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Unwiderlegliche Vermutung der Dienstunfähigkeit (OLG Karlsruhe)

Die Versetzung in den Ruhestand aus gesundheitlichen Gründen kann eine unwiderlegliche Vermutung der Dienstunfähigkeit bedingen und für die Berufsunfähigkeitsversicherung verbindlich den Eintritt des Versicherungsfalls klären. Wird der Beamte in den Ruhestand versetzt, kann er unter Umständen Leistungen aus seiner privaten Dienstunfähigkeitsversicherung beanspruchen (OLG Karlsruhe, Urt. 04.03.2008 – Az. 12 U 206/07).

Briefzusteller wird dienstunfähig

Der klagende Beamte war als Briefzusteller tätig und unterhielt bei der Beklagten eine Berufsunfähigkeitsversicherung mit einer Dienstunfähigkeitsklausel, einer sogenannten Beamtenklausel. In den Versicherungsbedingungen ist geregelt:

„Für Beamte im öffentlichen Dienst auf Lebenszeit, auf Widerruf oder auf Probe gilt die Versetzung in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit und begrenzter Dienstunfähigkeit ausschließlich aus gesundheitlichen Gründen als vollständige Berufsunfähigkeit…“

Seit Oktober 2004 litt der Beamte unter anhaltenden Rückenbeschwerden. Seine Schmerzen strahlten dauerhaft in seinen linken Oberschenkel aus. Sein Dienstherr beauftragte eine ärztliche Untersuchung des Beamten. Die Dienstunfähigkeit wurde sodann gutachterlich festgestellt. Der Dienstherr versetzte daraufhin den Briefzusteller in den Ruhestand. Der Beamte widersprach der Entscheidung des Dienstherrn nicht.

Die Berufsunfähigkeitsversicherung verweigerte jedoch die vertraglich zugesicherten Dienstunfähigkeitsleistungen. Die Versicherung berief sich darauf, dass sie die Dienstunfähigkeit durch eine eigene Begutachtung der Gesundheit widerlegen könne.

Die Pensionierung als Versicherungsfall

Nach dem Bedingungswerk der Dienstunfähigkeitsversicherung entsteht der Anspruch auf Leistungen (Rente und Beitragsbefreiung), wenn der Beamte aufgrund einer gesundheitsbedingten Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt wird. Diese Pensionierung gilt als vollständige Berufsunfähigkeit und ist somit leistungsbegründend. Der Briefzusteller wurde wegen seiner Rückenleiden pensioniert und mithin bedingungsgemäß dienstunfähig. Der Dienstherr stützte die Versetzung auf § 44 BBG und führte die gesundheitlichen Gründe an. Der Versicherungsfall trat damit ein.

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Widerlegbarkeit der Vermutung der Dienstunfähigkeit?

Strittig war, ob der Versicherer die gesundheitlichen Feststellungen durch anderweitige Gutachten widerlegen kann. Nach gefestigter Rechtsprechung enthält die „echte“ Dienstunfähigkeitsklausel eine unwiderlegbare Vermutung der Berufsunfähigkeit. Sobald der Dienstherr die Pensionierung wirksam werden lässt, tritt Berufsunfähigkeit ein. Der Versicherer kann weder die individuelle Dienstfähigkeit überprüfen noch den Beamten auf die Wahrnehmung einer anderen Tätigkeit verweisen – die Pensionierung regelt verbindlich den Eintritt des Versicherungsfalls.

Diese Verbindlichkeit ergibt sich aus der Auslegung der Klausel. Versicherungsbedingungen sind so zu auszulegen, wie sie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnis verstehen muss. Die Klausel erklärt die Berufsunfähigkeit als gegeben an, sobald eine Pensionierung aufgrund gesundheitlicher Gründe stattfindet. Dies ergibt sich insbesondere aus der Verwendung des Wortes „gilt“, welches abschließend den Tatbestand als erfüllt erklärt, sobald die umrissenen Umstände verwirklicht worden sind. Vorliegend ist der Tatbestand „die Versetzung in den Ruhestand aus gesundheitlichen Gründen“ erfüllt. Sobald dies verwirklicht wurde, gilt die Pensionierung als „Berufsunfähigkeit“ im Sinne der Versicherungsbedingungen. Der Leistungsanspruch wird damit durch die Pensionierung des Beamten durch den Dienstherrn begründet.

Nachvollziehbarer Zweck der „echten“ Dienstunfähigkeitsklausel

Der Versicherer verzichtet durch die Klausel weitestgehend auf die Beweispflichtigkeit des Versicherungsnehmers. Grundsätzlich müsste dieser vollumfänglich den Eintritt des Versicherungsfalls nachweisen. Hiervon weicht die Klausel ab. Nach dem Verständnis der Versicherten geschieht dies, um das Verfahren zu vereinfachen. Die Intentionen des Versicherers eine widerlegliche Vermutung einzufügen sind unbeachtlich. Verständniszweifel gehen bei mehreren Deutungsmöglichkeiten immer zu Lasten des Verwenders der Klausel, also des Versicherers. Es gilt die für die Beamten günstigere Deutung der Unwiderlegbarkeit der Berufsunfähigkeit.

Vorteil des Versicherungsnehmers

Der Versicherungsfall „galt“ somit als eingetreten. Für eine Widerlegung durch den Versicherer lässt die Klausel keinen Platz. Der Leistungsanspruch entsteht verbindlich mit der gesundheitsbedingten Pensionierung durch den Dienstherrn.

Die „echte“ Dienstunfähigkeitsklausel lässt den Anspruch bereits mit der Pensionierung durch den Dienstherrn entstehen. Diese Bedingung ist für den Beamten besonders günstig. Er erspart sich so den mitunter schwer zu erbringenden Nachweis seiner gesundheitlichen Ausfallerscheinungen. Schließlich muss der Dienstherr die ärztliche Begutachtung durchführen lassen. Der Beamte nimmt eine passive Rolle ein.

Anders verhält sich dies bei den „unechten“ Dienstunfähigkeitsklauseln. Der Versicherer behält sich eine eigene Überprüfung der Dienstunfähigkeit vor. Diese Klauseln sind für den Versicherungsnehmer ungünstiger, da er im Zweifel die eingebrachten Gegenbeweise der Versicherer selbst widerlegen muss. Der Beamte muss aktiv werden.

Fazit und Hinweis für die Praxis

Die Pensionierung durch den Dienstherrn kann bereits die Leistungen aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung entstehen lassen. Es kommt auf die gewählte Art der Klausel an. Es sollte stets ein Fachanwalt für Versicherungsrecht mit der Klärung von Leistungsansprüchen gegen den Versicherer betraut werden.

Eine lesenswerte Zusammenfassung zur Dienstunfähigkeitsversicherung ist hier zu finden: „Dienstunfähigkeitsversicherung“. Es wird insbesondere Bezug auf die Abgrenzung zwischen einer „echten“ und „unechten“ Dienstunfähigkeitsklausel genommen.

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Zum Autor: Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke

Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke ist Partner der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte und seit 2017 Fachanwalt für Versicherungsrecht. Während seiner Anwaltstätigkeit hat er bereits eine Vielzahl von gerichtlichen Verfahren im Versicherungsrecht geführt und erfolgreich für die Rechte von Versicherungsnehmern gestritten.

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