Bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit bei Mammakarzinom? (OLG Dresden)

Führt ein Mammakarzinom zur Prognose einer bedingungsgemäßen Berufsunfähigkeit? Versicherungsnehmerinnen, bei denen ein Mammakarzinom diagnostiziert wurde, können vor der Frage stehen, ob die Diagnose zum Eintritt einer dauerhaften bedingungsgemäßen Berufsunfähigkeit führen kann. Um diese Frage geht es in dem Beschluss des OLG Dresden. Das Gericht musste darüber befinden, wie die Versicherungsbedingungen auszulegen sind und ob eine Berufsunfähigkeit dauerhaft sein muss, um eine Leistung begründen zu können. Weiterhin ging es um die Frage, ob ein diagnostiziertes Mammakarzinom das Erfordernis dieser Dauerhaftigkeit erfüllt (OLG Dresden, Beschl. v. 12.10.2022 – 4 U 673/22).

Berufsunfähigkeit bei Mammakarzinom

Die Versicherungsnehmerin hat über ihren Arbeitgeber Anwartschaften für den Fall einer bedingungsgemäßen Berufsunfähigkeit gegen den Versicherer erworben. Im Dezember 2017 wurde die Versicherte mit einem Mammakarzinom diagnostiziert. Von diesem Zeitpunkt an war sie bis Ende September 2018 durchgehend arbeitsunfähig. Innerhalb dieses Zeitraumes erfolgten Operationen und Strahlentherapien und ein Grad der Behinderung von 50% wurde festgestellt. Mitte Juli 2018 beantragte die Versicherte bei der Versicherung Leistungen aus der Berufsunfähigkeitsrente. Ab Ende September 2018 ging die Versicherte wieder ihrer Tätigkeit als Kundenberaterin im Umfang von 35 Wochenarbeitsstunden nach.

In den Versicherungsbedingungen ist die Berufsunfähigkeit unter anderem wie folgt geregelt:

„Als berufsunfähig ist derjenige anzusehen, der durch körperliche Gebrechen oder wegen Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte unfähig ist, eine seiner Vorbildung und seiner bisherigen Tätigkeit entsprechenden Beschäftigung auszuüben. Berufsunfähigkeit ist anzunehmen, wenn die Berufsfähigkeit um mehr als die Hälfte herabgesetzt ist.“

Der Versicherer lehnte eine Leistung an die Versicherte ab, da die aus dem Mammakarzinom resultierenden Einschränkungen nicht dauerhaft seien. Die Versicherte hingegen ist der Meinung, dass es auf eine Dauerhaftigkeit der Einschränkungen mangels Erwähnung in den Versicherungsbedingungen nicht ankäme.

Das Landgericht wies die Klage der Versicherten ab. Nun äußert sich das OLG Dresden in seinem Beschluss zu dem Sachverhalt.

Prognose einer dauerhaften Berufsunfähigkeit

Die Versicherungsnehmerin war der Ansicht, dass eine bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit schon aufgrund der Schwere der Erkrankung vorläge. Dass diese Einschränkung möglicherweise nicht dauerhaft sei, stehe ihrer Ansicht nach einer Leistung nicht entgegen.

Dem erteilte das OLG Dresden übereinstimmend mit der vorherigen Instanz eine klare Absage. Zwar enthalten die Versicherungsbedingungen das Erfordernis der dauerhaften Einschränkung um mehr als 50% nicht ausdrücklich. Jedoch seien die Versicherungsbedingungen aus Sicht eines verständigen und durchschnittlichen Versicherungsnehmers zu verstehen. Bei der Auslegung käme es zudem auf den verfolgten Zweck und Sinnzusammenhang der Klauseln der Versicherungsbedingungen an, sofern diese für einen Versicherungsnehmer ohne spezielle versicherungsrechtliche Kenntnisse erkennbar gewesen seien.

Dies sei bei den vorliegenden Versicherungsbedingungen der Fall. Denn auch ohne den ausdrücklichen Hinweis auf die Notwendigkeit einer dauerhaften Einschränkung könne der Versicherungsnehmer erkennen, dass eine Leistung nicht bei jeder Erkrankung gewährt werden solle. Das ergebe sich schon daraus, dass zwischen einer Arbeitsunfähigkeit, die eine nur vorübergehende Einschränkung der Tätigkeit darstelle, und der Berufsunfähigkeit, die über eine solche Arbeitsunfähigkeit hinausgehe, unterschieden werde.

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Dauerhaftigkeit der Einschränkung auch bei Mammakarzinom

Dieses Verständnis der Versicherungsbedingungen werde dem OLG Dresden nach auch durch den Gesetzeswortlaut des § 172 II VVG getragen. Denn auch dieser definiere die Berufsunfähigkeit als eine Einschränkung, durch die der Beruf zumindest einer Prognose nach auf Dauer nicht oder nicht vollständig ausgeübt werden könne. Da der Gesetzeswortlaut also enger als die Versicherungsbedingungen sei, könne ein verständiger Versicherungsnehmer nicht davon ausgehen, dass der Versicherer zu Gunsten des Versicherungsnehmers von den gesetzlichen Regelungen abweiche.

Weiterhin sei für das Verständnis der Versicherungsbedingungen der Zweck des Versicherungsvertrages maßgeblich. Denn dieser sei dadurch charakterisiert, dass er die Versorgung im Falle von Einkommenseinbußen durch Rentenzahlungen sicherstellen soll, die aus einer dauerhaften Unfähigkeit der Berufsausübung resultiere. Vorübergehende Erkrankungen seien dagegen nicht vom Zweck einer Rentenzahlung erfasst, sondern fallen unter den Begriff der Arbeitsunfähigkeit. Auch seien die Versicherungsbedingungen entgegen der Auffassung der Versicherungsnehmerin nicht unklar gefasst. Selbst wenn dies der Fall sein sollte, werde bei Unklarheiten in vereinbarten Klauseln die gesetzliche Regelung herangezogen, welche eine Dauerhaftigkeit der Beeinträchtigung ohnehin vorsehe.

Eine solche Dauerhaftigkeit der Einschränkung sei durch die Versicherungsnehmerin nicht hinreichend dargelegt worden. Zwar werde nicht in Abrede gestellt, dass ein Mammakarzinom eine schwerwiegende Erkrankung darstelle. Jedoch rechtfertige die Diagnose Mammakarzinom noch keinen eindeutigen Schluss auf eine dauerhafte Einschränkung. Vielmehr sei oftmals eine Heilung möglich. Dass eine solche hier ausgeschlossen sei und der Beruf dauerhaft nicht mehr ausgeübt werden könne, sei nicht vorgetragen worden. Die Versicherungsnehmerin habe vielmehr ihre Tätigkeit in nicht unerheblichem Umfang wieder aufgenommen, sodass nicht ersichtlich sei, weshalb eine dauerhafte Einschränkung angenommen werden solle. Eine bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit läge ohne eine entsprechende Prognose jedenfalls nicht vor.

Fazit und Praxishinweise

Das OLG Dresden konkretisiert in seinem Beschluss die Kriterien für die Auslegung von Versicherungsbedingungen, insbesondere im Hinblick auf das Erfordernis einer dauerhaften Einschränkung. Bei der Auslegung von Vertragsbedingungen kommt es auf das Verständnis eines durchschnittlichen, verständigen Versicherungsnehmers an. Der Sinn und Zweck einer Berufsunfähigkeitsversicherung legt jedoch nahe, dass eine dauerhafte Berufsunfähigkeit Voraussetzung für eine Leistung ist, was mit dem Gesetzeswortlaut aus § 172 II VVG übereinstimmt. Auch eine schwere Erkrankung wie etwa das Mammakarzinom zieht also nicht ohne weiteres eine bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit nach sich. Betroffene müssen zumindest die Prognose haben, dauerhaft und nicht nur vorübergehend zu mindestens 50% in ihrer Berufsausübung beschränkt zu sein.

Lehnt der Versicherer eine Leistung bei einem Mammakarzinom ab, sollten Versicherte umgehend einen Fachanwalt für Versicherungsrecht konsultieren. Dieser hilft Versicherungsnehmern bei Rechtsfragen und Problemen rund um die Berufsunfähigkeitsversicherung. Einige dazu ausgewählte Artikel über erfolgreich überprüfte Leistungsanträge sind hier zu finden. Zudem gibt es noch weitere interessante Artikel zum Thema Berufsunfähigkeit.

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Zum Autor: Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke

Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke ist Partner der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte und seit 2017 Fachanwalt für Versicherungsrecht. Während seiner Anwaltstätigkeit hat er bereits eine Vielzahl von gerichtlichen Verfahren im Versicherungsrecht geführt und erfolgreich für die Rechte von Versicherungsnehmern gestritten.

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Rechtsanwalt Björn Jöhnke berichtet über Urteil zur Berufsunfähigkeit bei Mammakarzinom.

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