Vorsätzliche Selbsttötung bei Tod eines Jägers durch Jagdgewehr? (OLG Celle)

Das OLG Celle (OLG Celle, Urteil vom 08.06.1984 – Az. 8 U 211/83) hatte sich mit folgender Frage zu befassen: Kann bei dem Tod eines Jägers durch ein Jagdgewehr auf eine vorsätzliche Selbsttötung geschlossen werden und in dessen Folgen kein Anspruch auf Zahlung der Todesfallsumme bestehen?

Tod durch Jagdgewehr

Der Versicherungsnehmer war Jäger und hatte in dem Fall des OLG Celle eine Lebens- und Unfallversicherung abgeschlossen. In dem Versicherungsschein von Januar 1980 wurde als Versicherungsbeginn der 01.12.1979 genannt. Am 21.12.1982 starb der Versicherungsnehmer an einem Kopfschuss. Diesen Kopfschuss fügte sich der Versicherungsnehmer im Büro, in Anwesenheit eines Angestellten und ohne Einwirkung Dritter mit einem ihm gehörenden Jagdgewehr zu.

Die Bezugsberechtigte begehrte daraufhin die Zahlung der Todesfallleistung. Der Versicherer verweigerte die Leistung hingegen mit der Argumentation, dass nach ihrem Dafürhalten eine nicht versicherte vorsätzliche Selbsttötung vorläge.

Vorsätzliche Selbsttötung oder Unfall?

Für das Bestehen des geltend gemachten Anspruches kam es maßgeblich darauf an, ob der Kopfschuss mit dem Jagdgewehr als Suizid oder als Unfall einzustufen war.  Die Bezugsberechtigte ging dabei von einem Unfall aus. Nach ihren Angaben sei dem Versicherungsnehmer beim Kontrollieren des Laufs entgangen, dass dieser entsichert gewesen sei. Nachdem er versehentlich an den Abzug gekommen sei, habe sich eine Kugel gelöst. Eine vorsätzliche Selbsttötung sei daher nicht anzunehmen, da der Versicherungsnehmer weder private noch geschäftliche Probleme gehabt hätte. Zudem hätten die Weihnachtsfeiertage kurz vor der Tür gestanden. Ebenfalls wäre die Karenzzeit bald ablaufen, sodass sich kein Motiv für einen Suizid beim Versicherungsnehmer finden würde. Eine vorsätzliche Selbsttötung im Beisein eines Angestellten sei zudem wohl kaum anzunehmen.

Der Versicherer war hingegen der Meinung, dass ein Unfall ausgeschlossen sei. Das Jagdgewehr dieses Typs sei nicht durch leichte Unaufmerksamkeit auszulösen gewesen. Zudem sei der Versicherungsnehmer seit 1976 Jäger gewesen und somit im Umgang mit Schusswaffen versiert. Weiterhin spräche für eine absichtliche Selbsttötung, dass der Versicherungsnehmer erheblich überschuldet gewesen sei und kurz vor seinem Tod noch weitere Unfall- und Lebensversicherungen bei anderen Versicherern abschloss. Die Anwesenheit des Mitarbeiters sei nur dazu da gewesen, um den Hergang als zufällig und unverdächtig erscheinen zu lassen.

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Beweiswürdigung des OLG Celle

Nachdem das Landgericht Celle den Versicherer zur Leistung verurteilte, legte der Versicherer beim OLG Celle Berufung ein.  Das OLG Celle schloss danach einen zufälligen Unfalltod aus. Denn für einen Unfall müsse der Versicherte eine unfreiwillige Gesundheitsschädigung erlitten haben. Dies sei hier nicht der Fall.

Das OLG Celle führt aus, dass, selbst wenn das Jagdgewehr entsichert gewesen wäre, auf den Abzug eine Kraft von 2,2 kg hätte ausgeübt worden sein müssen, um auszulösen. Mit Vorrichtungen, die das Verreißen des Jagdgewehrs verhindern sollen („Stecher“), könne die notwendige Kraft auf maximal 0,7 kg herabgesetzt werden. Auch diese herabgesetzte Kraft könne jedoch nicht durch bloß unabsichtliches Berühren des Abzuges aufgebracht werden.

Zudem sei es aufgrund der Erfahrung des Versicherungsnehmers als Jäger im Umgang mit Waffen so gut wie ausgeschlossen, dass der die Kraft herabsetzende „Stecher“ unbeabsichtigt vom Versicherungsnehmer angebracht worden sei. Noch unwahrscheinlicher sei es, dass ein versierter Jäger eine Waffe außerhalb des Jagdreviers prüfe, während er den langen Lauf einer Flinte mit der Mündung auf seinen Kopf gerichtet hielt. Dass das Jagdgewehr zudem noch entsichert und eingestochen sei, widerspräche den Regeln der jägerlichen Sorgfalt in so hohem Maße, dass eine unabsichtliche Außerachtlassung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden könne.

Auch die Anwesenheit des Angestellten wertete das OLG Celle eher als Versuch der Herstellung einer authentischen Szenerie als dem bloßen Zufall. Auch die Vielzahl von Versicherungsanträgen vor dem Tod des Jägers stellen ein weiteres Glied in der Kette unglücklicher Umstände dar, die als Ganzes kein bloßes Zufallsprodukt mehr darstellen könne, sondern absichtlich so geschmiedet wurde.

Suizid innerhalb der Karenzzeit

Nach Ansicht des OLG Celle erfolgte der Suizid des Versicherungsnehmers auch innerhalb der dreijährigen Karenzzeit. Für die Berechnung der Karenzzeit kam es nach Ansicht des OLG Celle nicht auf den im Versicherungsschein genannten Versicherungsbeginn (01.12.1979) an. Entscheidend sei vielmehr das tatsächliche Zustandekommen des Lebensversicherungsvertrages. In dem vorliegenden Fall kam der Versicherungsvertrag jedoch erst mit Übersendung des Versicherungsscheins im Januar 1980 wirksam zustande. Daher konnte die Karenzzeit nicht vor Januar 1980 zu laufen begonnen haben. Da sich der Versicherungsnehmer jedoch bereits im Dezember 1982 suizidierte, sei die Karenzzeit noch nicht abgelaufen und der Versicherer leistungsfrei.

Fazit

Ob der Tod durch eine vorsätzliche Selbsttötung oder durch einen Unfall geschah, ist oftmals nur sehr schwer zu bestimmen. Bestimmte Umstände können jedoch darauf hindeuten, dass eine vorsätzliche Selbsttötung vorliegt. Wie das Urteil des OLG Celle zeigt, können solche Umstände im Zusammenhang mit Schusswaffen beispielsweise die Erfahrung in der Handhabe mit solchen Waffen sein, aber auch die technischen Daten und Abmessungen der konkreten Waffe. Es ist jedenfalls immer das Einzelfallgeschehen unter Berücksichtigung sämtlicher relevanter Umstände zu betrachten. Verweigert die Lebensversicherung bezugsberechtigten Personen die Leistung, kann es sich daher durchaus empfehlen, einen im Versicherungsrecht spezialisierten Rechtsanwalt hinzuzuziehen. Weitere interessante Beiträge zum Thema finden sie hier: „Zahlt die Lebensversicherung nach einem Suizid?

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Zum Autor: Rechtsanwalt Jens Reichow

Rechtsanwalt Reichow ist Partner der Hamburger Kanzlei Jöhnke & Reichow. Er betreut vor allem Verfahren im Versicherungsrecht, zur Haftung von Versicherungsvermittlern und Streitigkeiten aus dem Handelsvertreterrecht. Nähere Angaben zu Jens Reichow finden Sie unter folgendem Anwaltsprofil:

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