtet wurde, jedoch auch leicht aus Unachtsamkeit versehentlich betätigt werden könne, führe nicht zu einer so eindeutigen Wertung, dass die gesetzliche Vermutung eines Unfalles entkräftet werden könne.  Die Anwendung der Regeln über den Anscheinsbeweis hielt das Berufungsgericht daher nicht für angängig. Hiergegen richtete sich die Revision.

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Kein Anscheinsbeweis bei Suizid

Der BGH verneinte die Möglichkeit der Anwendung der Regeln des Anscheinsbeweises bei einem Suizid. Denn bei der Frage, ob es sich um eine Selbsttötung oder um einen Unfall gehandelt habe, gehe es um die Bewertung des individuellen Willensentschlusses. Der Anscheinsbeweis solle jedoch bloß in Fällen zum Tragen kommen, deren Abläufe so häufig wiederkehrend und dadurch gewöhnlich sind, dass sich auf die Handlung oder die Geschehnisse typischerweise und standardmäßig ein bestimmtes Ergebnis zeigt, sodass etwaige individuelle Umstände vernachlässigbar seien. Von einer solchen gewöhnlichen Situation kann beim Tod eines Menschen naturgemäß nicht die Rede sein. Gerade wenn der Tod durch diesen selbst verursacht wurde, sei die Gesamtsituation von solch zahlreichen individuellen Faktoren und Rahmenbedingungen geprägt, dass sich eine Standardisierung grundsätzlich verbiete. Denn der Entschluss eines Menschen sich selbst zu töten, hängt untrennbar mit der Persönlichkeit, der Lebenssituation, den Sozialkontakten usw. zusammen, dass eine identische und sich wiederholende Situation kaum denkbar sei.

Der Bundesgerichtshof betonte jedoch, dass es durchaus Todesumständen gäbe, die nicht den kleinsten Raum für Zweifel hergeben, dass es sich um einen Suizid des Versicherten gehandelt habe. Liegen derart eindeutige Umstände vor, sei ein Rückgriff auf den Anscheinsbeweis jedoch gar nicht notwendig. Denn dann sei es dem Richter auch ohne eine derartige Beweiserleichterung möglich, die gesetzliche Unfallvermutung zu widerlegen. Dafür sei nicht notwendig, dass jeglicher Zweifel restlos ausgeschlossen werden könne. Es genüge ein Grad der Gewissheit, der geeignet ist, den größten Teil der bestehenden Zweifel auszuschließen vermag, ohne dass sie restlos beseitigt werden müssten. Im Falle des Suizids bleibe für die Anwendung der Regeln des Anscheinsbeweises demnach kein Raum mehr.

Fazit

Der BGH hat in seinem Urteil entschieden, dass die Beweiserleichterungsregel des Anscheinsbeweises in Fällen, in denen es um Suizid geht, nicht zum Zuge kommt. Denn dafür stellen sich die Umstände einer solchen Selbsttötung als viel zu individuell dar. Ein logischer Rückschluss kann deshalb nicht gezogen werden. Aus Sicht der Hinterbliebenen ist die Entscheidung des Bundesgerichtshofs daher zu begrüßen. Beruft sich der Versicherer auf eine Leistungsfreiheit wegen Suizid des Versicherten, so trifft ihn hierfür die volle Beweislast.

Allerdings ist nochmals zu betonen, dass nichtsdestotrotz es auch ohne Beweiserleichterungen zu solch eindeutigen Sachverhalten kommen kann, dass verbleibende Zweifel an einem Suizid des Versicherten ausgeräumt oder zumindest überwiegend entkräftet werden. Einen solchen Fall hatte beispielsweise das OLG Celle zu bewerten (siehe Vorsätzliche Selbsttötung eines Jägers durch Jagdgewehr?).

Es ist aber immer das Einzelfallgeschehen unter Berücksichtigung sämtlicher relevanter Umstände zu betrachten. Verweigert die Lebensversicherung bezugsberechtigten Personen die Leistung, kann es sich daher durchaus empfehlen einen im Versicherungsrecht spezialisierten Rechtsanwalt hinzuzuziehen. Weitere interessante Beiträge zum Thema finden sie hier: „Zahlt die Lebensversicherung nach einem Suizid?

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Zum Autor: Rechtsanwalt Jens Reichow

Rechtsanwalt Reichow ist Partner der Hamburger Kanzlei Jöhnke & Reichow. Er betreut vor allem Verfahren im Versicherungsrecht, zur Haftung von Versicherungsvermittlern und Streitigkeiten aus dem Handelsvertreterrecht. Nähere Angaben zu Jens Reichow finden Sie unter folgendem Anwaltsprofil:

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